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„Bleibatterien werden wir noch lange im Auto sehen“

Federico Morales-Zimmermann vom Batteriehersteller Clarios erklärt im Interview, warum Elektroautos auch Niederspannungs-Akkus benötigen.

Clarios ist mit einer Jahresproduktion von rund zehn Millionen Batterien im Jahr der weltweit größte Hersteller von Niedervolt-Stromspeichern für Autos, Nutzfahrzeuge und Motorräder. Rund vier Millionen davon produziert die ehemalige Johnson Controls Power Solutions in Hannover, auf dem früheren Gelände der Varta AG – das Traditionsunternehmen hatte die Autobatteriesparte 2002 verkauft. Und das Geschäft entwickelt sich weiter prächtig, trotz oder auch gerade wegen der Antriebswende: Der Bedarf an Niederspannungs-Akku steigt eher als dass er fällt.

Warum, erklärt im Interview Federico Morales-Zimmermann. Der Elektro-Ingenieur ist seit 2023 für Clarios als Cheftechniker tätig und leitet zudem die Geschäftsbereiche Kernprodukte, Energiesysteme und Vernetzte Dienstleistungen. In der Funktion treibt er auch die Entwicklung neuer Speichertechnologien voran: Tragende Säule des Geschäfts ist heute noch die klassische Blei-Säure-Batterie in verschiedenen Ausprägung. Aber eine Produktion von Lithium-Ionen-Batterien ist in Niedersachsen bereits angelaufen – und ein Natrium-Ionen-Akku ist in der Entwicklung. Es gibt also einiges zu bereden.

„bleibatterien werden wir noch lange im auto sehen“

Federico Morales-Zimmermann Der Elektroingenieur leitet beim Batteriehersteller Clarios in Hannover die technische Entwicklung. Foto: Scott Fosgard

Herr Morales-Zimmermann, die Geschäfte von Clarios in Europa scheinen gut zu Laufe: Der Konzern gab kürzlich bekannt, seine Produktionskapazitäten erneut zu erweitern, um die Produktion von AGM-Starterbatterien weiter hochzufahren.

Ja, wir können uns nicht beklagen. Das Gute ist ja, dass jedes Auto eine Batterie braucht – ganz unabhängig vom Antriebskonzept. Ganz egal, ob es konventionell angetrieben wird, teil- oder vollelektrisch fährt.

Letztere haben Antriebsbatterien mit zum Teil riesigen Kapazitäten an Bord. Warum brauchen die überhaupt noch eine Bleibatterie?

Die Frage kriege ich immer wieder gestellt.

Und was antworten Sie darauf?

Rein technisch ist es durchaus möglich, den Strombedarf für die Beleuchtung oder das Infotainmentsystem aus der Traktionsbatterie zu beziehen. Die arbeitet zwar mit Hochspannung, aber mit einem Umwandler ließe sich der Strom auf jede Spannungsebene herunterregeln, auf 12, 24 oder 48 Volt. Das ist kein Problem und wird zum Teil auch schon gemacht. Aber die Frage ist auch eine sicherheitsrelevante.

Inwiefern?

Wenn die Hochspannungsbatterie ausfällt oder der Wandler, muss ich das Auto noch bremsen und lenkenkönnen: Bei immer mehr Fahrzeugen ist die Lenkung elektrisch und drahtgesteuert, nicht mehr rein mechanisch. Und die Warnblinkanlage sollte dann auch noch funktionieren. Viele Hersteller schalten übrigens die Hochspannungsbatterie in ihren Fahrzeugen vorsorglich aus, wenn die Assistenzsysteme erkennen, dass sich ein Zusammenstoß mit einem anderen Auto nicht mehr vermeiden lässt.

„bleibatterien werden wir noch lange im auto sehen“

Vorbereitung zur ersten Ladung Bevor der Deckel draufkommt, werden die neuen Starterbatterien mehrere Stunden lang geladen – in großen Paketen und einer hochmodernen, geschützten Halle.

Um zu verhindern, dass die Traktionsbatterie sich beim Aufprall entzündet?

Hochspannung von 400 oder 800 Volt ist supergefährlich, wenn sie sich auf das Fahrzeug-Chassis überträgt. Deshalb wird sie unmittelbar vor dem Aufprall abgeschaltet. Auch um der Feuerwehr die Bergung von Unfallopfern zu erleichtern.

Das leuchtet ein. Eine Niederspannungs-Batterie wird zumindest als Notstromaggregat auch in Zukunft immer an Bord sein?

Wahrscheinlich sogar mehr als nur eine Batterie.

Warum das?

Das Auto der Zukunft ist ein Software defined Vehicle, bei dem die Bremsen und die Lenkung by wire, über eine elektrische Verbindung gesteuert werden. Das bedeutet einerseits eine hohe Komplexität. Andererseits braucht es aus Sicherheitsgründen redundante Systeme.

