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Pendler und Staus: Immer mehr Autos vor allem auf dem Land

pendler und staus: immer mehr autos vor allem auf dem land

Morgenröte: Pendler aus dem Taunus stehen auf dem Weg zur Arbeit im Stau.

Die Männer und Frauen am Lenkrad sehen rot: Alles steht auf der Hanauer Landstraße in Frankfurt, dem wichtigsten Ost-West-Zubringer für die Frankfurter Bürotürme. Doch hier wird an diesem typischen Montagmorgen nichts zugebracht. Die Autos stehen Stoßstange an Stoßstange, statt Gas zu geben können die Fahrer nur auf die Bremse treten. Die Bremslichter schimmern auf dem nassen Asphalt. Und kaum können sie erlöschen, springen die Verkehrsampeln schon wieder auf Rot.

Die Frankfurter und die vielen, die in der Banken- und Messestadt ihren Arbeitsplatz haben, sind daran gewöhnt. Die Metropole am Main ist zwar nur Deutschlands fünftgrößte Stadt. Sie verzeichnet aber die meisten Pendler – lediglich das doppelt so große München kommt auf ein paar tausend mehr. Und ihre Zahl steigt kräftig: Allein seit 2013 ist eine Zahl an Pendlern dazugekommen, die der Einwohnerschaft Passaus entspricht.

Zwei Drittel fahren mit dem Auto zur Arbeit

Pendeln sei für Zehntausende Fachkräfte eine „tägliche Notwendigkeit“, sagt Ulrich Caspar, Präsident der Indus­trie- und Handelskammer Frankfurt/Rhein-Main. Die Folge: „In Spitzenzeiten sind die Straßen deswegen notorisch überlastet.“ Hierdurch komme es auch zu vermeidbaren Umweltbelastungen. Denn ein Großteil der Pendler komme mit dem Auto, ist sich Caspar sicher. Tatsächlich fahren laut Umfrage des Statistischen Bundesamts rund zwei Drittel der Pendler weiterhin mit dem Auto zur Arbeit. Auch wenn sich in den Metropolen der Anteil der Radfahrer seit 2002 auf 18 Prozent nahezu verdoppelt hat, wie wiederum das Bundesverkehrsministerium ermittelt hat.

Die vielen Autos stellen Großstädte wie Frankfurt vor erhebliche Herausforderungen. Denn für neue oder breitere Straßen, die den zusätzlichen Verkehr aufnehmen könnten, ist schlicht kein Platz. Es drohen mehr Staus, höherer Treibstoffverbrauch und mehr Verzögerungen nicht nur für Beschäftigte, sondern auch für den Lieferverkehr.

Wirtschaftswachstum führt zu erhöhtem Verkehrsaufkommen

Dass grundsätzlich mehr Menschen immer häufiger oder weiter pendeln, als es früher der Fall war, sei ein Irrtum, erklärt Thomas Pütz, Verkehrsforscher vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung in Bonn. Sowohl ihr Anteil an allen Beschäftigten als auch die Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsplatz sei in den vergangenen Jahren gleich geblieben. „Dass dennoch die absolute Menge der Pendler zugenommen hat, liegt am Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre.“ In gleichem Maße, wie Arbeitsplätze geschaffen und besetzt worden seien, sei die Zahl all jener gestiegen, die in einem anderen Ort wohnen als arbeiten – und damit der Fahrzeuge, die morgens in Großstädte wie Frankfurt drängten. Die Pendlerzahlen basieren auf Daten der Statistischen Ämter und der Bundesarbeitsagentur, die bei Arbeitgebern die Wohn- und Arbeitsorte der Beschäftigten abfragt.

Wie viele der Pendler konkret mit Auto, Bus oder Rad kommen und wie häufig – ob täglich oder wöchentlich – ist daraus nicht zu entnehmen. Der Prognose von Planern aber, dass durch mehr Homeoffice weniger Verkehr entsteht, widerspricht eine Langzeit-Studie von Teralytics und dem Statistischen Bundesamt: Die Auswertung von anonymisierten GPS-Daten von Millionen Handys zeigt, dass auf den Straßen nun teils mehr Leute unterwegs sind als 2019, als Arbeiten zu Hause die Ausnahme war.

Mehr Autos pro Einwohner

Mehr Pendler heißt nicht automatisch, dass mehr Autos auf den Straßen unterwegs sind, wie etwa die Statistiken zum Fahrzeugbesitz zeigen. So gibt es im Vergleich zum Jahr 2013 zwar erheblich mehr Darmstädter und Offenbacher, die nun außerhalb ihrer Heimatstadt arbeiten und darum in andere Orte auspendeln. Doch die Zahl der zugelassenen Autos in diesen Städten ist deutlich weniger stark gestiegen. Ein Teil dieser zusätzlichen Beschäftigten dürfte also andere Verkehrsmittel nutzen, etwa Busse und Bahnen, um ihre auswärtigen Arbeitsplätze zu erreichen. Dies bestätigen Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamtes: Demnach ist in den Großstädten die sogenannte Autodichte zumindest leicht gesunken, in Frankfurt kommen nun 450 Personenkraftwagen auf 1000 Einwohner, 13 Prozent weniger als 2007.

