Autos

Lifestyle

Motorrad

Wir sind Sachsens Ladies of Harley

Frauen auf den schweren US-Maschinen sind noch selten. 250 von ihnen trafen sich jetzt in Potsdam. Was fasziniert sie an dem klassischen Männer-Hobby – und was machen sie anders?

wir sind sachsens ladies of harley

Angela Roch aus Meißen fährt eine Fat Boy – wie einst Arnold Schwarzenegger in Terminator. © Katrin Saft

Ich stehe in Dresden vorm Haus und putze meine Harley. Reibe die Lackflächen trocken. Poliere die Chromteile, bis sie in der Sonne blitzen. Zwei Passanten stoppen, mustern die Maschine – eine Sport Glide, 1.745 Kubik, 83 PS. Sagt der eine anerkennend: „Ah, Mann lässt putzen.“ Träumt weiter, Jungs!

Zwar leben wir im Zeitalter der Gleichberechtigung. Und Motorradfahrer heißen jetzt offiziell Motorradfahrende. Doch dass Frauen nicht nur als Pin-up-Girl auf einer Harley sitzen, ist immer noch ein seltenes Bild. Denn keine andere Motorradmarke hat über Jahrzehnte so intensiv das Image von harten Männern gepflegt, die auf eisernen Maschinen ihrer Sehnsucht nach Abenteuer und Freiheit hinterherjagen. Genährt von Kultfilmen wie Easy Rider, Wild Hogs oder Terminator, in denen Arnold Schwarzenegger auf einer Fat Boy unbehelmt über Pisten und Abgründe fegt.

wir sind sachsens ladies of harley

Fotoshooting der Ladies mit ihren Bikes im Filmpark Babelsberg. © Katrin Saft

Mary Mölder gehört zu den Pionierinnen unter den Harley-Frauen. Sie fährt schon seit 41 Jahren. „Mir war es zu blöd, immer nur hinten auf dem Sozius zu sitzen“, sagt sie. Inzwischen habe sie mehr als eine Million Kilometer zurückgelegt. „Ich bin selbstständig und habe mich bei Kundenbesuchen fix in der Toilette von Cafés oder Bäckern umgezogen: Bikerkluft gegen Kostüm“, erzählt sie. Weil sie auf ihren Touren fast ausschließlich Männer traf, hat Mölder vor 30 Jahren eine Gemeinschaft Harley-fahrender Frauen ins Leben gerufen – die Ladies of Harley, kurz LoH. Jeden Sommer treffen sie sich in einer anderen Stadt, tauschen Asphaltgeschichten und feiern – am vergangenen Wochenende in Potsdam.

Ich selbst bin das erste Mal dabei, als 250 Frauen ihre Harleys in der Hotel-Tiefgarage einparken. Immer schön rückwärts. Denn ein leichtes Gefälle reicht und Frau bekommt die Maschine nicht mehr ohne Hilfe raus. Mann übrigens auch nicht.

Ein Auspuff im Wert von 20 Paar Schuhen

Es mag das schiere Gewicht sein, das viele Frauen vom Harleyfahren abhält. Zwar wurde im vergangenen Jahr schon jedes zehnte Motorrad auf eine Frau zugelassen – Tendenz steigend. Doch unter den 20 beliebtesten Damen-Modellen ist nicht eine einzige Harley. Die Kawasaki Z 650 auf Top 1 wiegt mit 188 Kilogramm nur etwa die Hälfte einer Mittelklasse-Maschine aus den USA. Die großen American Touring-Modelle bringen sogar bis zu 400 Kilo auf die Waage. Dafür braucht es dann eine Statur wie die von Mary. „Ich war die erste Frau in Europa, die sich auf eine schwere Electra Glide getraut hat“, sagt sie und ergänzt: „Mir haben die integrierten Lautsprecher gefallen.“ Die finden sich bis heute nur an den Dickschiffen.

wir sind sachsens ladies of harley

Ein bisschen Spaß muss sein. © Katrin Saft

In der Hotel-Lobby in Potsdam gibt es zur Begrüßung ein großes Hallo. Der Schallpegel kann mit den besten Auspuffanlagen mithalten. Die meisten Frauen kennen sich seit Langem. Christa Nehry zum Beispiel ist wieder aus Hamburg mit ihrer Sportster 883 angereist. Die Lady wird im September 82 Jahre alt – und sprüht vor Begeisterung, wenn sie von ihren Touren erzählt. Selbst in China sei sie gefahren. Ihre Maschine wurde per Container nach Shanghai gebracht.

