23.05.2024 11:56 Uhr | Lesezeit: 2 min
Das Range Rover House Kronberg © Foto: JLR
Die PS-Branche krempelt ihren Vertrieb um. Nicht nur, dass die Hersteller immer öfter den Zwischenhandel ausschalten. Sie setzten auch auf neue Begegnungsstätten statt althergebrachter Autohäuser. Fünf Beispiele.
Die Kfz-Branche sucht einen neuen Weg zum Kunden. Weil die Zeiten, in denen Neuwagenkäufer samstagelang über die Automeilen geschlendert und von einem Verkaufsraum in den anderen flaniert sind, offenbar zu Ende gehen, kommen die Hersteller ihrer Zielgruppe buchstäblich entgegen und drängen in die Innenstädte. Und weil es dort längst nicht so viel Platz gibt, dafür aber ein breiteres Publikum, streben sie nach alternativen Erlebnissen, bei denen das Produkt selbst oft genug in den Hintergrund rückt. So entstehen Clubhäuser und Lounges in zentraler Citylage.
Aber keine Sorge: Ganz wird das Autohaus nicht verschwinden, ist sich Arthur Kipferler vom Strategieberater Berylls in München sicher. “Denn die Sache hat einen Haken: Die Kosten sind hoch, lassen sich nur selten direkt den Umsätzen und Erträgen zurechnen und müssen aus einem gut gefüllten Marketing-Budget bestritten werden.” Deshalb seien solche Formate am ehesten für hochemotionale Marken geeignet. Bodenständigere Marken müssten dagegen weiterhin an möglichst effizienten Systemen arbeiten, in denen eine optimale Online-Kaufanbahnung mit physischen Kontaktmöglichkeiten eng verzahnt wird, sagt Kipferler: “Die Dacia-Lounge auf der Kö in Düsseldorf wird deshalb wohl nicht kommen.” Aber andere.
Tesla Store: Vorreiter in der Fußgängerzone
Als Tesla vor mittlerweile einem Jahrzehnt im großen Stil seinen Vertrieb gestartet hat, haben die Amerikaner aus der Not eine Tugend gemacht. Denn erstens hatte Elon Musk gar nicht die Mittel für ein groß angelegtes Netz klassischer Autohäuser – zumal der Verkauf ja ohnehin übers Internet abgewickelt werden sollte. Und zweitens hätte sich das Model S als damals einziges Modell neben dem längst ausverkauften Roadster in den herkömmlichen Glaspalästen wahrscheinlich glatt verloren. Statt große Betriebe auf der grünen Wiese hochzuziehen, ist Tesla stattdessen mit kleinen Läden in die Innenstädte gegangen, hat Fußgängerzonen oder Einkaufszentren erobert und damit einen Trend gesetzt. Denn schnell haben auch die Konkurrenten gemerkt, dass sie auf diese Weise auch unentschlossene an die Marke heranführen und all jene für ein Auto interessieren können, die dafür nicht bis an den Stadtrand fahren wollen – nur um dann schon freitags um 17 Uhr doch vor verschlossenen Türen zu stehen.
Tesla hat mit seinem Store-Konzept einen Trend gesetzt. © Foto: Tesla
Porsche Studio: Patisserie für Petrolheads
Wie sich Porsche den Autohandel der Zukunft vorstellt, zeigen die Stuttgarter unter anderem in ihrem neuen Porsche Studio in Singapur: Weil die Immobilienpreise im Stadtstaat viel zu hoch für ein klassisches Porsche-Zentrum sind und potentielle Kunden ohnehin zu viele Termine im Kalender haben, um nur zum Autoschauen raus an den Stadtrand zu fahren, hat man mitten in der Stadt eine coole Lokation eröffnet: Auf zwei Etagen in Guoco Midtown will das Studio eher eine Lounge sein mit duftenden Croissant im Café Carrera und vollwertigem Restaurant, als ein Autohaus im klassischen Sinne – voll mit Sofas und Sitzecken, Schreibtischen fürs öffentliche Co-Working und Schrankwänden voller Accessoires und Artikeln aus der Design-Collection. Neuwagen sind hier eher nebensächlich und unter den wenigen Autos, die es überhaupt hierhergeschafft haben, sind dann auch noch ein paar Young- und Oldtimer. Doch geschäftstüchtig wie die Schwaben nun einmal sind, stehen sie dem Kommerz im Studio natürlich nicht im Wege: Unter all den Exponaten findet sich natürlich auch ein Computer-Terminal, an dem jeder seinen Neuwagen konfigurieren und danach den Kaufvertrag unterschreiben kann.
