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Diese Assistenzsysteme sind ab 7. Juli Pflicht in allen Neuwagen

Digitale Helfer greifen immer stärker ins Fahrgeschehen ein. Fachleute aus Sachsen erklären, was moderne Assistenten leisten – und wo ihre Schwächen liegen.

diese assistenzsysteme sind ab 7. juli pflicht in allen neuwagen

City-Notbremsassistenten gehören bei vielen Autos schon zur Serienausstattung. Neue Systeme können Unfälle auch bei Autobahntempo verhindern oder abmildern. © Mercedes-Benz AG

Der 7. Juli soll ein entscheidendes Datum für mehr Sicherheit im Straßenverkehr werden. Ab diesem Tag muss jeder erstmalig zugelassene Neuwagen eine Vielzahl elektronischer Helfer an Bord haben. Dazu zählen Notbrems-, Müdigkeits- oder Spurhalteassistenten. Die von der EU vorgeschriebene Technik soll Unfälle verhindern helfen. Erklärtes Ziel ist, bis 2038 mehr als 25.000 Menschenleben zu retten und mindestens 140.000 schwere Verletzungen zu vermeiden.

Was können die zur Pflicht werdenden Assistenzsysteme?

  • Hochentwickeltes Notbremssystem: Gefüttert mit Radar-, Laser- und/oder Kameradaten, errechnet das System ständig das Tempo und den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug. Erkennt es einen rapide schwindenden Sicherheitsabstand, verzögert es selbsttätig – notfalls per Vollbremsung. Die aktuelle Ausbaustufe dieser Systeme kann Unfälle auch bei Autobahngeschwindigkeit verhindern und erkennt Fußgänger oder Radfahrer.
  • Intelligenter Geschwindigkeitsassistent: „Hier informiert eine Verkehrszeichenerkennung im Auto den Fahrer, wenn er das zulässige Tempo überschreitet“, sagt Thomas Kubin vom ADAC Sachsen. Reagiert die Person am Steuer nicht auf die optische und akustische Warnung, bremst das System namens ISA (Intelligent Speed Adaption) automatisch bis aufs Tempolimit ab.
  • Notbremslicht: Der nachfolgende Verkehr soll erkennen, dass jemand eine Notbremsung macht. Hierfür registriert das System, wie schnell der Fahrer vom Gas- aufs Bremspedal wechselt und wie stark er in die Eisen geht. „Wird eine Notsituation erkannt, leuchten alle Bremslichter hell auf und blinken schnell“, erklärt Kubin.
  • Rückfahrassistent: Dieses System erkennt per Kamera, Ultraschall- oder Radarsensor Objekte hinter dem Fahrzeug – und aktiviert notfalls die Bremse, um einen Zusammenstoß mit anderen Verkehrsteilnehmern zu verhindern.
  • Spurhalteassistent: Der aktive Spurhalteassistent warnt den Fahrer mithilfe leichter Vibrationen im Lenkrad, wenn er über eine seitliche Fahrbahnmarkierung fährt. „Ein Notfall-Spurhalteassistent greift sogar aktiv in die Lenkung ein“, sagt ADAC-Technikexperte Kubin.
  • Müdigkeitsassistent: Die Person hinterm Lenkrad fährt schon länger ohne Pause? Sie macht untypische Lenkbewegungen oder Spurwechsel? Dann erscheint ein Hinweis im Cockpit in Form einer Kaffeetasse – die Aufforderung, zeitnah eine Pause einzulegen. Auch akustisch wird gewarnt. „Moderne Systeme verfügen über eine Kamera am Rückspiegel, die das Gesicht filmt und Blinzeln oder geschlossene Augen registriert“, sagt André Skupin, Leiter der Technischen Prüfstelle des Dekra e.V. in Dresden.
  • Blackbox: Ein Datenrekorder zeichnet in einer Dauerschleife relevante Daten auf und speichert im Moment eines Crashs die letzten fünf Sekunden davor und zwei Sekunden danach. Aus diesen Informationen, etwa Gas- oder Bremspedalstellung, lasse sich ableiten, wie sich der Fahrer kurz vor dem Unfall verhalten habe, so Kubin. „Das hilft sehr bei der Unfallanalyse.“
  • Alkohol-Wegfahrsperre: Hierbei handelt es sich nur um eine Schnittstelle, die ab Juli in allen Neuwagen vorhanden sein muss. Später sollen Geräte angedockt werden mit denen Fahrer ihren Atemalkoholgehalt checken können. Ist er zu hoch, lässt sich das Fahrzeug nicht mehr starten. „Wann diese als ,Alcolock‘ bekannten Systeme zur Pflicht werden, steht bislang nicht fest“, sagt André Skupin.

diese assistenzsysteme sind ab 7. juli pflicht in allen neuwagen

Spurhalteassistenten haben ihre Probleme in Baustellen, weil sie dort ihre Spur nicht immer eindeutig erkennen können. Aktive Systeme führen auch schon mal unerwartete Lenkkorrekturen durch. © Volvo

Gibt es viele dieser Systeme nicht jetzt schon in Neuwagen?