wir sind sachsens ladies of harley

Fährt mit 81 Harley: Christa Nehry (M.) – mit den Ladies vom Dresden und Westsachsen-Chapter in Potsdam. © Katrin Saft

Harley-Davidson haftet noch immer der Ruf einer Marke für alte Menschen an. Nicht nur bei den Männern, auch bei den Frauen sind unter 50-Jährige sichtlich selten. Das liegt zum einen am Preis. Die günstigste neue Harley kostet 15.000 Euro, ein Spitzenmodell locker 50.000 Euro und mehr. Wer kann sich das in jungen Jahren schon leisten? Zumal es dabei nicht bleibt. Kaum eine Maschine, die nicht umgebaut und individualisiert wird. Männer treiben es dabei zuweilen bis zur Fahruntauglichkeit. Motto: Wer hat den Dicksten? Hinterreifen! Frauen dagegen tun sich schwerer, allein für einen besser klingenden Auspuff Geld im Wert von mindestens 20 Paar Schuhen auszugeben.

wir sind sachsens ladies of harley

Sprüche klopfen gehört dazu. © Katrin Saft

Sie investieren vor allem in Komfort. Angela Roch aus Meißen zum Beispiel hat bei ihrer Fat Boy den breiten Männersitz umrüsten und mit braunem Leder beziehen lassen – passend zu den braunen Lederrollen vorn und hinten mit allem, was Frau unterwegs so braucht. Die Farbe der Maschine, so hieß es bei Harley lange, ist egal – Hauptsache Schwarz! Inzwischen fahren sogar Männer mit auffälligem Magenta rum. Perfekt in Zeiten der Selbstdarsteller.

wir sind sachsens ladies of harley

Alle Ladies of Harley beim Fototermin zur Schlössernacht in Potsdam. In der ersten Reihe mit dem roten T-Shirt Organisatorin Mary Mölder. © Katrin Saft

Das zweite Hindernis für jüngere Frauen sind oft die Kinder. Motorradfahren zählt nicht zu den familienfreundlichen Hobbys. Nicht Jede hat das Glück wie die 39-jährige Sonja Eggers, deren Vater an Harleys schraubt. „Er hat mir für meine Wide Glide einen Kindersitz gebaut, aus dem mein Sohn schon mit drei Jahren nicht rausfallen konnte“, sagt sie. Zum LoH-Treffen ist sie mit ihrer Mutter gekommen, die seit Jahrzehnten fährt.

„Gas geben auf der Geraden kann Jede“

Durch neue „Adventure-Modelle“ wie die Pan America versucht Harley-Davidson, sich selbst ein jüngeres Image zu verpassen. Und auch ein weiblicheres. In der Werbung fährt jetzt eine schöne blonde Frau auf einer roten Street Glide und lobt die Leichtigkeit der Maschine. Das freilich stimmt bei 368 Kilo Leergewicht nur, solange es wie in Amerika meilenweit geradeaus geht. „Gas geben auf der Geraden kann Jede“, sagt Kornelia Ernst aus Lichtenau. „Die Herausforderung ist das Rangieren, das Wenden, das allein Zurechtkommen in allen Situationen.“ Wobei auch Männer damit zuweilen ein Problem haben.

Kornelia ist wie die meisten Frauen durch ihren Mann zur Harley gekommen. 128.000 Kilometer habe sie inzwischen mit ihrer Cross Bones zurückgelegt – 2011 das letzte Modell mit Springer Gabel. „Inzwischen drehen sich bei uns alle Urlaube ums Motorradfahren“, sagt sie. Es sei wunderbar, dadurch all die schönen Landschaften zu sehen. „Wir waren in Amerika, in Schottland, in Irland, in der Schweiz. Es ist wie eine Seelenmassage. Du setzt dich aufs Bike und hast ganz schnell den Kopf frei.“

wir sind sachsens ladies of harley

Man darf der Maschine ansehen, dass eine Frau sie fährt. © Katrin Saft

Was andere schon mal als Lärmbelästigung empfinden, ist für Kornelia Ernst das typisch wohlige Blubbern des Twin-Motors. Natürlich weiß sie, dass ihr Hobby kein ungefährliches ist. Im vorigen Jahr sind allein auf deutschen Straßen 497 Motorradfahrer tödlich verunglückt. Ernst selbst hatte schon drei unverschuldete Unfälle – und immer einen Schutzengel. „Einmal nahm mir ein 85-Jähriger die Vorfahrt. Ein anderes Mal ist mir in Chemnitz eine Frau in die Seite gefahren, weil die Sonne geblendet hat“, sagt sie.

