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Elektrowüste Europa

Das Ende des Verbrenners ist beschlossen, aber viele Länder in Europa sind darauf nicht vorbereitet. Das zeigt eine exklusive Analyse von WELT. Demnach hat Deutschland so viele Ladepunkte für E-Autos wie 20 andere EU-Länder zusammen. Vor allem ein Land sorgt bei den Experten für Spott.

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Die Politik hat eine klare Vorstellung davon, wie die Zukunft des Autos in Europa aussehen soll. Nicht nur, dass die Mitgliedsländer der EU am Dienstag das Ende des Verbrennermotors beschlossen haben, nachdem sich die FDP und einige andere Mitgliedsländer mit ihrer Forderung nach Ausnahmen für synthetische Kraftstoffe durchgesetzt hatten. Am Montag einigten sich Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament auch auf neue Vorschriften zum Ausbau der Ladestationen für Elektroautos.

Die treibende Idee hinter diesen Vorschriften: Bis zum Jahr 2030 soll der Autoverkehr in Europa 55 Prozent weniger CO₂ produzieren als im Jahr 1990, dem üblichen Vergleichsjahr. 30 Millionen Elektroautos sollen dann bereits in Europa unterwegs sein, die nach dem Willen der Politik mit Strom aus erneuerbaren Energien fahren sollen. Schon 2025 soll es eine Million Ladestationen auf dem ganzen Kontinent geben, bis 2050 sogar drei Millionen.

Einzig: Die Realität in Europa hält mit den ambitionierten Plänen nicht Schritt. Vor allem Volkswirtschaften in Osteuropa und Südosteuropa sind auf das Verbrenner-Aus und den Aufstieg der E-Mobilität nicht vorbereitet. Das zeigt eine exklusive Auswertung von WELT auf Basis von aktuellen Zahlen der Europäischen Beobachtungsstelle für alternative Kraftstoffe der Europäischen Kommission.

Die Analyse zeigt, dass der Ausbau der Ladesäulen in der EU weiter hochgradig konzentriert ist: Mehr als 61 Prozent der in der EU installierten Ladesäulen entfallen auf lediglich drei Länder: Deutschland, Frankreich und die Niederlande. Die übrigen 39 Prozent verteilen sich auf die 24 weiteren EU-Länder.

Insgesamt 479.505 Ladepunkte hat die Beobachtungsstelle Ende 2022 in der EU gezählt. Davon befinden sich allein in den dicht besiedelten Niederlande gut 116.000 Stück und damit beinahe ein Viertel des gesamten Bestands in der EU. Es ist ein beachtlicher Wert.

Die Zahlen zeigen auch, dass Deutschland beim Ausbau der Ladeinfrastruktur gegenüber Frankreich zurückgefallen ist: In Frankreich waren Ende des Jahres gut 92.000 Ladepunkte installiert und in Deutschland rund 84.500 Ladestationen. Das entspricht rund 19 Prozent und 18 Prozent des EU-Bestands. Ende 2021 waren hierzulande noch mehr Ladepunkte als in Frankreich gezählt worden.

Die Kluft zwischen den EU-Ländern, deren Ladenetze besonders gut ausgebaut sind und denen, in denen der Ausbau hinterherhinkt, ist denn auch erheblich. In den Niederlanden befinden sich fast 2280-mal so viele Ladepunkte wie Malta, das mit 51 Einheiten die wenigsten besitzt.

Aussagekräftiger als der Vergleich eines mittelgroßen, dicht besiedelten europäischen Flächenstaates mit dem kleinsten EU-Staat ist eine andere Rechnung: Tatsächlich sind in den Niederlanden so viele Ladestationen angeschlossen wie in 21 Mitgliedstaaten zusammen. Deutschland hat etwa so viele Ladestationen wie 20 andere Mitgliedstaaten zusammengezählt, darunter Belgien, Schweden, Österreich und Dänemark.

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Die Dichte des Ladenetzes unterscheidet sich denn auch erheblich innerhalb Europas: Vor allem die Länder in Mittel-, Ost- und in Südosteuropa sind beim Ausbau für die E-Mobilität weit abgehängt. So zählt beispielsweise Rumänien, das von der Fläche knapp sechsmal so groß ist wie die Niederlande nur 0,3 Prozent aller Ladepunkte in der EU.