Wissen Sie, wie viele Batterien an Bord der neuen S-Klasse von Mercedes sind?

Ehrlich gesagt, nein.

Drei Stück sind es. Zwei Batterien werden für teilautonome Fahrfunktionen benötigt. Hinzu kommt dann noch eine 48-Volt-Batterie für den mildhybriden Antrieb. Sie sehen: Unser Content per Vehicle wird als größter Hersteller von Niederspannungsbatterien eher größer als kleiner. Allein durch die Umstellung von der alten Bleibatterie zur AGM-Batterie wächst die Wertschöpfung um den Faktor 1,5. Und wir erweitern unser Ökosystem im Niederspannungsbereich ja noch um Elektronik und Software.

„Wenn die Hochspannungsbatterie ausfällt oder der Wandler, muss ich das Auto noch bremsen und lenken können.“

Morales-Zimmermann über die Notwendigkeit einer Niedervolt-Batterie im Elektroauto

Das größte Geschäft macht Clarios ohnehin im Aftermarket-Bereich: An einen Fahrzeughersteller verkauft man die Batterien nur einmal, an die Autobesitzer wegen der begrenzten Lebensdauer der Akkus mehrfach.

Das ist so.

Ändert sich die Lebensdauer mit der neuen Batterietechnologie? Mit welcher Lebensdauer können wir da künftig rechnen?

Die Lebensdauer konventioneller Nassbatterien ist in den vergangenen Jahrzehnten schon deutlich gewachsen, bei guter Pflege sollte sie heute zwei Jahre funktionieren.

Was heißt gute Pflege?

Batterien mögen es überhaupt nicht, wenn sie ständig auf fünf bis zehn Prozent entladen und dann wieder komplett aufgeladen werden. Sie kennen das vom Smartphone – nach zwei Jahren ist der Akku meist hin. Idealerweise wird der Landestand möglichst konstant gehalten. Dann hält eine SLi-Batterien (Bleibatterie für Starting, Lighting, Ignition, zu deutsch: Start, Licht, Zündung) zwei bis drei Jahre, eine AGM drei bis fünf Jahre.

„bleibatterien werden wir noch lange im auto sehen“

Mit hoher Leistungsdichte Die Zellen für die neue Lithium-Ionen-Batterie von Clarios werden in den USA produziert. In Hannover werden sie von Robotern zu einer Hochleistungs-Starterbatterie für Fahrzeuge aller Art zusammengesetzt. Fotos: Clarios

Und eine Lithium-Ionen-Batterie? Die bietet Clarios inzwischen auch für den Niederspannungsbereich an.

Acht bis zehn Jahre. Das entspricht dann fast schon der Lebensdauer des Fahrzeugs. Auch die Natrium-Ionen-Batterie, an der wir gemeinsam mit dem schwedischen Hersteller Altris arbeiten, verspricht eine ähnlich lange Lebensdauer.

Aber Clarios bleibt im Niederspannungsbereich?

Vor zehn bis 15 Jahren hat unsere damalige Mutter Johnson Controls Hochspannungs-Akkus produziert und unter anderem für Autos von Mercedes mit Hybridantrieb geliefert. Aber damals hat noch keiner so richtig an die Technik und die Antriebswende geglaubt.

Eine Fehleinschätzung, aus heutiger Sicht.

Vielleicht. Der Hochspannungs-Markt ist sehr wettbewerbsintensiv. Die Japaner und Chinesen haben eine wesentlich längere Erfahrung damit.

Die hatten Sie aber auch.

Und die nutzen wir heute auch bei der Fertigung unserer Lithium-Ionen-Batterie. Clarios ist einer der größten Zulieferer von Lithium-Ionen-Akkus für den Niederspannungsbereich. Wir haben das Know-how und auch etliche Patente auf die Technologie.

Clarios arbeitet auch an Superkondensatoren zur Stromspeicherung. Was versprechen Sie sich davon?

„bleibatterien werden wir noch lange im auto sehen“

Aufbau einer AGM-Batterie  Bei der AGM-Batterie handelt es sich um die neueste Bauform einer Blei-Säure Batterie. Die drei Buchstaben stehen für „Absorbent Glass Mat“: Ein Glasfaservlies bindet hier das Elektrolyt. Sie sind auslaufsicher und haben einen geringen Innenwiderstand. Angestoßen wurde ihre Entwicklung in den 1980er Jahren vom US-Militär. Clarios bietet sie unter anderem unter dem Markennamen Varta an. Grafik: Clarios

Das ist eine hochspannende Technik. Die Ultra Caps habe eine sehr interessante elektrische Eigenschaft: Sie können Energie sehr schnell aufnehmen – und sehr schnell, in Millisekunden, wieder abgeben. So etwas könnte zur Stabilisierung des Fahrzeug-Chassis hilfreich sein. Es braucht sehr viel Energie, um ein Fahrzeug in einer schnellen Kurve gerade zu halten. Die Superkondensatoren könnte dabei elektrische Stoßdämpfer unterstützen. Auch als zusätzlicher Energieversorger im Fahrzeug, als Ergänzung zur AGM- oder Lithium-Ionen-Batterie, könnten sie Sinn machen. Wir haben gerade Projekte laufen, bei denen Lithium-Ionen-Akkus und Superkondensatoren zusammen mit einer Elektronik ein hybrides System bilden.