In ländlicheren Kreisen der Rhein-Main-Region dagegen hat nicht nur die Autodichte, also die Zahl der Autos im Verhältnis zur Einwohnerzahl, messbar zugenommen: Im Hochtaunuskreis beispielsweise kommen nun 688 Autos auf 1000 Einwohner, sechs Prozent mehr als vor fünfzehn Jahren. Sondern auch im Verhältnis zu den Beschäftigten hat die Zahl der Fahrzeuge deutlich zugelegt. Im Hochtaunuskreis und im Main-Taunus-Kreis beispielsweise kommen rechnerisch 1,8 Personenkraftwagen auf jeden Beschäftigten – in Frankfurt und Offenbach ist das Verhältnis dagegen relativ ausgeglichen. Dass die neuen Autos samt und sonders vor allem für die Arbeit benötigt werden, kann für diese Kreise also nicht ohne weiteres angenommen werden. In Wiesbaden ist die Quote übrigens auch sehr hoch, das liegt aber stark an den vielen Autos, die auf die Landesbehörden zugelassen sind.

Zahl der Pendler wird wohl zunehmen

Eine andere Erklärung für die Disparität könnte sein, dass sich wohlhabendere Familien in den vergangenen Jahren mehr Zwei- oder Drittautos gönnen, nicht nur für beschäftigte Ehepartner, sondern beispielsweise für den volljährigen Nachwuchs. Oder es werden Fahrzeuge für unterschiedliche Einsatzzwecke angeschafft: der Kompakte für den Arbeitsweg, der Kombi für den Familienurlaub und ein Sportwagen für das sommerliche Wochenende. Diese Vermutung liegt im Hochtaunuskreis und im Main-Taunus-Kreise nahe, deren Einwohner im Bundesvergleich durchschnittlich mit die höchsten Einkommen beziehen.

Raum- und Verkehrsforscher Pütz beobachtet daneben den Trend, dass immer mehr Familien aus den Großstädten ins Umland ziehen. Das sei durch die Corona-Pandemie und die Möglichkeit zum Homeoffice beschleunigt worden, sagt er. Weil die Arbeitnehmer normalerweise aber trotzdem noch ins Büro müssen, dürfte damit die Zahl der Pendler – und der Staus – weiter zunehmen. Darauf müsse die Politik reagieren, sagt IHK-Präsident Caspar. „Uns sind einige Unternehmen bekannt, die aufgrund der schlechter werdenden Erreichbarkeit und fehlender Stellplätze planen, Frankfurt zu verlassen, oder dies bereits getan haben.“

Um dem zu begegnen, plädiert der frühere hessische CDU-Landtagsabgeordnete darum für mehr Wohnraum in der Nähe der Arbeitsplätze und mehr Park-and-Ride-Anlagen sowie den schnellen Ausbau des Nahverkehrs. Er denke da etwa an die „Regionaltangente Ost“ und den U-Bahn-Lückenschluss zwischen den Frankfurter Stationen Bockenheimer Warte und Ginnheim. Für die Regionaltangente läuft derzeit eine Kosten-Nutzen-Studie, wann sie fertig sein könnte, ist darum noch nicht abzusehen.

„Siedlungsplanung sollte entlang von Nahverkehrstrassen stattfinden“

Kritisch sieht Caspar dagegen weitere Einschränkungen für den Autoverkehr, wie etwa am nördlichen Frankfurter Mainufer (Mainkai) oder im Oeder Weg, die beliebte Restaurant- und Ladenmeile im Nordend der Stadt, die früher viele Pendler aus dem Norden nutzten, um ins Zentrum zu kommen.

Die Pendlerentwicklung sollte die Politik zum Anlass nehmen, bei neuen Wohnsiedlungen die Verkehrsanbindung von vornherein stärker mitzudenken, sagt der Raumforscher Pütz. „Die Siedlungsplanung sollte entlang von Nahverkehrstraßen stattfinden.“ Tatsächlich war gerade in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik hauptsächlich an den Autoverkehr gedacht worden. Umso aufwendiger, teurer und langwieriger sind nachträgliche Bauten von Nahverkehrsstrecken. Zudem lehnen gerade Autofahrer solche nachträglichen Planungen vehement ab: Die Auspendlerstadt Bad Vilbel sprach sich kürzlich gegen eine neue Straßenbahnstrecke nach Frankfurt aus. Eines der Gegenargumente: Durch die neue Trasse würden Parkplätze und Straßenflächen für Autos wegfallen.

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