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„Kritische Männlichkeitsrunde“ und „Privilegien“-Check – im Camp der Elon-Musk-Gegner

Tesla-Chef Elon Musk besucht die Autofabrik in Grünheide. Im benachbarten Wald leben linksradikale Gegner des geplanten Fabrikausbaus. In Workshops lernen sie, wie sie der Polizei die Sicherung von Fingerabdrücken erschweren. Auch die Pro-Palästina-Bewegung mischt hier mit. Ein Besuch im Camp.

„kritische männlichkeitsrunde“ und „privilegien“-check – im camp der elon-musk-gegner

Vermummte spielen auf: Protestcamp in Grünheide gegen das Tesla-Werk von Elon Musk Jan Alexander Casper

Ein Werksbus nach dem anderen bringt die Tesla-Belegschaft auf den grauen Parkplatz vor die Autofabrik im brandenburgischen Grünheide. Durch Drehkreuze verschwinden Weiße und Schwarze, Spanisch- und Englisch-Sprecher, Frauen mit und ohne Kopftuch in den Werkshallen. Vor dem Haupteingang warten Journalisten stundenlang auf Elon Musk, den Firmenchef. Er ist angereist, etwa eine Woche, nachdem sich Linksextreme zu einem Anschlag auf die Energieversorgung des Werks bekannt hatten.

Das Werk spaltet die Anwohner, seit die Eröffnungspläne bekannt sind. Zurzeit kocht der Streit wieder hoch, weil Musk, unterstützt von der Brandenburger SPD, das Werksgelände erweitern will: für Lagerhallen, einen Werksbahnhof und eine Kita. Im angrenzenden kleinen Ort Grünheide stimmten Bürger in einer unverbindlichen Meinungsbekundung mit deutlicher Mehrheit gegen die Erweiterung. Am Sonntag nach dem Brandanschlag gingen in Grünheide zwei Gruppen auf die Straße – eine gegen Tesla und eine in Solidarität mit dem Autobauer wegen des Anschlags.

Am Mittwoch steht der Sprecher der zweiten Gruppe, Albrecht Köhler, vor dem Tesla-Werk. Der gebürtige Brandenburger vom Verein GrünheideNetzWerk sagt: Das eigentliche Problem sei die mangelhafte Kommunikation von Tesla. „Die Ziele“ des Unternehmens seien ja „gut, man müsste sie nur besser erklären“, sagt Köhler. Tesla kommuniziere aber vor allem online, und viele Grünheider seien nicht online. Köhler sagt auch, dass die „Gegenseite“ – die gut vernetzte Anti-Tesla-Bürgerinitiative aus dem Dorf – teils auch gute Argumente habe, etwa als es früher um eine ineffiziente Flächenplanung Teslas gegangen sei; bei Zahlen über den Wasserverbrauch des Werks übertreibe sie aber.

Eigentlich, sagt Köhler, müssten „wir Grünheider alle an einem Strang ziehen“. Die Lage sei vor allem deswegen verfahren, weil das Thema Tesla zu viele Akteure auf den Plan rufe: Von der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) und den Grünen über linksradikale Gruppen wie „Sand im Getriebe“ bis zur AfD, die sich jeweils auf ihre Art am „Turbokapitalisten“ Musk, Waldrodungen und vielem mehr abarbeiteten. Köhler sagt noch, er wünsche sich, dass Musk an diesem Tag die Gelegenheit nutzen werde, ein paar öffentliche Worte zu sagen. Der Tesla-Chef spricht aber nur in einem Zelt vor der Belegschaft. Von der will – auf dem Rückweg zu den Bussen – niemand über den Auftritt sprechen.

Am S-Bahnhof, an dem Arbeiter in die Werksbusse umsteigen, müssen sie eine Reihe von Anti-Tesla-Ständen durchqueren; auf einem verbeulten Bauwagen steht: „Volkswagen enteignen*“, das Sternchen steht für: „*eine echte Revolution wäre mir lieber.“ Das alles soll eine „Mahnwache“ darstellen, aufgestellt von radikalen Öko-Aktivisten, die seit zwei Wochen in Baumhäusern und Zelten im Kieferforst neben dem Fabrikgelände schlafen.

„kritische männlichkeitsrunde“ und „privilegien“-check – im camp der elon-musk-gegner

Tesla-Beschäftigte müssen auf dem Weg zum Bus diesen „Außenposten“ der Aktivisten durchqueren Jan Alexander Casper

Die Mahnwache ist so etwas wie ihr Außenposten an der Straße, gegenüber parken Polizeibusse. Ob die Aktivisten am Flugblätterstand auch mit den Arbeitern ins Gespräch kämen, wollen sie nicht sagen – für die Kommunikation mit Journalisten seien die „Pressemenschen“ da.

Eine Gruppe junger Männer mit Tunnel-Ohrringen und Bärten in Tesla-Arbeitskleidung an der Bushaltestelle wird schnell aggressiv, als es um die Aktivisten geht. Keine Ahnung, was „diese Waldkinder wollen“, sagt einer von ihnen. Ein anderer nennt die Aktivisten „Pisser“ und sagt: „Das ist doch scheiße, es geht hier um unsere Arbeitsplätze.“

„Sehr gut auch, um seine Privilegien zu checken“

Im Camp selbst riecht es nach Kiefernnadeln, irgendwoher tönt eine Gitarre, zwei Männer tragen ein Brett, eine Frau sägt; zwei sehr junge vermummte Frauen – eine ganz in Schwarz, eine mit Leopardmustermütze – schwärmen von den Lern- und Selbsterfahrungsmöglichkeiten im Protestcamp ohne Hierarchien, Dusche und Klo – „sehr gut auch, um seine Privilegien zu checken“.

