Finanzen

Wirtschaft

Wirtschafts-nachrichten

ZF-Vorstand: „Europa hat sich zu sehr auf Elektroautos eingeschossen“

zf-vorstand: „europa hat sich zu sehr auf elektroautos eingeschossen“

ZF-Manager Stephan von Schuckmann ist ein Verteidiger des Hybridantriebs.

Die Beschleunigung drückt den Topmanager tief in seinen Sitz auf der Rückbank. Auf der kurzen Geraden der Teststrecke rütteln einige Schlaglöcher die Insassen kräftig durch. Dann bremst der Fahrer, um mit dem hochgerüsteten Elektroauto, dem Manager auf der Rückbank und dem Ingenieur auf dem Beifahrersitz nicht aus der 180-Grad-Steilkurve zu fliegen.

Als das umgebaute Serienfahrzeug eines großen Elektroautoherstellers abgestellt ist, reicht ZF-Vorstand Stephan von Schuckmann dem Fahrer Schreibblock und Mantel. Der Manager leitet die Antriebssparte des Konzerns aus Friedrichshafen. Es ist die größte des Unternehmens, das über eine Stiftung der Stadt gehört und sich über ganz Friedrichshafen ausbreitet.

Im Gespräch mit der F.A.Z., das in der Konzernzentrale mit Blick auf den Bodensee und im Auto Richtung Teststrecke geführt wird, zeichnet von Schuckmann die großen Linien. Wann überholt der Markt für Elektroautos, einschließlich Plug-in-Hybride, den für Verbrenner? Zuletzt hatte ZF das Jahr 2028 genannt, nun zieht er den Zeitpunkt der Wachablösung deutlich vor.

Präsidentschaftswechsel in den USA treibt an

„Der Tipping Point wird Mitte der Dekade sein“, sagt von Schuckmann. „Für das Jahr 2030 erwarten wir einen Anteil der reinen Elektroautos von 47 Prozent. Das ist viel mehr als das, was wir vor zwei Jahren vermutet hatten.“ Seitdem gebe es eine wesentliche Entwicklung: „Den Präsidentschaftswechsel in den USA. Das beschleunigt den Elektromarkt enorm.“ Die hohen Energiepreise würden zwar punktuell bremsen, seien aber eben kein internationales Thema.

ZF taucht in der breiten Öffentlichkeit zwar selten auf, ist aber ein Global Player und einer der größten deutschen Automobilkonzerne. Das Unternehmen gilt als drittgrößter Automobilzulieferer der Welt, kommt auf gut 38 Milliarden Euro Umsatz und beschäftigt etwa 160 000 Mitarbeiter, fast so viele wie Mercedes-Benz. Allein die Sparte, die von Schuckmann leitet, kommt auf einen Umsatz von mehr als 10 Milliarden Euro.

Dass er den boomenden Elektromarkt in China nicht anführt, hat einen einfachen Grund: „In China entwickelt sich der Markt wie prognostiziert.“ Er spricht von einem „technologieaffinen Front­runner-Markt“ und lobt die Politik in der Volksrepublik. „Ja, definitiv“, antwortet er auf die Frage, ob die Förderung in China kohärenter sei als in Europa. „Die Chinesen beschäftigen sich mit allen Technologien, auch der Brennstoffzelle.“ In China gebe es auf dem Land noch viele Strecken, auf denen die Leute noch keine Elektroautos führen.

Belohnung für elektrisches Fahren

„Europa hat sich zu schnell zu sehr auf Elektroautos eingeschossen. Ich würde mir eine stärkere Technologieoffenheit wünschen.“ Er stört sich auch daran, dass der Hybrid hierzulande einen schlechten Ruf hat.

„Die Teilelektrifizierung ist der Einstieg in die Vollelektrisierung. So gewöhnen sich die Autofahrer an das Elektroauto und das Laden.“ Er fahre selbst einen Hybrid und die meiste Zeit elektrisch. ZF belohne einen hohen elektrischen Fahranteil in seinen Dienstautos.

Eine weitere Verschärfung der Vorgaben hält er kaum für umsetzbar: „Wenn es schärfere CO2-Regeln geben würde, bräuchten wir härtere Maßnahmen. Noch können wir unsere Werke über sozialverträgliche Maßnahmen anpassen.“

Um ein Getriebewerk im Saarland zu retten, für das von Schuckmann zuständig ist, hat das Bundesland zudem einen dreistelligen Millionenbetrag zugesagt. Selbst die Mitarbeiter verzichten auf Geld, um davon Investitionen zu finanzieren.

