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„Der Schmerz gehört dazu“: Tattoos als Spiegel der Seele

Künstlerin und treue Kundin erzählen

„Der Schmerz gehört dazu“: Tattoos als Spiegel der Seele

„der schmerz gehört dazu“: tattoos als spiegel der seele

Ihre Kunstwerke präsentiert Tätowiererin Eva Franke an der Studiowand in Ebersberg. Alle Motive hat sie individuell entworfen und gestochen – die Vorlagen: zu schade zum Wegwerfen.

Für Tattoo-Fans sind die Bilder und Zeichen auf ihren Körpern meist viel mehr als nur Optik: Sie erzählen eine Geschichte, verewigen Erinnerungen und Beziehungen. Tätowieren ist Hobby, Kunstform und ein Lebensgefühl, das zeigt ein Besuch in Eva Frankes Studio „Soulink“ in Ebersberg.

Ebersberg – Simone Geisler zuckt und jammert nicht. Sie verzieht nicht einmal das Gesicht, als Eva Franke die surrende Nadel über die empfindliche Haut am Handgelenk führt, wo es nicht weit bis zum Knochen ist. In einem Zug sticht die Ebersberger Tätowiererin das letzte „e“ und ihre Kundin sagt: „Der Schmerz gehört dazu.“ Bevor man ein Tattoo sehen kann, muss man es spüren. Auch darauf hat sich Simone Geisler gefreut. Nun steht auf ihrem linken Handgelenk der Schriftzug „the past does not equal the future“ – zu Deutsch: Die Vergangenheit entspricht nicht der Zukunft.

Die Tattoos erzählen mein ganzes Leben.

Simone Geisler

Es ist eine Lebenserfahrung, um die die 41-Jährige aus Aßling kürzlich reicher geworden ist, erzählt sie. Sie habe eine neue Liebe gefunden, obwohl sie den Männern eigentlich abgeschworen hatte. Und wenn ihr Leben ein neues Kapitel schreibt, ob schön, traurig oder kurios, lässt sich die Arzthelferin dazu ein Motiv stechen. Eine Pusteblume für die Vergänglichkeit. Eine Schleife ums Handgelenk, um die Erinnerungen festzuhalten. Sterne, Herzen, Buchstaben, Tiermotive übersäen ihren Körper – die Aßlingerin hat sie nicht gezählt. „Jedes Motiv steht für sich und auch für mich“, sagt sie. „Die Tattoos erzählen mein ganzes Leben.“

„der schmerz gehört dazu“: tattoos als spiegel der seele

Mit der Nadel unter die Haut: Simone Geisler aus Aßling hat es sich auf der Liege des Ebersberger Tattoo-Studios „Soulink“ bequem gemacht. Auf ihrem Arm verewigt Tätowiererin Eva Franke den Schriftzug „the past does not equal the future“.

Oft steckt hinter den Wünschen ihrer Kundschaft eine emotionale Geschichte, beobachtet Eva Franke (39), die in der Kreisstadt das Tätowier- und Piercing-Studio „Soulink“ betreibt; auf Deutsch heißt das so viel wie „Seelentinte“. Ein Tattoo bedeutet dann, ein Stück Innenleben sichtbar zu machen, es auf der eigenen Haut verstofflichen und verewigen zu lassen. Gepiercte Augenbrauen, Nase, Ohren: Franke zeigt, was ihre Zunft kann. Auf der Brust der Tätowiererin blühen Rosen, wenn sie den rechten Unterarm dreht, winden sich darauf die Türme der Münchner Frauenkirche, vom linken Arm ruft ein Totenschädel das Motto „My life, my way“ – mein Leben, mein Weg, darunter prangt das Harley-Davidson-Logo. Wenn sie nicht tätowiert, fährt Franke gern Motorrad. Ihre Tattoos kann sie natürlich nicht selber stechen, sie geht dafür in ein Studio ihres Vertrauens in München. Am schmerzhaftesten sei der Lidstrich gewesen, bekennt sie.

„der schmerz gehört dazu“: tattoos als spiegel der seele

In welcher Schriftart sie ihr Tattoo auf den Arm gestochen bekommt, entscheidet Simone Geisler spontan.

