Der Kampf um den besten Autopiloten wird nicht auf der Autobahn gewonnen. Zumindest nicht in China. Dort suchen die Fahrer vor allem Unterstützung im Großstadtdschungel. Die will ihnen Mercedes mit dem nächsten CLA geben und entwickelt dafür auf Level 2++. Wir sind schon mitgefahren.
- Die lokale Konkurrenz schläft nicht
- CLA nutzt vier Radare und zehn Kameras
- Mercedes möchte global autonom fahren
In Peking fährt der Mercedes CLA autonom im Stadtverkehr. (Bild: Mercedes-Benz)
Nur, dass er es diesmal nicht bei hehren Worten belässt, sondern zur ersten Mitfahrt in einem sogenannten Mule Car bittet, das nahezu autonom durch das vermeintlich anarchische Allerlei im Stadtverkehr von Peking fährt. Auf den ersten Blick eine schwarze S-Klasse wie jede andere, trägt sie ein paar mehr Kameras in den Kotflügeln und hat vor allem das erste eigene Betriebssystem MB.OS, das Mercedes parallel zur neuen Plattform MMA entwickelt. Darauf läuft ein Assistenzsystem, das sie in Stuttgart Level 2++ nennen und das viel weiter geht als alles, wofür sie in Deutschland bislang die Erlaubnis bekommen haben. Ja, Mercedes überlässt hierzulande den Fahrer vorübergehend gar vollends aus der Verantwortung und bieten das erste Level 3-System an. Doch während das nur unter eng definierten Bedingungen auf der Autobahn funktioniert und man mit Brüssel und Flensburg gerade um mehr ringt als Tempo 60, kämpft sich der Autopilot des kommenden CLA bis in die hintersten Ecken der chinesischen Hauptstadt vor. „Denn hier ist es, wo zumindest in China das Rennen ums autonome Fahren entschieden wird“, sagt Östberg und lässt den Blick wandern über eine chaotische Kreuzung, zehn Minuten vom Außenposten seiner Entwickler auf dem Gelände des BBAC-Werkes entfernt.
Die lokale Konkurrenz schläft nicht
Damit sind die Schwaben spät dran. Denn in Partnerschaft mit Elektronikkonzernen wie Huawei oder Xiaomi haben lokale Hersteller längts Systeme im Rennen, die bei der Navigation in der Innenstadt den gleichen Komfort bieten wie die hierzulande bekannten Autobahn-Assistenten. Während so mancher Chinese deshalb bereits mehr oder minder autonom durch Stadtviertel wie Chaoyang oder Haidian chauffiert wird, müssen S-Klasse-Fahrer noch selbst die Spur, das Tempo oder den Abstand halten – zumindest in einer gewöhnlichen S-Klasse.
CLA nutzt vier Radare und zehn Kameras
Dafür nutzt MB.OS keine zusätzlichen Sensoren und auch keine speziellen HD-Karten. „Sondern uns reicht das Set-Up, das wir in jedem Auto verbauen werden“, sagt Östberg und zählt laut auf, wie der CLA seine Welt sehen wird: Vier Radare und insgesamt zehn Kameras hinter der Scheibe, in den Spiegeln, am Bug und am Heck öffnen der Elektronik die Augen und ermöglichen ein 360-Grad-Panorama, das weit genug reicht, um etwa auf Kreuzungen auch in die Seitenstraßen zu schauen.
Anhalten, abwarten, abbiegen, beschleunigen, und wieder einscheren – all das klappt im Prototypen ohne Risiko. Der oberste Software-Entwickler aus Stuttgart ist bei seiner Stippvisite mit dem Erreichten sichtlich zufrieden. Aber noch fährt das System wie ein Fahranfänger, der aus einer ausgelutschten A-Klasse zum ersten Mal in einen AMG umsteigen durfte. Er bremst zu heftig, beschleunigt zu kräftig und lenkt zu zackig. Und auch wenn er es nie zu einer gefährlichen Situation kommen lässt, ist er von „vulnurablen Road Users“ wie Östberg die Fußgänger und Zweiradfahrer nennt, bisweilen merklich irritiert und erlaubt sich eine Bedenkzeit, die den Insassen wie eine Ewigkeit vorkommt. Selbst wenn es am Ende doch nur ein paar Sekundenbruchteile sind.
Mercedes möchte global autonom fahren
Diese Erfahrung sammelt der elektronische Neuling übrigens nicht nur in Peking oder Shanghai, sondern das System wird auch außerhalb Chinas an den Start gehen. Für die USA haben die Schwaben schon grünes Licht, sagt Östberg und berichtet auch von Gesprächen mit dem KBA, die durchaus Mut machen. Und ein bisschen Zeit haben Östberg uns seine Testfahrer ja noch – für den Feinschliff und für die Verhandlungen mit den Behörden. Denn bis die Technik auf der MMA-Plattform und dem CLA als erstem Vertreter dieser neuen Generation an den Start geht, dauert es noch mehr als ein Jahr. Und selbst wenn sie bis dahin nicht alles gelernt haben, ist das kein Beinbruch – nicht umsonst ist die neue Architektur zum Update bereit.