Von Schuckmanns Kritik an Europas Elektrofokus überrascht insofern, als ZF die Transformation besser als manchen anderen Zulieferern gelingt, auch aufgrund von Zukäufen. „Wir können den Rückgang beim Verbrenner mehr als kompensieren“, sagt er.

Es ist ein Phänomen, das man in der Autobranche immer wieder erlebt: Einerseits halten die Manager die Vorgaben aus Brüssel für falsch. Anderseits betonen sie, wie gut sie die Transformation meistern, und stellen sich als Gewinner der Elektromobilität dar.

„Bis Ende des Jahrzehnts haben wir Hochvoltaufträge von mehr als 25 Milliarden Euro“, sagt der Manager und zählt dazu reine Elektroautos und Plug-in-Hy­bride. Das sei ein „sehr hoher Auftragsbestand“. Doch rechnerisch bedeutet das nur Aufträge von etwa 3,5 Milliarden Euro im Jahr, nicht genug für eine Einheit mit 10 Milliarden Euro Umsatz. Darauf angesprochen, sagt er, das Gros falle in den kommenden drei Jahren an und man akquiriere ja laufend weitere Aufträge.

Getriebehersteller gelten sonst häufig als recht abhängig vom Verbrenner. Von Schuckmann stellt die Lage anders dar: Ein teilelektrifiziertes Getriebe habe drei Bestandteile, die man im Elektroauto nur anders gewichten müsse. „Wir reduzieren den mechanischen Anteil drastisch, überdimensionieren den Elektromotor und integrieren die Leistungselektronik. Das ist ein natürlicher Übergang.“

Flexible Reaktion

Die Kombination dieser drei Bestandteile sei „eine Kompetenz, die wir über Jahre aufgebaut haben und die sich wunderbar auf den rein elektrischen Antrieb überträgt“. Man könne deshalb „flexibel auf den Markt reagieren. Ich bin da sehr entspannt.“

Aktuell zeigt er sich zufrieden mit der Auslastung. „Noch spüren wir beim Verbrenner keine Verluste. Ab 2025 wird sich der Getriebebedarf reduzieren.“ Das liege auch daran, dass ZF „vor allem im Premiumsegment unterwegs ist“, auf das sich in Zeiten knapper Halbleiter viele Hersteller konzentrieren.

Auch wenn die Zulieferer notorisch schweigsam sind, wenn es um ihre Kunden geht, ist klar, dass sich in fast allen Premiumautos Getriebe der Friedrichshafener finden: Ob Audi, BMW, Tesla oder Fahrzeuge des Fiat-Chrysler-Konzerns, Mercedes fertigt die Getriebe dagegen traditionell selbst.

„Wir liefern auch an chinesische Hersteller“, sagt von Schuckmann. Es handle sich zum einen um Hybridapplikationen, zum anderen habe ZF „auch rein batterieelektrische Aufträge in China gewonnen“. Über Stückzahlen will er sich nicht äußern, doch dass ZF in der Volksrepu­blik in zwei Werken elektrische Antriebe produziert und in China insgesamt etwa zwei Dutzend Werke betreibt, zeigt, wie wichtig das Land für den Konzern ist.

Szenario für Taiwan-Überfall

Er bestätigt, dass es ein Szenario gibt, falls China Taiwan überfallt. Doch tendenziell hält man in Friedrichshafen den Umsatzanteil von 19 Prozent, auf den ZF bisher in China kommt, eher für zu niedrig, zumal viele andere deutsche Autokonzerne dort sehr viel mehr absetzen.

Fragt man ihn nach einem Vergleich der Elektroautos aus den beiden Ländern, attestiert er den Deutschen Nachholbedarf im Infotainment im Auto. Ansonsten könne sich die neueste Generation deutscher Elektroautos „ohne Weiteres in der internationalen Konkurrenz behaupten“.

Die Modelle würden gut nachgefragt, das sehe ZF schließlich an den Abrufen. Die deutschen Autos seien gerade in Sachen Effizienz und Performance hervorragend, sagt er.

Um Effizienz geht es auch beim umgebauten Serienfahrzeug auf der Teststrecke. Der Antrieb sei um 30 Prozent effi­zienter, unter anderem dadurch, dass sie den Hinterradantrieb aushängen, wenn er nicht benötigt werde, sagt von Schuckmann. Das reduziere die Reibungsverluste.

Für das gesamte Auto bedeute das im WLTP-Testverfahren einen Effizienzgewinn von 4 Prozent. Wenn man stark beschleunigt, schaltet sich der Hinterradantrieb dazu und gibt zusätzlich Kraft. Demnächst wollen sie den Hersteller von dem neuen System überzeugen. Um wen es sich handelt, soll nicht in der Zeitung stehen.

TOP STORIES

Top List in the World