Ja. Die in den letzten Jahren auf den Markt gekommenen Neuwagen hätten das Gros dieser Systeme bereits, so Kubin. „Teilweise musste man sie als Sonderausstattung ordern.“ Nun wird diese Technik Standard und zwar in allen Fahrzeugklassen.

Macht die zusätzliche Ausstattung Neuwagen teurer?

„Da die Einführung der Systeme bereits fließend passiert ist, wird es im Juli keine generelle Preiserhöhung geben“, sagt Michael Schneider, Präsident im sächsischen Landesverband des Kfz-Gewerbes. Er sieht aber einen anderen Effekt: „Weil es wohl zu teuer gewesen wäre, sie mit den geforderten Systemen aufzurüsten, sind einige Modelle vom Markt verschwunden.“ Darunter seien auch gut nachgefragte Modelle wie der Renault Twingo oder der Ford Fiesta.

Letztlich werde aber die Fahrzeugtechnik insgesamt komplexer und damit teurer, ergänzt ADAC-Mann Kubin. Einen großen Anteil daran habe zum Beispiel auch die Abgasreinigung.

Arbeiten die Assistenzsysteme auch mal fehlerhaft?

Der Zentralverband Deutsches Kfz-Gewerbe (ZDK) hat 2023 eine Studie in Auftrag gegeben, um Antworten auf diese Frage zu bekommen. Ergebnis: Rund 64 Prozent der 676 befragten Kfz-Betriebe gaben an, ihre Kundschaft habe sich schon mal über nicht oder schlecht funktionierende Assistenzsysteme beschwert. Die Probleme traten demnach bei allen möglichen Systemen auf. Mal löste der Notbremsassistent wegen eines beschleunigenden Autos auf der Nebenspur aus, mal beschleunigte der Abstandstempomat, ohne dass Verkehrszeichen dies signalisiert hätten.

Spurhalteassistenten „hadern“ in Autobahnbaustellen, wo sowohl gelbe als auch weiße Linien auf der Fahrbahn aufgebracht sind. An ihre Grenzen stoßen Assistenzsysteme auch bei starkem Nebel, Regen- oder Schneefall. „Dann können die Sensoren oder Kameras das Umfeld nicht ausreichend erfassen“, sagt Thomas Kubin. Seine Schlussfolgerung: „Man sollte sich nicht zu sehr auf die Assistenzsysteme verlassen und beim Fahren stets aufmerksam bleiben.“

Lassen sich die Systeme deaktivieren oder überwinden?

„Der Gesetzgeber schreibt vor, dass die geforderten Systeme bei jedem Fahrtantritt aktiv sein müssen“, sagt Michael Schneider. „Wenn jemand also zum Beispiel den Spurhalteassistenten ausschaltet, wird er bei der nächsten Fahrt wieder aktiviert sein.“ Ob sich ein System überhaupt deaktivieren lässt, sei von Hersteller zu Hersteller unterschiedlich.

Übrigens: Bestimmte Eingriffe der Assistenten können bewusst übersteuert werden. So lässt sich beispielsweise das automatische Bremsen des intelligenten Tempoassistenten durch forsches Gasgeben überwinden. Für einen fehlgeleiteten Spurhalteassistenten bedarf es einer kräftigen Lenkkorrektur.

Müssen ältere Autos nachgerüstet werden?

„Nein, das ist nicht der Fall“, sagt Schneider. „Auch technisch ist das in den meisten Fällen gar nicht möglich.“

Was passiert mit Neuwagen, die noch nicht alle Systeme haben?

Variante eins: Hersteller können für diese Autos eine Ausnahmegenehmigung beantragen, um sie noch verkaufen zu dürfen. Variante zwei: Händler müssen die fraglichen Neuwagen vor dem 7. Juli per Tageszulassung anmelden. Wie groß das Angebot von Neuwagen ohne umfassende Assistenzsystem-Ausstattung ab dem 7. Juli sein wird, ist allerdings schwer zu sagen. Er halte es durchaus für möglich, dass Käufer bei solchen Modellen ein Schnäppchen machen können, sagt Michael Schneider.

Gibt es noch mehr Änderungen zum Stichtag 7. Juli?

Ja. Erstmals zugelassene Fahrzeuge müssen dann auch noch über einen Schutz vor Cyberangriffen verfügen. Sind sie mit automatisierten Fahrfunktionen ausgestattet, sind zusätzlich Systeme zur Überwachung der Fahrerverfügbarkeit und zur Weitergabe von Sicherheitsinformationen an andere Verkehrsteilnehmer (Car-to-X-Kommunikation) vorgeschrieben.

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