Stellantis-Chef Carlos Tavares spricht sich gegen eine Abschwächung der CO₂-Vorgaben für Automobilhersteller in der EU aus. Kritik daran hagelt es nun ausgerechnet von den eigenen Händlern. Per offenem Brief mahnen sie: Die Ziele für 2025 seien so nicht zu schaffen.
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Losgerannt sind nun seine eigenen Händler, und zwar mit einem offenen Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (65). Anders als Tavares halten die vier Händlerverbandschefs André Figueiredo, Cesare De Lorenzi, Piero Carlomagno und Andreas Barchetti, die Abgasziele allerdings für unerreichbar. „Im Anliegen der europäischen Händlernetzwerke von Abarth, Alfa Romeo, Citroën, DS, Fiat, Lancia, Jeep, Opel und Peugeot“ wendeten sie sich nun deshalb direkt an von der Leyen.
Im September sei der Absatz elektrischer Neuwagen in Europa mit einem Minus von 43,9 Prozent „kollabiert“, wohingegen der Absatz von Autos mit Verbrennungsmotoren stabil geblieben sei. „Als tägliche Anlaufstelle der Kunden nehmen wir eine zunehmende Zurückhaltung der Autokäufer gegenüber Elektroautos wahr“, vor allem gebe es Bedenken bezüglich „der Preise, der Reichweite und der Verfügbarkeit“.
Den Händlern sei bewusst, dass sie sich mit dem Brief „konträr zu dem Hersteller, den wir repräsentieren“ positionierten. „Aber aus unserer Sicht ist es völlig klar, dass die Industrie noch nicht darauf vorbereitet ist, die nötige Zahl an Elektroautos zu verkaufen.“ Die „zunehmende Divergenz zwischen den Zielen der Regulierungsbehörden, der Marktreife und den Erwartungen der Hersteller“ sei ein Anlass zur Sorge.
2025 dürfte es für die Autoindustrie noch schwieriger werden. In der EU müssen Automobilhersteller ihre durchschnittlichen Flottenemissionen im kommenden Jahr deutlich senken, wollen sie Strafzahlungen vermeiden. Bislang sind durchschnittlich 116 Gramm CO₂-Ausstoß pro Kilometer erlaubt, ab 2025 dürfen es maximal noch 93,6 Gramm sein.
Es braucht deutlich mehr Elektroautos
Nach Berechnung des Datendienstleisters Dataforce müsste etwa Stellantis im kommenden Jahr seinen E-Anteil verdoppeln, um die neuen Vorgaben zu erfüllen. Im ersten Halbjahr 2024 waren demnach 9 Prozent aller neu verkauften Autos des Konzerns Elektroautos, 2025 müssten es nach den Dataforce-Berechnungen 18 Prozent sein. Auch der Absatz von Plug-in-Hybriden müsste sich verdoppeln, von 4 Prozent Anteil auf 8 Prozent.
Auch anderen Herstellern wie Volkswagen, Ford oder Renault droht Ungemach, sollten sie ihre E-Verkäufe nicht enorm steigern können. Renault-Chef de Meo, im Nebenjob auch Präsident des europäischen Automobilhersteller-Verbands ACEA, hatte deshalb Anfang September Alarm geschlagen: „Wenn die Elektrofahrzeuge auf dem heutigen Niveau bleiben, muss die europäische Industrie nach unseren Berechnungen möglicherweise 15 Milliarden Euro an Strafen zahlen oder aber sie muss die Produktion von mehr als 2,5 Millionen Fahrzeugen aufgeben“, sagte er Anfang September dem Radiosender France Inter.
Ähnlich argumentieren nun auch die Stellantis-Händler in ihrem Brief an von der Leyen. Würden die Ziele nicht angepasst, drohten den Herstellern massive finanzielle Probleme, die zu einer deutlich geringeren Autoproduktion in Europa führen würden. „Dieses Szenario würde eine instabile wirtschaftliche Situation für den gesamten Sektor nach sich ziehen“, glauben die Händler.
Von Ursula von der Leyen und der EU-Kommission wünschen sich die vier Verbandschefs deshalb „nachdrücklich“ rechtliche Anpassungen, die den Übergang zu den Zielen für 2035 weniger ruckartig ermöglichten. Dann sollen in der EU nur noch Autos verkauft werden dürfen, die komplett ohne lokale CO₂-Emissionen auskommen. Die Erfolgsaussichten der Händler scheinen indes gering: Schon de Meos Vorstoß hatte ein Sprecher der EU-Kommission Mitte September abgebügelt – und sich dabei ganz ähnlich angehört wie Carlos Tavares: „Die Branche hatte ausreichend Zeit, sich auf die nächste Phase des Übergangs vorzubereiten.“