Begeistert von der Gemeinschaft der Harley-Fahrenden

Frauen aus dem Osten sind bei den LoH-Treffen noch deutlich in der Minderheit. „Ich kann nicht erklären, woran das liegt“, sagt Organisatorin Mölder. Für alle Ladies hat sie einen Besuch der Potsdamer Schlössernacht, ein Fotoshooting und natürlich Ausfahrten in die Umgebung geplant.

wir sind sachsens ladies of harley

Manuela Klein aus Lugau auf ihrer Tour durch Norwegen. © Wolfgang Klein

Manuela Klein aus der Nähe von Stollberg hat wie fast alle Frauen mit einer Sportster begonnen – den leichtesten, aber auch unbequemsten Modellen unter den Harleys. Während Männer in ihren Dickschiffen gepolstert sitzen und Annehmlichkeiten bis hin zu Beinschützern und Griffheizung genießen, sind Sportis kaum gefedert und damit für lange Strecken wenig geeignet. Auch wichtige Fahrassistenzsysteme und Infotainment fehlen. Klein ist deshalb auf eine weiße Heritage umgestiegen. „Ich war 2018 das erste Mal bei einem Harley-Treffen in Prag“, sagt sie, „und habe danach innerhalb von sechs Wochen die Fahrerlaubnis gemacht.“ Sie sei begeistert von der Stimmung auf den Veranstaltungen und von der Gemeinschaft, die es so bei keiner anderen Motorradmarke gebe.

Denn wer eine Harley kauft, ist automatisch ein Jahr Mitglied in der Harley Owners Group, der H.O.G. Weltweit gibt es mehr als 1.400 H.O.G.-Chapter, in denen Gleichgesinnte ihr Hobby leben und sich gegenseitig besuchen. Sie tragen Leder-Westen, die Kutte heißen und durch Aufnäher und Pins von absolvierten Strecken zeugen. Manuela und Kornelia gehören zum Westsachsen-Chapter, das beim Händler in Chemnitz beheimatet ist. „Wir sind acht Frauen im Chapter, die selber fahren“, sagt Klein. Vier von ihnen sind in Potsdam bei den LoH dabei.

„Und was machst du, wenn sie umfällt?“

Männer münzen die Abkürzung LoH schon mal in „Lost on Highway“ um. Doch die Ladies drehen selbstbewusst am Hahn. Schließlich gibt es Navis heute! Für sie steht LoH auch für „Ladies ohne Handicap“. Wobei sie mit Handicap augenzwinkernd ihre Männer meinen, die nun einige Tage sich selbst und ihren Schwiegermüttern überlassen bleiben.

wir sind sachsens ladies of harley

Autorin Katrin Saft mit ihrer Sport Glide auf Tour durch die Dolomiten. © Katrin Saft

Auf dem Rückweg von Potsdam nach Sachsen treffen die Frauen bei einem Stopp in Herzberg drei BMW-Fahrer, die ungläubig schauen, als die Ladies ihre Helme abnehmen. Einer will unbedingt ein Foto mit ihnen aufnehmen. Selbst die Befindlichkeiten zwischen BMW und Harley sind jetzt vergessen. „Ich habe noch nie erlebt, dass sich Männer abschätzig äußern, wenn ich mit meiner Harley komme“, sagt Angela Roch vom Dresden Chapter Germany. Nur eine Frage hören Frauen nicht gern, weil sie nie einem Mann gestellt werden würde: „Und was machst du, wenn sie umfällt?“ Das Gleiche wie Männer natürlich: aufheben! Es gibt beim Motorradfahren immer und überall freundliche Menschen, die dabei helfen.

Ich bin nach vier tollen Tagen wieder zurück in Dresden, stehe am Straßenrand und putze meine Harley. Glänzen soll sie für die nächste Ausfahrt. Ein paar Männer schauen interessiert. Bitte keine Sprüche, Jungs! Was ist denn hier so besonders?

TOP STORIES

Top List in the World