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Der beste US-Kinofilm des Jahres: Ferrari

der beste us-kinofilm des jahres: ferrari

Der beste US-Kinofilm des Jahres: Ferrari

Eine Hymne auf die Kunst der Bewegung, auf Italien und auf die Schönheit. Michael Mann‘s Film ist Adrenalin-Kino von zwingender Intensität.

Du bist ein Ferrari, ich kann dich nicht kaufen/

Aber ich kann dich leihen, ja/

Ich steig’ ein/

Can you fühl what I feel für dich?/

Can I fühl what you feel für mich?/

I can make you fühl/

You can make me feel/

fuffifufzich (Vanessa Loibl): Ferrari

Es gibt keine Poesie ohne Bewegung. Keine Anmut ohne Atmen, ohne Zögern, ohne jenen Augenblick des Innehaltens für Sekundenbruchteile: entspannte Anspannung, Einatmen vor dem Loslegen, Stille vor dem Schuss.

Das Kino von Michael Mann ist ein Kino der Bewegung, des Pulsierens, der geschmeidigen Eleganz, des movements der movies, der Geschwindigkeit. Manns Kino ist schon seit “Thief” und “The Last of the Mohicans” Adrenalin-Kino, das immer in Bewegung ist, nicht stehen bleiben kann und will.

Und wenn es einmal keine Bewegung zu geben scheint, so ist es dieses anmutige Innenhalten.

Universales Drama, existentielle Fragen

Auch in Zeiten von Klimawandel und Energiekrise kommen Autorennen nicht aus der Mode. Aber ihre klassische Epoche, die Zeit der 1950er und 1960er-Jahre, als Rennboliden raketenschnell und zugleich zerbrechlich wie rohe Eier waren, und fast die Hälfte aller Rennsportler ihre Karriere nicht überlebte, scheint unwiederbringlich dahin.

Von ihr erzählt jetzt Michael Mann in seinem Film “Ferrari” (seit 1. März bei Prime Video). Dies ist der beste US-amerikanische Film des letzten Kinojahres; er stellt vergleichsweise biedere Werke wie den mehrfachen Oskargewinner “Oppenheimer”, oder auch “Killing of the Flower Moon”, exaltierte akademische Manifeste wie “Poor Things” weit in den Schatten, und hätte unbedingt mehrere Oscar-Nominierungen verdient gehabt.

Das Schicksal auch dieses Films belegt, dass der Oscar längst zu einer reinen Arthouse-Veranstaltung für Kunstszene und Medienboulevard geworden ist – ohne Sensorium oder Belang für den Markt.

Es geht in dem Film um Enzo Ferrari, den legendären Gründer des gleichnamigen Rennstalls. Der Regisseur zeigt ihn sensibel und weich, und zugleich als autoritären Firmenchef. Ein phänomenaler Film, nicht nur für Autorennfans.

Michael Manns Film erzählt eine einzige, vielleicht aber die entscheidende Episode aus dem Leben des legendären “Commendatore” Enzo Ferrari (1898-1988), des Gründers des gleichnamigen Rennstalls, der diesen bis kurz vor seinem Tod regierte.

Der US-amerikanische Meisterregisseur, der mit der visuellen Intensität, Melodramatik und Schauspielführung von Werken wie “Heat” und “Collateral” weltberühmt wurde, hat allerdings den legendären Rennfahrer und schnelle rote Autos vor allem im Blick, um sie als Folie und Material für ein weiteres seiner universalen, epischen Dramen über existentielle Fragen einzusetzen.

Leben als Vor-Fahren zum Tode

Die Sonne geht auf über der flachen Landschaft Norditaliens. Ein Mann wacht auf neben seiner Frau. Er steht auf, ohne sie zu wecken, kleidet sich an und steigt in seinen Wagen. Er fährt, schnell, geübt, und dennoch spürt man, wie der Tod jedes Mal mitfährt, wenn sich in jenen Zeiten einer dieser Wagen in Bewegung setzt.

Das Leben als Vorfahren zum Tode. Wir wissen da schon – aus den ersten Schwarzweiß-Bildern, die Enzo Ferraris eigene Karriere als Rennfahrer der Zwanzigerjahre skizziert haben –, dass es sich bei dem Mann um Enzo Ferrari handelt.

Das Auto fährt weiter über die Ebene, wirbelt die letzten Morgennebelschwaden auf, erreicht die Stadt: Modena. Er fährt weiter – zu seiner Frau. Sofort sind Arbeit und Ehe und die Krisen von beidem miteinander verbunden: Ein Mann unter Stress, die Aufgaben drohen ihn zu überwältigen.