„Packen wir’s ein“, sagt Simone Geisler und blickt auf ihren frisch tätowierten Unterarm. Die Haut um die schwarzen Lettern glüht rot von der Behandlung. „Genau so“, sagt sie und nickt zufrieden. Eva Franke überklebt das 13 Zentimeter lange Bild mit einer Folie, die mehrere Stunden dort bleibt. Danach muss die entzündete Stelle wochenlang gepflegt werden, bis sie ausgeheilt und Schriftzug und Körper verschmolzen sind. „Tätowieren macht mir Spaß, das ist mein Leben“, sagt die Künstlerin. Sie könne diese Präzisionsarbeit den ganzen Tag machen, erfahrungsgemäß sei bei den meisten Kunden aber die Schmerzgrenze nach rund drei Stunden erreicht.

Schmerzen vergisst der Körper schnell – ein Tattoo vergisst er nie

Auch Simone Geisler stellt sich darauf ein, dass sie wie meistens nach dem Tätowieren frieren wird, vielleicht sogar etwas Schüttelfrost bekommt. Den bekämpft sie mit Kalorien, etwa Hamburger mit Pommes. „Der Körper braucht etwas retour“, sagt die Kundin über den Stress. „Das ist Anstrengung – wie Marathon laufen“, sagt die Tätowiererin. „Aber der Körper vergisst sehr schnell.“ Doch ein Tattoo vergisst die Haut nie.

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Eva Franke hat das verinnerlicht. „Ich sage immer meine Meinung“, betont sie. Sie zeichnet fast alle Motive selbst, hat aber auch schon Logos von Fußballvereinen, Kinderzeichnungen, ja sogar das Bild einer Waschmaschine gestochen. „Am Ende zählt der Wunsch des Kunden. Es ist schön, wenn die Leute mit einem Lächeln aus dem Geschäft gehen“, sagt sie. Trotzdem schickt sie auch Leute weg. Sie sticht keine Unter-18-Jährigen, auch nicht mit Einwilligung der Eltern. „Tätowieren ist immer auch eine Körperverletzung“, betont sie. Deshalb müssten die Kunden gänzlich selbst entscheiden können. Auch verbotene Symbole wie SS-Runen wurden ihr schon angetragen, dann lehnt sie ab. Und wenn das erste Tattoo eines jungen Menschen gleich am Hals oder ähnlich auffälliger Stelle gewünscht wird – oder absehbar ist, dass es etwa wegen zu schmaler Schrift kaum lesbar sein oder schlecht altern werde. „Als Tätowierer trägst du die Verantwortung mit“, sagt Franke.

Vorsicht bei chinesischen Schriftzeichen: „Wenn du nicht weißt, was da steht…“

Sie sagt auch: „Wenn du nicht weißt, was da steht, würde ich es nicht tätowieren lassen.“ Den englischen Schriftzug für Simone Geisler winkt sie selbst durch. Bei chinesischen Schriftzeichen, beliebt wegen der Optik und Symbolträchtigkeit, rate sie von einer Internet-Übersetzung ab und verweise an die chinesische Botschaft. „Die helfen gerne“, ist ihre Erfahrung. Und lieber einmal mehr nachgefragt, als versehentlich „einmal Ente süßsauer“ auf dem eigenen Nacken verewigt.

„der schmerz gehört dazu“: tattoos als spiegel der seele

Vertrauensbeziehung: Simone Geisler beobachtet ihre Tätowiererin Eva Franke bei der Arbeit. Sie ist Stammkundin.

Ihren nächsten Tattoo-Wunsch kennt Simone Geisler bereits: Ein Löwen-Pärchen auf dem Oberschenkel soll es sein. Auch dafür geht sie zu Eva Franke ins Studio, auch wenn oder gerade weil es wehtut. „Das ist eine Vertrauensbeziehung“, sagt sie. Und über die Motive auf ihrer Haut: „Die fügen sich wie ein Puzzle zusammen.“ Schließlich schmunzelt sie und sagt über sich als werdendes Gesamtkunstwerk: „Ich glaube, dass meine Enkelkinder einmal keine Bilderbücher brauchen.“

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