Früher war die Batterie eines der letzten Bauteile, die ins Auto kamen – heute ist Ihre Expertise wesentlich früher gefragt, vermute ich.

Eine Starterbatterie war früher für die Autohersteller eine Blackbox. Die Bordspannung stand fest, festgelegt wurde vom Einkauf nur die Speicherkapazität. Heute hat ein Auto, erst recht ein Lastzug, so viele elektrische Teile und Verbraucher an Bord, dass die Stromversorgung mit unterschiedlichen Leistungen ein hochkomplexes Thema ist. Wir können das gesamte System noch vor dem Produktionsanlauf simulieren und dann genau sagen, wie die beste Lösung für das Fahrzeug aussieht. Wir sprechen heute mit den Herstellern über Autos, die erst in vier bis fünf Jahren auf den Markt kommen – und wesentlich stärker als heute Software-definiert sind. Elektrifizierung und Digitalisierung sind die großen Treiber unseres Geschäfts. Unsere neuen Services sollen beides miteinander verbinden.

Es geht also mehr in Richtung Energiemanagement, nicht mehr allein um Energiespeicherung?

Richtig. Die Entwicklung von Speicherlösungen ist wichtig, aber wichtiger ist die Weiterentwicklung des Systems, des Bordnetzes. Die Akquisition der Batteriesparte von Paragon hilft uns dabei.

Ist das Pkw-Technik komplexer oder die für Nutzfahrzeuge?

Beides ist ähnlich komplex. Bei den Nutzfahrzeugherstellern spielt nur der Aspekt „Cost of Ownership“ eine größere Rolle: Wie reduziert man die Kosten der Fahrzeugs im Betrieb. Beiden Bereichen gemeinsam ist aber der steigende Energiebedarf jährlich um etwa 15 Prozent. Früher hat ein Pkw weniger als ein Kilowatt Strom gebraucht, heute sind wir bei etwa zwei Kilowatt -und es geht rauf bis auf sechs Kilowatt und mehr, wenn die Fahrzeuge erst einmal hochautomatisiert fahren.

„Der Energiebedarf eines Fahrzeugs wächst jährlich um etwa 15 Prozent.“

Morales-Zimmermann zur Notwendigkeit immer größerer Niedervolt-Batterien

Wie lange wird es überhaupt noch Bleibatterien geben? Seit dem 18. August darf der Bleianteil in Gerätebatterien, die in Europa vertrieben werden, maximal 0,01 Prozent betragen.

Wenn man wie wir den gesamten Blei-Lifecycle beherrscht und das eingesetzte Blei nahezu vollständig recycelt, dann ist eine Bleibatterie eine sehr gute Lösung. Ich denke, wir werden die Bleibatterie noch lange im Straßenverkehr sehen. Die Lösung bietet einfach zu viele Vorteile.

Die Politik sitzt Ihnen da also nicht im Nacken?

Es gab im vergangenen Jahr einigen Druck aus Brüssel. Aber mittlerweile haben sie wohl auch dort erkannt, dass es sehr schwierig würde, eine Ersatzlösung zu finden, die ähnlich günstig darstellbar wäre: Im Unterschied zu Lithium ist das Rohmaterial Blei auch weltweit gut verfügbar. Deshalb ist auch das Natrium-Ionen-Projekt für uns so wichtig: Natrium basiert auf Salzen und lässt sich überall gut gewinnen. Wir bemühen uns deshalb, den neuen Batterietyp so schnell wie möglich auf den Markt zu bringen.

Die Zellen für die Lithium-Ionen-Batterie produziert Clarios in USA selbst. Ließen die sich auch in einer Hochvolt-Batterie einsetzen?

Nein. Der Aufbau einer Zelle für eine Niedrigspannungs-Batterie ist ganz anders. Die Zellen für eine Antriebsbatterie brauchen eine hohe Energiedichte. Wir hingegen brauchen für unsere Batterie eine hohe Leistungsdichte. Die Konstruktion der Zelle ist deshalb anders. Auch sind unsere Anode und Kathode dicker als die im Hochspannungsbereich. Für Antriebsbatterien lassen sich unsere Zellen also nicht nutzen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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