Griechenland, das immerhin halb so groß ist wie Deutschland, besaß Ende vergangenen Jahres nur 1021 Ladepunkte oder 0,2 Prozent aller in der EU installierten Einheiten. Das griechische Ausbautempo ist bei Branchenexperten legendär: Wen Hildegard Müller, die Präsidentin des Automobilverbands VDA, mehr Tempo beim Ausbau der Infrastruktur verlangt, verweist sie gerne darauf, dass, die Stadt Hamburg fast doppelt so viele öffentliche Ladepunkte habe wie ganz Griechenland.

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Wie weit Länder in Süd- und Südosteuropa beim Ausbau der Ladeinfrastruktur abgehängt sind, zeigen frühere Auswertungen, die auf Daten aus früheren Jahren beruhen.

So hat beispielsweise der europäische Automobilverband ACEA die Zahl der Ladepunkte ins Verhältnis zu den Straßenkilometern in den EU-Ländern gesetzt. Für die Untersuchung vom vergangenen Sommer nutzten die Lobbyisten Zahlen von Ende 2021.

Gemessen an diesem Verhältnis war das Ladenetz Ende 2021 am dichtesten in den Niederlanden, Luxemburg und in Deutschland. In Deutschland kamen beispielsweise auf 100 Straßenkilometer knapp 26 Ladestationen. Am unteren Ende der Rangliste fanden sich auch bei dieser Auswertung Länder aus Ost- und Südosteuropa. Am geringsten war die Ladedichte demnach in Litauen, gefolgt von Zypern, Griechenland, Estland und Polen.

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Der Europäische Rechnungshof seinerseits hat auf der Grundlage von Zahlen aus dem Jahr 2020 ermittelt, wie viele mit EU-Geldern finanzierte Ladepunkte in den Mitgliedsländern stehen. Die Prüfer haben auch das Verhältnis von Ladestationen zur Landfläche ermittelt. Demnach war das Ladenetz in Deutschland und den Benelux-Staaten am dichtesten. Dort kamen mehr als zehn Ladepunkte auf 100 Quadratkilometer.

In Ost- und Südosteuropa fanden die Prüfer hingegen weniger als zwei Ladepunkte pro 100 Quadratkilometer. Vom dünn besiedelten Finnland über die baltischen Staaten, Mittel- und Osteuropa über den Balkan bis nach Griechenland und weiter die Mittelmeerinsel Zypern zieht sich Europas Ladesäulen-Wüste. In Spanien und Irland ist das Ladenetz ähnlich weitmaschig.

Etwa 2000 E-Ladesäulen kommen jede Woche in der EU dazu

Die ernüchternde Rechnung der damaligen Prüfer: Um das Ziel von einer Million Ladesäulen bis 2025 zu erreichen, müssten in der EU jede Woche 3000 Ladesäulen gebaut werden. Von dieser Ausbaugeschwindigkeit ist die EU immer noch weit entfernt. Der Auto-Verband ACEA geht davon aus, dass derzeit 2000 Ladepunkte pro Woche installiert werden.

Die Auto-Lobbyisten haben in dieser Woche zusammen mit Verbänden der europäischen Stromwirtschaft und Vertretern von Wind- und Solarstromerzeuger eine eigene Rechnung vorgelegt: Demnach müssten jede Woche 14.000 Ladepunkte aufgestellt werden, damit 2030 in der EU 6,8 Millionen Ladepunkt vorhanden sind. Anders ließen sich die EU-Ziele für die CO₂-Reduktion nicht erreichen.

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Wie die Nachzügler in Europa diese Werte erreichen können, ist allerdings unklar. Die Auto-Lobbyisten fordern schnellere Genehmigungsverfahren und mehr Geld.

Auch die EU-Rechnungsprüfer forderten damals, dass EU-Mittel für den Ausbau stärker in die ärmeren Länder geleitet werden müssten, wo sie wirklich gebraucht würden. Europäische Kommission müsse mehr tun, um sicherzustellen, dass die Mittel für den Ausbau dorthin fließen, wo sie am dringendsten benötigt werden. Ob das genügen wird, ist allerdings offen.

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