Motorsport

Formel 1: Alpine

Frankreich hat erstmals seit 1994 wieder eine Formel-1-Nationalmannschaft: Alpine setzt dafür ausgerechnet auf die Erzfeinde Esteban Ocon und Pierre Gasly.

Sacre Bleu! Eines muss man Alpine auf jeden Fall lassen: Leicht macht es sich Renaults Sportwagenschmiede in der Formel 1 definitiv nicht. Nach einem mehr als turbulenten Sommer mit der Transfer-Posse um Supertalent Oscar Piastri und dem Abgang von Superstar Fernando Alonso, schafft Alpine mit der Verpflichtung von AlphaTauris Pierre Gasly nun endlich Klarheit für die Saison 2023 und beweist dabei viel Mut. Ein französischer Fahrer für ein französisches Team: Was auf den ersten Blick sinnvoll und aalglatt wirkt, birgt auf den zweiten jedoch erneut eine Menge Sprengstoff für die stolze Marke aus Dieppe. Denn Stammpilot Esteban Ocon und Neuzugang Gasly haben mehr als nur eine gemeinsame Vergangenheit. “Die beiden können sich nicht ausstehen, bringt sie bloß nicht zusammen!”, hatte unlängst Ex-Weltmeister Jacques Villeneuve mit Blick auf die Erzrivalen gewarnt. Offenbar vergebens. Auch im Internet schlägt der Wechsel hohe Wellen: In der Formel-1-Community stapeln sich bereits die Memes, der Tenor geht meistens in Richtung Feinde, die nun gezwungenermaßen Freunde werden müssen. Ein besonderes Highlight ist dabei auch die Erinnerung an ein gemeinsames Foto bei den Filmfestspielen in Cannes, aus dem sich Ocon und Gasly jeweils gegenseitig rausschnitten, bevor sie es auf Social Media posteten. formel 1: alpine

Pierre Gasly und Esteban Ocon werden Teamkollegen


Dort wo Gemeinsamkeiten sind, da entsteht eben auch Rivalität – und mehr Gemeinsamkeiten als Alpines neue Fahrerpaarung kann man wohl kaum haben: Beide werden 1996 in der Normandie geboren, Gasly in Rouen, Ocon im gerade einmal 50 Kilometer weit entfernten Évreux. “Wir kennen uns eigentlich schon 20 Jahre, dabei sind wir ja beide erst 26. Als ich meine ersten Runden im Kart gedreht habe, war Esteban auch dort”, erinnert sich Gasly. Der Weg der beiden Franzosen durch die Juniorkategorien liest sich teilweise wie ein einziger Klon: 2012 Formel Renault 2.0 Eurocup, 2013 Alpine Formel Renault, 2014 Formel Renault 3.5, immer gemeinsam. Kein Wunder, dass unter all dem sportlichen Wettkampf auch die anfängliche Freundschaft leidet und bald ganz verschwindet. Während Ocon Meister in der europäischen Formel 3 und der GP3 wird, gewinnt Gasly mit Red-Bull-Unterstützung die GP2-Serie. Ende 2016 überflügelt der sieben Monate jüngere Ocon Gasly dann kurzzeitig und darf mit Manor sein Formel-1-Debüt feiern. Sein Landsmann tut es ihm eine Saison später für Toro Rosso gleich, ab da sind beide Stammfahrer in der Königsklasse – und fünf Jahre später auch beide Grand-Prix-Sieger: Gasly gewinnt 2020 in Monza sein bisher einziges Rennen, Ocon kopiert den Erfolg 2021 in Budapest. formel 1: alpine

Gasly wechselt von AlphaTauri zu den Franzosen


“Unsere Beziehung war ein Auf und Ab, das ist ja für niemanden etwas Neues”, räumt Gasly offen ein. “Aber seit wir in der Formel 1 sind, wurde sie besser: Weil wir damit beide einen unserer Träume erreicht haben und auch einfach erwachsener geworden sind, mehr Verantwortung tragen. Außerdem haben wir jetzt ein gemeinsames Ziel, um (mit Alpine; d. Red.) an die Spitze zu kommen. Wenn wir das erreichen wollen, müssen wir zusammenarbeiten.” Darauf hofft bei seiner riskanten Fahrerwahl auch Teamchef Otmar Szafnauer, der darauf setzt, dass sich die Rivalen gegenseitig zu Höchstleistungen pushen: “Die Formel 1 ist ein Teamsport, deshalb müssen wir in der Lage sein zusammenzuarbeiten und alles zu optimieren. Esteban hat uns dabei aber sehr unterstützt und Pierre genauso. Sie sind Profis und haben kein Problem damit, gemeinsam zu arbeiten. Aus professioneller Sicht sind also beide happy damit.” Allein: Es wäre nicht das erste Mal, dass sich Szafnauer in dieser Saison gewaltig irrt, wie die Fälle Alonso und Piastri unlängst bewiesen. Der US-Amerikaner, der auch verrät, dass Ocon in Alpines Personalplanungen rund um Gasly frühzeitig eingeweiht war, bleibt aber gutgläubig: “Vielleicht entwickelt sich ja sogar wieder eine Freundschaft (zwischen Gasly und Ocon; d. Red.), sie waren ja mal Kumpels.” formel 1: alpine

Bild aus Kindertagen: Klein-Ocon und Klein-Gasly


Gerne dürfte es der Chef da sehen, dass Ocon den Neuzugang am Samstag betont freundlich willkommen heißt und sogar ein gemeinsames Bild aus Kart-Tagen veröffentlicht: “Wir waren nur zwei kleine Kids aus der Normandie mit einem unmöglichen Traum. Willkommen in der Alpine-Familie Pierrot, lass uns unser Team und unser Land stolz machen”, twittert Ocon und verziert das Ganze mit einer Frankreich-Flagge. Es ist das erste Mal seit 1994 bei Ligier, Larrousse und Pacific, dass es wieder eine rein französische Fahrerpaarung in der F1 gibt. Ocon gibt sich entsprechend handzahm: “Ich denke, wir können zusammen eine großartige Geschichte schreiben. Wir haben Respekt füreinander und das ist meiner Meinung nach das Wichtigste.” Allerdings: Als leicht umgänglicher Teamkollege ist der Alpine-Pilot in der Branche wahrlich nicht bekannt. Schon zu Beginn seiner F1-Karriere gab es Spannungen mit Pascal Wehrlein bei Manor, noch deutlich schlimmer wurde das Verhältnis zu Sergio Perez bei Racing Point – inklusive mehrmaligen Kontakts auf der Strecke. Ob Reifeprozess oder kluger Schachzug: Nur mit Altmeister Fernando Alonso legte sich Ocon nicht an, der Politiker unter den F1-Stars war wohl selbst dem Franzosen eine Nummer zu groß. Stattdessen versuchte Ocon sich viele von Alonsos Methoden abzuschauen, auf und neben der Strecke. Das sollte mit Blick in die gemeinsame Zukunft eigentlich die größte Warnung für Gasly sein…

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