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Nio ES8 im Test: Was kann der chinesische Oberklasse-SUV?

Sachen gibt’s, die gibt’s gar nicht: Den ersten Test eines Nio führen wir mit einem ES8 durch, der hierzulande gar nicht angeboten wird. Die chinesische E-Auto-Marke kommt aber nach Deutschland – deshalb wollen wir wissen, was den Fünfmeter-SUV neben seinem Nomi genannten Assistenz- und Überwachungsroboter sonst so auszeichnet.

nio es8 im test: was kann der chinesische oberklasse-suv?

Den ersten Test eines Nio führen wir mit einem ES8 durch, der hierzulande gar nicht angeboten wird. Die chinesische E-Auto-Marke kommt aber nach Deutschland – deshalb wollen wir wissen, was den Fünfmeter-SUV neben seinem Nomi genannten Assistenz- und Überwachungsroboter sonst so auszeichnet.

Nio? Mit dem Markennamen des chinesischen Newcomers geht’s doch entspannt los, zumindest löst er keine Furcht vor Aussprachekarambolagen aus. Und wenn eine Fahrt im ES8 mal nicht knitterfrei bleibt, sollte das nicht schlimmer ausgehen als in Fahrzeugen etablierter Marken, denn Euro NCAP hat ihm im September 2021 ein Fünf-Sterne-Zeugnis ausgestellt: eine 82-Prozent-Bewertung für Erwachsene, 84 für Kinder und 94 Prozent für die Assistenzsysteme.

Einfacher Name, guter Crashtest, kein Stress mit Markenrechten – läuft also bei Nio? Na ja, den Modellnamen ES8 (und ES6) findet Audi nicht so gut, was sie mit Hinweis auf ihren S8 (und S6) beim Landgericht München angemeldet haben.

Wobei das für Deutschland kaum Relevanz hat, denn der Oberklasse-SUV wird in Europa ausschließlich in Norwegen vertrieben. Der Testwagen kam somit nicht von Nio, sondern von Innofleet, die eigentlich der Autoindustrie Vergleichsfahrzeuge anderer Marken besorgen. Gut für uns, denn bisher konnten wir einen Nio zwar fahren, aber noch nicht nach unseren Maßstäben testen. Deshalb: vielen Dank nach Ludwigsburg.

Schöne Materialien, aber…

Dann schauen wir uns den großen E-SUV mal an. Schiefe oder große Spaltmaße? Nö. Innen? Großer Touchscreen, sechs Sitze, massig hochwertiges Leder, Veloursdachhimmel. Nicht schlecht, und abgesehen von der starken Zimtnote aus dem voluminösen Mittelarmlehnenfach riecht es hier ganz normal nach Neuwagen. Verarbeitungs-Schmuddelstellen finden sich auch keine – nur der Übergang zwischen der dritten Sitzreihe und dem Ladeboden könnte im Detail eleganter verkleidet sein. Außerdem liegt der untere Teil des CCS-Anschlusses beim AC-Laden mangels Schutzklappe offen.

Die hohe Qualitätsanmutung fängt sich im Fahrbetrieb allerdings dicke Kratzer ein, denn sobald die Straße nicht ganz eben verläuft, geht die Akustik steil: Fahrwerksgeräusche von beiden Achsen, hier und da mal ein Verkleidungsknarzen und ein schrilles Geräusch, wenn Steinchen in die Radhäuser prasseln. Nichts davon wird übermäßig laut, doch spätestens wenn sich all das auf ungepflegten Pisten zu einem Orchester entwickelt, wird’s nervig (Laufleistung: 13.000 km, somit höher, als es bei Pressetestwagen üblich wäre). Noch dazu drängt das vorgeschriebene E-Auto-Geräusch bis 30 km/h viel zu laut nach innen.

Komfortabler geht’s kaum

Ansonsten fällt der Komfort sehr gut aus, etwa wegen der zwar nicht sonderlich haltstarken, aber bequemen und zudem belüfteten Massagesitze vorne. Auch die Musikanlage überzeugt mit wohlabgestimmten Surround-Modi und dynamischer Wiedergabe bei mittleren Lautstärken, während der Maximalpegel und Bass-Tiefgang eher beschränkt sind. Darüber hinaus filtert die Luftfederung die meisten Fahrbahnschäden effektiv, ohne dem Aufbau dafür übermäßige Bewegungsfreiheit einzuräumen – nur auf Pflastersteinen gerät er ins Schunkeln.

Das Fahrwerk unterbindet zu große Wankbewegungen auch bei hohen Kurventempi, die angesichts der 2.485 kg Leergewicht (ohne Fahrer) beachtlich ausfallen können. Zudem zieht er in 4,7 Sekunden auf Landstraßentempo und gibt die 544 System-PS der beiden Elektromotoren ziemlich liberal frei: In engen Ecken spürst du noch gewisse Restriktionen, so wird Leistungsübersteuern verhindert – aus weiteren Kurven schießt er hingegen mit richtig Schmackes.

Ausdauer-Sprinter

Auf dem Testgelände weichen die Sprintwerte in zehn aufeinanderfolgenden Messungen nur geringfügig voneinander ab, was für eine effektive Antriebskühlung spricht. Der 100-auf-180-km/h-Wert von 8,4 Sekunden belegt auch eine leistungsgemäße Beschleunigung, denn etwa ein Porsche Taycan Sport Turismo 4S mit 530 PS schafft die Übung kaum zwei Sekunden schneller.

Das liest sich prinzipiell nach gutem Fahrspaßpotenzial, das die Lenkung allerdings stark dämpft: Zunächst überträgt sie in den Ecken keinerlei Rückmeldung, zerrt dann aber in Grenzbereichsnähe unvermittelt in die Mittellage – eine Kombination, die Vertrauen und Präzision stark mindert. Ansonsten verhält sich die Lenkung unauffällig, wenngleich die indirekte Auslegung beim Abbiegen viel Kurbelei bedingt.