Die nächsten beiden Szenen runden das erste Porträt der Titelfigur ab, noch al fresco: Ein paar Anrufe der Spitzel am Bahnhof, ein paar schnelle Blicke des Chefs, um die Situation zu erfassen, ein paar Rückrufe und Aufträge an die Fahrer. Dann ein Besuch am Friedhof, mit einem Blumenstrauß. Er spricht zu seinem toten Sohn, er spricht von den Geistern der Vergangenheit.

“Das Auto ist mein Leib”

Kurz danach eine der ersten Glanzleistungen des Regisseurs: Parallel gesetzt wird ein Rekordversuch – ein Auto fährt Runde um Runde, und versucht, immer schneller zu werden – mit einem Gottesdienst in der San Pietro Kathedrahle von Modena. Mozart’s “Ave Verum” wird gespielt.

Die Männer können in der Kirche den Startschuss von der nahegelegenen Strecke hören, sie stoppen die Zeiten des Autos mit der Uhr (übrigens einer sowjetischen), der Priester feiert das Abendmahl und spricht: “Hoc est enim corpus meum”, “dies ist mein Leib”. Vor allem aber predigt er: Wenn Jesus heute geboren würde, wäre er kein Tischler; er würde natürlich Metall schmelzen und Autos bauen.

Das Abendmahl, die Verschmelzung der Menschen mit dem Göttlichen und mit dem Leib Christi ist damit auf gleich zwei Ebenen auch die Verschmelzung des Autos mit der Bewegung: Das Auto, aber nur das bewegte, ist ein sakraler Gegenstand. Es ist der Leib Christi. Und der Tod wird aufgehoben durch das ewige Leben. Denn was sich bewegt, das lebt. Nur der Stillstand ist der Tod.

Adam Drivers Auftritt als Enzo Ferrari ist der beste seiner Karriere

Alles spielt ausschließlich im Jahr 1957: Ferrari, der seinem Rennstall seit den 1920er-Jahren vorsteht und ihn sicher durch Faschismus, Weltkrieg und Nachkriegsbesatzung steuerte, ist in großen finanziellen Schwierigkeiten und braucht dringend einen neuen Rennerfolg im Wettstreit mit der Konkurrenz von Maserati.

Noch wichtiger: Vor nicht langer Zeit starb sein geliebter Sohn und einziger Erbe der Firma an einer unheilbaren Krankheit. Im Zuge dessen hat Enzo sich zunehmend seiner Frau Laura entfremdet. Schon seit zwölf Jahren hat er eine Geliebte und mir ihr einen unehelichen Sohn. Dieser Piero wäre der natürliche Erbe. Nur weiß Laura nichts von ihm und der Geliebten – Enzo will sie nicht kränken. Aber natürlich bekommt sie alles irgendwann mit.

Penelope Cruz spielt diese betrogene Laura, die eifersüchtig ist, auch ein bisschen als Frustrierte, Unglückliche. Schailene Woodly spielt die langjährige Geliebte und Mutter des heutigen Firmenchefs Lina Lardi.

Vrooaa!

Selbstverständlich aber ist dieser Film aber – Vrooaa – vor allem ein großer Auto-Rennfilm in der Tradition von Genre-Klassikern wie John Frankenheimers “Grand Prix” und “Ronin” (mit Yves Montand, James Garner, Toshiro Mifune) oder “Le Mans” (mit Steve McQueen) von John Sturges, die einst alle unter Mitwirkung echter Formel-1-Stars entstanden waren.

Die Sechziger- und frühen Siebzigerjahre waren die Hochzeit des Rennsports, und die genannten entstandenen Filme spiegeln diesen Boom – zur gleichen Zeit entstanden auch große Renn-Dokumentarfime von Starregisseuren wie Roman Polanski (“Weekend of a Champion”, 1971) und Hiroshi Teshigahara (“Indi car race – Roaring course”; 1967).

Michael Mann filmt Autorennen mit der gleichen Intensität wie einst die Banküberfälle in “Heat”

Michael Mann wiederum nutzt heute seine bekannten Mittel: Tempiverlagerung, pulsierende Musik zu ständig bewegter Kamera, die ständig in die Subjektive wechselt, etwa die eines fahrenden Autos. Mann filmt die Autorennen im Zentrum des Films mit der gleichen Rasanz und Intensität wie einst die Banküberfälle in “Heat”.

Das wird schon früh deutlich. Da kommt einer von Ferraris Fahrern bei einer Testfahrt zu Tode. Es ist ein spektakulärer Unfall im Kino, man spürt das Metall, hört das Krachen und Bersten der Bestandteile.

Ferrari selbst zuckt kaum mit einer Miene seines Gesichts. Seine Reaktion: Er dreht sich zu Alfonso de Portago um, der ihn kurz zuvor noch vergeblich um eine Position als Fahrer angesprochen hatte, und sagt ihm: “Kommen Sie am Montag in mein Büro.”

