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Der Traum vom ersten wirklich grünen Auto

BMW, Mercedes und andere arbeiten verstärkt daran, die Klimabelastung ihrer Serienmodelle schnell zu senken – mit teils ausgefallenen Ideen. Dem Autohersteller Polestar reicht Reduzieren nicht, die Schweden wollen eliminieren – und 2030 ein komplett CO₂-freies Fahrzeug präsentieren.

der traum vom ersten wirklich grünen auto

null picture alliance/dpa/Polestar/Stefan Isaksson; Montage: Infografik WELT

Zwei Tonnen Stahl, Glas, giftige Batteriemetalle, auf vier Rädern aus rohöl-basiertem Kautschuk – dass ein Automobil wirklich nachhaltig werden kann, erscheint auf den ersten Blick wie eine Werbelüge. So wie der „saubere Diesel“. Und doch arbeitet die ganze Industrie daran, das mit Abstand wichtigste Transportmittel der Menschen weniger klimaschädlich zu machen und es künftig umweltschonender zu produzieren.

Premium-Hersteller wie BMW und Mercedes-Benz tun sich mit Öko-Projekten hervor, die auch dem guten Gewissen der Kunden schmeicheln sollen. Massenanbieter wie Volkswagen und Stellantis geben sich ebenso gern einen grünen Anstrich – und die großen Zulieferer machen dabei fleißig mit.

Besonders radikal klingt ein Projekt des Elektroautoherstellers Polestar aus Schweden, der mehrheitlich dem chinesischen Geely-Konzern gehört. Das Unternehmen verspricht für das Jahr 2030 ein Auto, bei dessen Produktion kein CO₂ entsteht. Klingt unmöglich – eigentlich.

Der Chef des Projekts, Hans Pehrson, meint es aber ernst. „Wir arbeiten beim ‚Polestar 0 Projekt‘ nicht mit dem Begriff Reduktion, wenn wir über den CO₂-Fußabdruck sprechen. Sondern wir reden von Eliminierung“, sagt Pehrson. Die Emissionen der Autoproduktion schrittweise zu senken, das sei das tägliche Geschäft seiner Kollegen in der Entwicklungsabteilung.

„Sie arbeiten mit jedem neuen Modelljahr an Verbesserungen beim CO₂-Fußabdruck und veröffentlichen das auch“, sagt Pehrson. Aktuell entstehen im gesamten Fahrzeugleben eines Polestar 2 laut Unternehmen etwa 25 Tonnen CO₂, sofern das Auto mit Ökostrom gefahren wird.

Bei einem vergleichbaren Verbrenner sind es ungefähr 60 Tonnen. „Das ist ein guter Startpunkt“, sagt Pehrson. „Wir betrachten die Sache aber aus einem anderen Blickwinkel.“

Ab 2027 soll das CO₂-freie Auto konkret entwickelt werden

Nämlich von einer sehr grundsätzlichen Seite. In einer ersten Phase bis 2025 betrieben die Polestar-Ingenieure zusammen mit Partnern bei Zulieferern und aus der Wissenschaft Grundlagenforschung. Sie beschäftigen sich mit allen Stoffen, die für ein Auto gebraucht werden und suchen für jedes Material nach einer CO₂-freien Förder- oder Herstellungsmethode.

Beispielsweise für Stahl, den der schwedische Produzent SSAB bereits ab 2026 nahezu CO₂-frei herstellen will. Statt Koks kommt im Hochofen dann Wasserstoff zum Einsatz. Die ersten Lieferverträge mit Autoherstellern für diesen Stahl hat der Konzern bereits abgeschlossen.

Im Polestar-Projekt arbeitet SSAB am letzten Schritt hin zu Nullemissionen mit. Zwischen 2025 und 2027 soll die Forschung in konkrete Anwendungen übergehen, ab 2027 das Auto entwickelt werden. Auch Aluminium- und Chemiefirmen beteiligen sich, daneben einige Zulieferer wie die deutschen ZF und Vitesco.

Im eigenen Unternehmen hat Pehrson keine große Abteilung zur Verfügung. Polestar nennt die Zahl seiner Mitarbeiter nicht, es ist aber offensichtlich eine überschaubare Gruppe. Mit den Entwicklungsinvestitionen von Konkurrenten wie BMW, Mercedes oder Volkswagen kann Polestar nicht ansatzweise mithalten.

Dort befassen sich Tausende Ingenieure und Einkäufer mit Materialien, die wenig oder keine CO₂-Emissionen verursachen und ohne fossile Rohstoffe auskommen. Mercedes will beispielsweise noch in diesem Jahr Aluminium mit einem erhöhten Schrott-Anteil in die Serienproduktion bringen, dessen CO₂-Fußabdruck um 70 Prozent unter herkömmlichem Alu liegt.