„kritische männlichkeitsrunde“ und „privilegien“-check – im camp der elon-musk-gegner

Baumhäuser im Protestcamp Jan Alexander Casper

Ein paar Meter weiter baumelt ein vermummter Langhaariger mit einem Kletterseil von einem Baum herunter und erklärt, wie man sich richtig sichere. Eine „Tagesstruktur“-Tafel verkündet, was es sonst noch gibt. Am Freitag um 15 Uhr etwa ist „Kritische Männlichkeitsrunde“. Vormittags ist „Plenum“. Weil er allein auf einem Stuhl sitzt, sticht ein junger, vollkommen mit Palästinenser-Schal und Basecap vermummter Mann hervor. An einem der Baumhäuser weht eine Flagge mit schwarz-grün-rotem Wassermelonen-Emoji-Zeichen, ein Erkennungszeichen der propalästinensischen Bewegung.

Am Rande des Plenums taucht eine ältere Frau mit Strickpulli namens Emma auf und lädt zum Workshop über das richtige Verhalten im Fall einer polizeilichen Räumung ein. Ungefähr 20 zum Teil sehr jungen Teilnehmern erläutert sie „Worst Case“-Szenarien: Bis zu vier Tage Gewahrsam drohten, wenn die „Bullen“ ein „Exempel statuieren“ und jemanden den Vorwurf einer Gewalttat anhängen wollten, sagt Emma. Als sie anfängt, zu erklären, wie man die Haut an seinen Händen so bearbeite, dass das Abnehmen von Fingerabdrücken erschwert werde, bittet sie WELT, den Workshop zu verlassen.

„kritische männlichkeitsrunde“ und „privilegien“-check – im camp der elon-musk-gegner

„Tagesstruktur“ für das Leben im Camp Jan Alexander Casper

Worum es den Aktivisten im Lager neben dem Verhindern der Werkserweiterung – sie campieren auf dem dafür vorgesehenen Grund – gehe, erklärt Paul Eisfeld, 24, der in Berlin „was mit Umweltschutz“ studiert und als Pressesprecher fungiert. Er zählt gegendert die Teilnehmer auf: „Hier sind alle möglichen Menschen vertreten, von Schüler*innen, Berufstätigen, Azubis, Studierenden bis Renter*innen.“

„Uns ist klar, dass die Arbeitsplätze für die Region wichtig sind“, sagt Eisfeld, „deswegen fordern wir keinen Rückbau, aber eine Transformation und Umnutzung der Fabrik, zum Beispiel auf die Herstellung von E-Bussen.“ Zwei-Tonnen-Autos für 50.000 Euro seien nicht die Lösung für die Verkehrswende, sagt Eisfeld. E-Autos nennt er „modernen Ablasshandel in christlicher Tradition: Du bezahlst, um dir ein gutes Gewissen zu kaufen.“

Am Nachmittag, gerade spielt eine vermummte Band, spaziert dann noch die Rentnerin Manu Hoyer mit ihren kleinen Hunden Amigo und Luna ins Camp. Sie wohne im kleinen Dorf Mönchwinkel, erzählt sie, geboren sei sie in Berlin-Tempelhof. Ihr ganzes Leben habe sie bei Gewerkschaften gearbeitet. Sie ist das Gesicht der Bürgerinitiative Grünheide, die am Sonntag gegen Tesla auf die Straße gegangen ist. Hoyer sagt, sie und die Initiative begrüßten die Baumbesetzer als Mitstreiter, hätten dem Lager zum Beispiel Zugang zum Trinkwasser verschafft; viele Aktivisten grüßen Hoyer. „Schön, dich zu sehen!“, ruft ihr einer entgegen.

„kritische männlichkeitsrunde“ und „privilegien“-check – im camp der elon-musk-gegner

Manu Hoyer Jan Alexander Casper

„Auf keinen Fall darf es zur Fabrikerweiterung kommen“, sagt Hoyer, sie sorge sich um das Trinkwasser. Sie wird aber schnell grundsätzlich: „Ich habe einen antikapitalistischen Blick“, sagt sie, und dass „dieses Höher, Schneller, Weiter“ einfach aufhören müsse. Im Camp, sagt Hoyer, komme sie „zur Ruhe“, wenn sie den Aktivisten beim Klettern zuschaue etwa – sie selbst könnte das nicht. Stört sie, dass auf der Bank, auf der sie Platz genommen hat, jemand in pinkfarbenen Großbuchstaben „Bullen töten“ geschrieben hat? „Ich bin gegen jede Form von Gewalt“, antwortet Hoyer und dass sie auch nicht wisse, wer das geschrieben hat.

Für sie ist nur der Kampf gegen die Fabrik wichtig. „Alte Menschen hier“, sagt sie, „können sich die seit der Werkseröffnung verdreifachten Mieten einfach nicht mehr leisten“, die riefen sie verzweifelt an. Sie könne diese Menschen nur ans Sozialamt verweisen. Hoyer sagt, sie wohne selbst zur Miete, zwei Zimmer für 470 Euro warm auf 56 Quadratmetern. In einer Wohnung gleichen Zuschnitts in ihrem Haus wohnten nun zwei Tesla-Mitarbeiter, Bulgaren, für 780 Euro. Ob sie sich ihre Miete später noch leisten können wird, diese Frage treibt Hoyer um.

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