Porsche Studio Singapur
Nio House: Community-Club in der City
Nio House Düsseldorf
Range Rover House: Zeitgeist auf Zeit
Am klassischen Vertrieb führt für die Briten zwar noch kein Weg vorbei. Doch um die Kundenbindung zu festigen und das Markenerlebnis zu erweitern, hat Land Rover die Range Rover Houses entwickelt. An Hot Spots wie der Cote d’Azur, in den Skigebieten der Rocky Mountains, rund um den Oldtimer-Concours in Pebble Beach oder am Deutschlandsitz in Kronberg haben sie dafür Villen gemietet, in denen sie nicht nur ihr Autos ausstellen, sondern auf Zeit dem Zeitgeist huldigen: Es gibt kulinarische Finessen, exklusive Erlebnisse für alle Sinne und den engen Austausch einer eingeschworenen Gemeinde, die nur auf Einladung Zutritt hat. Denn, so viel haben die Briten mittlerweile gelernt: “Luxus geht heute über den reinen Besitz hinaus”, umschreibt Jan-Kas van der Stelt das Konzept. “Deswegen bieten wir unseren Kunden solch ein auf ihre Interessen kuratiertes Erlebnis wie das Range Rover House, das ihnen exklusive Einblicke in Kulinarik und Design von Weltrang gewährt”, so der Geschäftsführer JLR Deutschland weiter.
JLR mietet unter anderem Villen, um Range Rover-Modelle handverlesenen Kunden zu präsentieren. © Foto: JLR
Maybach Atelier: Wohnzimmer für Wohlhabende
Wer durch ihre Tür geht, der lässt die Hektik der Welt hinter sich und betritt eine Oase der Ruhe – und das mitten in Shanghai. Denn hier leitet Jackie Zhang das erste Maybach-Atelier der Welt. Während draußen in der dampfenden Schwüle hochfrequent das Leben pulsiert, stellt sich hier in der parfümierten Kühle im Nu der Ruhepuls ein. “Wir wollen mehr sein als ein klassischer Showroom”, sagt die polyglotte Mittdreißigerin, deren Kollegen auf dezenten Zuruf frisch gebrühten Espresso oder gekühlten Jahrgangs-Champagner aus den digitalen Kulissen zaubern, die als riesige, sanft geschwungene Bildschirme die Räume teilen. Viel eher sieht Zhang das Atelier als Wohnzimmer der Wohlhabenden, die sich hier zwischen zwei Terminen in der Stadt zurückziehen können, ganz diskret zu Besprechungen zusammentreffen oder einfach nur ein bisschen Ruhe finden, bevor sich wieder ins Getümmel der Großstadt stürzen. Den kleinen Hunger zwischendurch stillt ein Sterne-Restaurant im zweiten Stock und alle paar Wochen wird das Atelier zum Club, wenn Zhang Künstler oder Designer einlädt, Vernissagen und Verköstigungen veranstaltet, komplementäre Marken aus anderen Luxuswelten hofiert oder zur Wochenendausfahrt in einer Maybach-Flotte bittet. Autos kaufen können die Chinesen bei Mrs. Zhang und ihren dezidierten Maybach-Consultants natürlich auch – und machend davon reichlich Gebrauch: “Wir schreiben hier im Schnitt zwei Kaufverträge pro Woche und kommen in guten Monaten auf zwölf Zulassungen”, sagt die Chefin und dürfte ihren Kollegen in München oder Manhattan damit den Neid ins Gesicht treiben.
Das Maybach-Atelier in Shanghai bietet seinen Besuchern viel Luxus. © Foto: Benjamin Bessinger