Auch BMW setzt solches Material ein. Ähnlich wie Polestar arbeiten die Münchener in einem Projekt namens „Future Sustainable Car Materials“ mit Zulieferern und Wissenschaftlern daran, den CO₂-Fußabdruck von Metallen und Kunststoffen drastisch zu reduzieren.

Bei Premium-Herstellern zahlen Kunden gern für Nachhaltigkeit

„Wir sehen bei Automobilherstellern ein Umdenken und einen globalen Trend, sich in Richtung CO₂-Neutralität zu bewegen“, sagt Björn Noack, Partner beim Beratungsunternehmen Bain. Der Antrieb dafür sind neben staatlichen Vorgaben auch die zunehmend kritischen Nachfragen der Autofahrer.

„Gerade die Premium-Hersteller treffen auf eine Zahlungsbereitschaft bei den Kunden für nachhaltige Materialien oder entsprechende Sonderausstattungen“, sagt Noack. Nachhaltigkeit kann sich in diesem Marktsegment zu einem lukrativen Geschäft entwickeln.

Mercedes veröffentlicht seit einigen Jahren recht detaillierte Ökobilanzen seiner Fahrzeuge, die vom TÜV zertifiziert werden. So kommt etwa der Plug-in-Hybrid C 300 e auf CO₂-Emissionen von 26,7 Tonnen über das ein Fahrzeugleben von 200.000 Kilometern, wenn er viel elektrisch gefahren wird und den aktuellen EU-Strommix lädt.

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null Infografik WELT

In der Zahl sind auch Herstellung und Recycling enthalten. Beim größeren, rein elektrischen EQE rechnet Mercedes mit einer Laufleistung von 250.000 Kilometern und kommt auf 30,1 Tonnen CO₂ unter sonst gleichen Bedingungen. Umgerechnet auf die Kilometerzahl ist das weniger als beim Plug-in-Hybrid.

Von null sind die Fahrzeuge aber noch weit entfernt. Deswegen verpflichten die Autohersteller ihre Zulieferer dazu, künftig nur noch Ökostrom in der Produktion einzusetzen und sich an der Entwicklung von weniger CO₂-intensivem Material zu beteiligen.

Beim EQE beispielsweise könnte sich der CO₂-Rucksack halbieren, wenn die Batterie in China mit regenerativem Strom hergestellt würde und das Auto auch mit solchem Strom betrieben wird. Der weltweit größte Batteriehersteller, die chinesische CATL, hat gerade angekündigt, dass seine Produktion bis 2035 über die gesamte Wertschöpfungskette CO₂-neutral werden soll.

Recycling spielt eine große Rolle

Ein wesentlicher Hebel dafür ist Recycling. Schon heute werden fast 80 Prozent aller Materialien aus alten Autos wiederverwendet, zum Großteil aber nicht in neuen Wagen. Noack und seine Kollegen schätzen, dass dieser Anteil künftig auf 97 Prozent wachsen wird und neue Autos im Jahr 2040 zu 59 Prozent aus Recyclingmaterial hergestellt werden können.

Allein dadurch würden die CO₂-Emissionen um 60 Prozent sinken. Europäische Konzerne erarbeiten sich aus Sicht der Berater hier gerade einen Wettbewerbsvorteil. „Der Anstoß dafür waren gesetzliche Regelungen. Mittlerweile hat man aber erkannt, dass Recycling auch ökonomisch sinnvoll ist. Die Materialzufuhr ist damit besser planbar und die Preise schwanken weniger stark als auf dem Primärmarkt“, sagt Noack.

Besonders gering ist der CO₂-Fußabdruck bei nachwachsenden Rohstoffen. Auch sie werden künftig in Autos zum Einsatz kommen. Der Zulieferer Continental beispielsweise hat Sitzbezüge entwickelt, die zu 65 Prozent aus Kaffeesatz bestehen.

„Jedes Jahr landen bei uns bis zu einer Million Tonnen davon im Biomüll. Und viele denken vielleicht: Kaffeesatz ist dann kein Problem mehr. Die Realität sieht anders aus“, sagt Conti-Chef Nikolai Setzer laut Rede auf der Hauptversammlung des Unternehmens. Auch beim Kompostieren entstehen CO₂ und Methan. „Wir binden diese Treibhausgase.“ Doch auch dieser Sitzstoff kommt noch nicht auf die angestrebte Null.

Kann es ein kleiner Elektroautohersteller wie Polestar trotzdem schaffen, in sieben Jahren ein CO₂-freies Auto zu bauen? Berater Noack hält das Ziel für nicht realistisch. „Es ist durchaus möglich, den CO₂-Fußabdruck eines Fahrzeugs substanziell gegenüber dem heutigen Niveau zu senken. Eine komplett CO₂-neutrale Produktion, ohne Kompensationen, sehe ich aktuell aber noch nicht“, sagt er. Polestar-Manager Pehrson wird versuchen, das Gegenteil zu beweisen.

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