Die Gefahr ist immer präsent. Der Boulevard-Mob listet die Namen der Gefallenen auf: Castellotti, Turnaccio … Sie nennen ihn den “Saturn der Industrie, der seine Kinder frisst.”

Der Shogun und seine Samurai: “Bremsen sie später! Nehmen Sie in die Ideallinie”

Mann zeigt Enzo Ferrari als den Shogun der heroischen Epoche des Rennsports, in der die Fahrer wie seine glamourösen Samurai sind, die entsprechend für das Ganze zu sterben haben und sterben wie die Fliegen.

Das beweist – eine zweite Glanzleistung des Regisseurs – die Rede, die Enzo nach einem verlorenen Rennen seinen Fahrern hält:

Ihnen fehlt es an Hingabe. Commitment!

Das Aufgebot von Maserati: Fangio, Behra, Sterling Moss. Männer mit ungezügeltem Siegeswillen. Mit einer grausamen Leere in ihren Mägen. Eiskalte Männer. Ihre Loyalität gilt nicht der Truppe, sondern nur ihrer Gier zu gewinnen. Es regnet, die Strecke ist schmierig von Öl, ein störrischer Wagen, werden sie zögern? Nein! Mein Aufgebot: beherzt, talentiert, sicher! Aristokraten und Gentlemansportler – wie imposant!

Bitte nicht falsch verstehen: Wir sind alle sicher, wir kommen nie zu Tode. Aber unsere Leidenschaft ist todbringend. Eine schreckliche Freude. Aber wenn Sie in einem meiner Autos starten – und niemand nötigt Sie, sich da rein zu setzen –, dann, um zu gewinnen. Bremsen sie später! Nehmen Sie in die Ideallinie.

Rennen fahren heißt Sterben lernen

Es geht dem Regisseur darum, zu zeigen, ob und wann man sein Leben riskieren sollte. Es geht darum, das Sterben zu lernen.

Die besten Momente des Films, die am deutlichsten auf dieses Thema sind die ruhigen, ernsten, wie der in dem die Fahrer nachts im Hotel für den nächsten Renntag Ruhe tanken und vorm Insbettgehen noch ihre Abschiedsbriefe schreiben: “Im Falle meines Todes zu öffnen…”

Mann schneidet diese Szenen parallel zueinander. Einen der Fahrer wird es tatsächlich am nächsten Tag erwischen, und wer sich im Rennsport auskennt, weiß, dass vier der acht Fahrer, die man hier näher kennenlernt, ihre Karriere nicht überlebten.

Kein Macho-Schinken

Trotzdem ist dies kein Macho-Schinken – wie immer bei Michael Mann sind die Frauen den Männern ebenbürtig, auch in Härte und Realismus. Laura will ihren Mann zwingen, eine Entscheidung zu treffen, die auch eine zwischen den beiden Söhnen wäre, zwischen dem toten und dem lebenden. Aber sie weiß, dass ihr Mann sich im Zweifel für die Firma entscheiden würde, also für den lebenden Sohn.

Dass aber Enzo Ferrari sich nicht zwischen den beiden Frauen entscheidet, sondern beiden gegenüber loyal bleibt, macht diese Figur modern.

Pasta, Rotwein und Musik

Daneben findet man auch hier eine große Kino-Italienhymne voller Sinnlichkeit, mit der sich Mann als Italophiler outet: Höhepunkte sind ein großes Mittagessen mit Pasta, Rotwein und Musik, ein gemeinsamer Opernbesuch, bei dem jeder seine eigenen Gedanken zur Musik entwickelt und dann im letzten Drittel die “Mille Miglia”, das Zweitagerennen durch Nordostitalien, das die Pracht des Landes auf die Leinwand wirft.

Ein Augenblick des Innehaltens

Insgesamt ist “Ferrari” ein phänomenaler Film von geschmeidiger Eleganz, Kino von zwingender Intensität, flirrender Kinetik und existentieller Gravitas. Die Feier reiner Schönheit.

Eine italienische Nachkriegsgeschichte, die auch eine Aufstiegsgeschichte aus den Trümmern des Nachkriegs ist, zugleich eine der Erlösung: Am Ende nimmt Enzo die Hand seines Sohnes Piero und geht mit ihm auf dem Friedhof von Modena zum Mausoleum, in dem sein Sohn Dino Ferrari (1932-1956) begraben liegt, und wo er schon am Anfang des Films Blumen niederlegte. “Komm’ Piero, ich stelle Dir Deinen Bruder vor.”

Enzo verweigert auch die Entscheidung zwischen seinen beiden Söhnen. Ein Augenblick des Innehaltens. Vor der nächsten Bewegung.

Vrooaamm!

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