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Zweigeteilte Autowelt: Autohersteller im Spagat

zweigeteilte autowelt: autohersteller im spagat

Ladesäulen in Schanghai: Der Aufbau der Infrastruktur geht in China schneller.

Wenn man Chinesen fragt, warum sie ein Elektroauto fahren, ist die wohl häufigste Antwort: der Preis. Wenn man Europäer fragt, warum sie kein Elek­troauto fahren, ist die wohl häufigste Antwort: der Preis. An dieser paradox anmutenden Situation wird sich so schnell nichts ändern.

In China sind Elektroautos viel günstiger, im Westen viel teurer als Verbrennerautos. Das gleiche Elektromodell kostet in Europa mitunter das Doppelte oder Dreifache. Bestellt man in Schanghai ein ­Taxi, ist man überrascht, wenn es sich noch um einen Verbrenner handelt. In Deutschland schlägt den E-Autos auch emotionale Ablehnung entgegen. Aus China betrachtet, wirken deutsche Debatten um das Elektroauto oft schlicht kurios. Im chinesischen Durchschnitt ist inzwischen jeder zweite Neuwagen ein Elektroauto oder Plug-in-Hybrid, in vielen Großstädten an der Ostküste ist der Anteil noch deutlich höher. In Deutschland sinkt er derweil, in der EU und Nordamerika kommt er kaum vom Fleck.

Strukturelle und kulturelle Gründe bedingen die Zweiteilung

Diese Zweiteilung der Autowelt hat strukturelle und kulturelle Gründe. Da ist die chronische Infrastrukturschwäche vieler Länder des Westens, die es nicht schaffen, ein gutes Ladenetz bereitzustellen. In China, wo das Stromnetz bis heute auf Expansion ausgerichtet ist und die Kommunistische Partei ungleich größere Durchgriffsmöglichkeiten hat, gelingt das viel besser. Die Energiekosten sind niedrig, die kurzen Fahrtstrecken in Chinas dicht besiedelten Millionenstädten passen eher zum Batterieauto.

Das Elektroauto hat für Chinas Regierung auch strategische Vorteile: Gebaut wird es in der eigenen Indus­trie, die Arbeitsplätze schafft und die Bevölkerung stolz macht. Zugleich verbessert die Industrie Chinas Ruf mit Blick auf Technologie und Klimaschutz, sie senkt die Abhängigkeit von ausländischem Wissen und Ölimporten.

Keiner dieser Punkte trifft in der Elektromobilität auf Deutschland und die EU zu, zumindest nicht im gleichen Maße. Europa verliert eher Arbeitsplätze, während seine Abhängigkeit steigt, weil China in der Batterietechnologie führend ist und Europa die Rohstoffe fehlen. Die EU hat deshalb ein weniger starkes Interesse an einer schnellen Transformation.

Zudem gibt es große kulturelle Unterschiede. Der Alltag in China ist digitaler, die Autokäufer sind jünger. Chinesische Konsumenten verlangen eine digitale Ausstattung ihrer Autos, die viele Kunden im Westen für alberne Spielereien halten. Der Anspruch an Fahrverhalten und Langlebigkeit ist dagegen im Westen höher. Auch die kulturelle Verankerung, die der Verbrenner in Deutschland hat, gibt es in China nicht. Das klimapolitische Hadern mit individueller Mobilität existiert ebenfalls praktisch nicht.

Die deutschen Unternehmen trifft es am härtesten

Für Deutschlands Autokonzerne ist diese Zweiteilung undankbar. Käme die Transformation zum Elektroauto in der EU einfach nur zeitversetzt einige Jahre später als in China, könnten sich die Unternehmen voll auf die neue Technologie konzentrieren. Stattdessen sind die Beharrungskräfte und Hürden hierzulande groß. Das Verbrenner-Aus in der EU im Jahr 2035 wackelt, Langfristplanung für die Konzerne wird dadurch schwieriger. Die Zölle ziehen zudem neue Barrieren hoch. Die Folge: Die Industrie muss die Transformation gleichzeitig beschleunigen und bremsen.

Die deutschen Hersteller trifft diese Zweiteilung am stärksten. Da sie in China viel erfolgreicher waren und sind als französische, japanische und amerikanische Hersteller, haben sie viel mehr zu verlieren. Anders als andere internationale Konzerne nehmen sie den Wettbewerb an, statt China de facto aufzugeben. Ihre Marktanteile sinken weniger schnell. Zugespitzt formuliert geht die Strategie in die Richtung, zwei Konzerne in einem zu schaffen: einen schnellen Elektrokonzern in China, einen langsameren im Westen. Es ist die einzige Chance. Entwickler und Manager in Wolfsburg, Stuttgart und München, die im Alltag dem Hadern mit der E-Mobilität ausgesetzt sind, werden mit der Konkurrenz in Hefei, Schanghai oder Shenzhen nicht mithalten können.

Für die deutschen Konzerne ist das kurzfristig ein Nachteil, weil es viel teurer ist, gleichzeitig in zwei Geschwindigkeiten zu transformieren, und weil die Milliardengewinne aus China perspektivisch wegfallen. Langfristig kann es ein Vorteil werden, in beiden Autowelten vertreten zu sein. Sie lernen in China für den Rest der Welt. Denn ob die chinesischen Hersteller im Westen Fuß fassen, ist aus geopolitischen wie kulturellen Gründen nicht gesagt. Bisher bekleckern sie sich mit ihren Bemühungen in Europa nicht mit Ruhm. Unter Umständen müssen die deutschen Hersteller also gar nicht die besten Elektroautos bauen. Vielleicht reicht es in vielen Ländern schon, die besten nichtchinesischen anzubieten.

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