Ein Blick in die Produktion bei Toyota Motor 2017 Foto: imago imagesdata-portal-copyright=
Die japanische Autoindustrie fährt beim Batterieauto weit hinterher, weil die Hersteller ihre traditionelle Arbeitsweise nicht aufgeben wollen. Nun läuten bei Toyota die Alarmglocken.
Die Diskrepanz ist augenfällig: Während die japanische Autoindustrie rund 30 Prozent aller Personenwagen weltweit produziert, taucht keine einzige Marke aus Japan in der Liste der 20 größten Hersteller von Batterieautos auf, abgesehen vom Renault-Partner Nissan. Im vergangenen Jahr verkaufte Volkswagen rund 572.000 vollelektrische Autos. Unterdessen setzte Weltmarktführer Toyota 24.000 Batterieautos ab, bei Honda waren es sogar nur wenige Tausend Stück. Beide Fahrzeugriesen haben jeweils nur ein einziges Akku-Auto im Portfolio.
Die Zurückhaltung begründen die Japaner unter anderem damit, dass es für einen Elektroautoboom zu wenig grünen Strom und zu wenig Ladesäulen gibt und vielen Kunden diese Autos noch nicht bequem genug seien. Der wahre Grund für die Zurückhaltung liegt jedoch darin, dass die japanische Autoindustrie bisher keinen Weg gefunden hat, wettbewerbsfähige und profitable Batteriefahrzeuge zu fertigen. Statt die Transformation beherzt und mutig anzupacken, klammern sich die Manager an ihrem gewohnten Arbeitsstil fest. Sie behandeln das Batterieauto als eine Kategorie von vielen, während es in Wirklichkeit ein radikales Neudenken des Geschäftsmodells erfordert.
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Der designierte Toyota-Chef Koji Sato gestand dieses Manko am Montag dieser Woche in seltener Offenheit ein, als er eine Neuausrichtung der Elektrostrategie ankündigte: „Wir müssen die Art und Weise, wie wir unser Geschäft betreiben, drastisch ändern, von der Herstellung bis hin zu Vertrieb und Service, mit einer auf BEVs zentrierten Denkweise“, erklärte Sato. Was die übrige Branche „EV“ nennt, heißt bei Toyota „BEV“, gesprochen Bef, um das Batterieauto von den anderen elektrischen Antrieben Hybrid (HEV), Plug-in (PHEV) und Brennstoffzelle (FCEV) zu unterscheiden.
Schon die Sprachwahl verrät also den Ansatz, technologieoffen zu bleiben. Diese Dickköpfigkeit erklärt sich aus der Pionierrolle beim Hybridmotor, die erste Generation des Bestsellers Prius startete 1997. Toyota verkaufte 2022 insgesamt 2,6 Millionen Fahrzeuge mit einem kombinierten Benzin-Elektro-Motor, das war rund ein Viertel des eigenen globalen Absatzes. Der Branchenführer beherrscht dieses Geschäft mit dieser Antriebstechnologie nicht nur, weil es kaum Konkurrenzmodelle gibt. Toyota erzielt laut Schätzungen von Analysten mit Hybridautos auch eine höhere Marge als mit reinen Verbrennern.
Was der Enkel des Toyota-Gründers Kiichiro Toyoda nicht öffentlich sagt: Am Verbrenner hängt geschätzt jeder fünfte Arbeitsplatz in Japans produzierendem Gewerbe. Dafür fühlt Toyoda als Chef von Japans umsatzstärkstem Unternehmen eine große Verantwortung. Wie in Deutschland träfe eine schnelle Transformation ins Elektrozeitalter viele Zulieferer in der Existenz. „Das Batterieauto würde halb Nagoya, die Großstadt nahe dem Toyota-Firmensitz, arbeitslos machen“, kommentiert der Japan-Experte Jesper Koll. Nur: Wenn der Rest der Autobranche, die Politik in vielen Ländern und am Ende auch die Kunden anderer Ansicht sind, kann Toyota nicht dauerhaft den Besserwisser spielen.
Sicherlich zu Recht verweisen die Japaner darauf, dass der Siegeszug des Batterieautos nicht garantiert ist. Toyota-Chefwissenschaftler Gill Pratt warnte explizit vor einem Engpass bei dem Rohstoff Lithium, was die Preise der Akkus weiter in die Höhe treiben würde. Damit rückten auch kleine Batterieautos außer Reichweite vieler Verbraucher.
Seine Vorhersage erhält Gewicht durch Drohungen von China, den Export von Seltenen Erden zu beschränken. Wenn nicht genug Lithium vorhanden ist, um zig Millionen Elektroautos zu betreiben, so meint Pratt, sollte man die begrenzte Menge auf Hybridfahrzeuge aufteilen.
Seine These rechnet er anhand einer Flotte von 100 Verbrennern vor. Mit der Lithiummenge für 100 kWh starke Batterien könnte man für einen der 100 Verbrenner einen Tesla der Spitzenklasse mit großer Reichweite bauen. Das würde den Flottenausstoß an Kohlendioxid um 1 Prozent senken. Verteilt man die 100 kWh jedoch auf 90 Hybride und lässt nur zehn reine Verbrenner übrig, so sinken die Emissionen um 18 Prozent. Bei einer begrenzten Menge Lithium sind also viele Hybriden besser fürs Klima als wenige vollelektrische Autos. „Eine Mischung verschiedener Motortypen ist die beste Antwort“, meint Pratt. Also baut Toyota trotzig weiter Wasserstoffautos, entwickelt Honda eine neue Brennstoffzelle.
Als bisheriger Chef der Marke Lexus beaufsichtigte der 53-Jährige bereits die Entwicklung des ersten Elektro-Lexus RZ, der noch 2023 auf den Markt kommen soll. Daher soll die Luxusmarke als Experimentierfeld dienen. Lexus hatte bereits angekündigt, ab 2035 nur noch Batterieautos zu verkaufen. Der derzeitige Vizepräsident Masanori Kuwata erhält nun die Aufgabe, die Lexus-Fabrik auf der Hauptinsel Kyushu ganz auf Batterieautos umzustellen. Sie haben viel weniger Teile als Verbrenner und die meiste Wertschöpfung steckt in der Batterie. Daher bringt das Auswringen trockener Handtücher, die berühmte Spartechnik von Toyota, weniger ein. Auch bei der Optimierung der Hard- und Software für die Steuerung von Motor, Akkus und Innenelektronik dürfte einiges zu lernen sein.
In den Worten des designierten Konzernchefs: „Wir müssen die Eigenschaften der Elektrizität hinreichend verstehen, einen Schritt weiter gehen und die Autos auf die bestgeeignete Weise herstellen.“ Satos Aussage passt zu Gerüchten, wonach Toyota erstmals eine eigene Plattform für Elektroautos entwickelt, um die Bau- und Designvorteile von Elektroautos voll auszuschöpfen. Endlich stellt sich der Fahrzeugriese also der Herkulesaufgabe, seine Lean Production in das Elektrozeitalter zu übertragen. Aber einen schnellen Wandel traut man sich offenbar nicht zu – das BEV der nächsten Generation von Lexus soll erst 2026 kommen.
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