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Das stört im Alltag etwas, genau wie die Logik der verschiedenen Fahrprogramme. Die volle Leistung kann nämlich ausschließlich im straffer abgestimmten Sportmodus abgerufen werden. Und nur im Individualmodus, den man bei jedem Start auswählen muss, lässt sich die in den übrigen Modi eher schwache Rekuperationsstufe ändern.

Auch die stärkste der drei Einstellungen entspricht nicht einem Einpedalmodus, ermöglicht innerorts aber selbst bergab problemlos das Halten des Tempolimits ohne Bremspedaleinsatz. Aus niedriger bis mittlerer Last setzt die Rekuperation zügig ein; wenn man jedoch aus Vollstrom lupft, dauert es deutlich länger, bis der ES8 verzögert, was speziell bei sportlicher Fahrweise stört. Sowohl hierfür als auch für die Fahrmodi wären entsprechende Software-Updates schon wünschenswert.

Der Überwachungsroboter

Das gilt mit Blick auf die fehlenden Apple-CarPlay- und Android-Auto-Schnittstellen ebenso für das übersichtlich gestaltete und zügige Infotainment. Die hohe Touchlastigkeit der insgesamt dennoch ordentlichen Bedienung entschärfen drei Direktwahltasten (Home, Apps, Fahrmodus) und sinnvolle Lenkradtasten. Darunter auch ein Favoritenknopf, der aber nur mit vier Funktionen belegt werden kann: 360-Grad-Kamera, Parkassistent, Fahrwerksabsenkung zur Beladung und das manuelle Starten der integrierten Dashcam.

Eine weitere Kamera inklusive zusätzlicher Sensorik sitzt versteckt im Rückspiegel. Die kann Selfies aufnehmen, dient primär aber dazu, die Aufmerksamkeit des Fahrers zu überwachen. Wenn man mal abgelenkt ist, dreht sich die Nomi genannte Armaturenbrett-Displaykugel zu dir und mahnt mit weiblicher Stimme zur Konzentration. Abgelenkte Piloten erkennt Nomi zuverlässig, doch sie übertreibt auch gerne, weshalb der Assistent sicherlich von einigen Besitzern deaktiviert wird.

Im Norwegen-Modell versteht Nomi Englisch und auch einige Befehle, nicht jedoch solche für die Steuerung der Navigation, was am Software-Stand liegen soll. Für die Ladestationssuche fehlen Filtermöglichkeiten nach Ladeleistung, zudem erstellt das System keine Ladestopp-Planung für längere Routen. Immerhin: Die gut ablesbare Karte zeigt die gleichen Staus an wie Google Maps, will uns in der Nähe von München in Zusmarshausen jedoch als Geisterfahrer in den Innovationspark schicken.

Akkutausch in Bayern

Dort steht Nios deutschlandweit erste Battery-Swap-Station, die im Navi schon als verfügbare Station gelistet wird. Mit Kundenfahrzeugen hat man dort Ende Oktober offenkundig und nachvollziehbarerweise noch nicht gerechnet, was bei unserem Test zwar zu Abweichungen bei der Akkubuchung führte, dann aber gut geklappt hat. Das Konzept sieht eine Nutzung der Tauschstationen nur bei gemietetem Akku vor, was bei der in Deutschland erhältlichen Limousine ET7 für das große 100-kWh-Paket monatlich 289 Euro kostet, während der Kaufpreis 21.000 Euro beträgt.

Für den bewerteten Testwagenpreis des ES8 nehmen wir den in Norwegen gültigen inklusive 100-kWh-Stromspeicher und passen die Mehrwertsteuer an: 90.357 Euro. Im skandinavischen Land kostet ein vergleichbar starker BMW iX xDrive50 etwa 12 Prozent mehr als der Nio, der eine üppige Serienausstattung bietet.

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Für unseren Markt ist der Preis so irrelevant wie die Akkutauschtechnologie, weil derzeit kein Stationsnetzwerk existiert. Deshalb ignorieren wir diesen Faktor beim Bewertungspunkt “Dauer Energiezufuhr”, der nur die mäßige Schnellladeleistung des ES8 berücksichtigt. Die Reichweite beträgt bemessen am eher hohen Testverbrauch (34,0 kWh/100 km) 288 Kilometer, 367 sind bei sanftem Stromfuß drin.

Hochvariabel mit Haken

Weit überdurchschnittlich fällt hingegen die Variabilität des ES8 aus. Das Volumen des ordentlich beleuchteten Kofferraums beziffert Nio bei viersitziger Konfiguration mit 871 Litern. Dabei stellen die beiden Einzelsitze der zweiten Reihe allerdings die einzige, nicht durchgängige Barriere zum Fahrgastraum dar: Das eröffnet Spielraum für Gepäck-Tetris, doch wenn sich zum Beispiel der Inhalt einer Supermarkttasche beim starken Bremsen über den Innenraum verteilt, verliert die Nummer sofort an Charme – und im Zweifel wird’s sogar gefährlich (Euro NCAP hat den Sechssitzer bewertet, Gepäcksicherungseinrichtungen finden jedoch keine Berücksichtigung).

In der dritten Sitzreihe reicht der Kopfraum für Erwachsene kaum, die Beinfreiheit fällt hingegen akzeptabel aus. Ganz hinten passt das Ladekabel unter den aufstellbaren Kofferraumboden, ohne es dafür penibel aufrollen zu müssen. Wenn der funktionsreiche ES8 jetzt noch bessere Ladetechnik verpasst bekäme, wäre er europatauglich und durchaus eine Alternative.

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