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Pendlerpauschale: Viel Geld für viel Autofahren

Die Pendlerpauschale ist unsozial und schadet der Umwelt – doch das wissen nur wenige. Eine Studie zeigt, wie schnell Aufklärung die Debatte drehen könnte.

pendlerpauschale: viel geld für viel autofahren

Die Pendlerpauschale macht es leichter, lange Pendelstrecken und Stau zu akzeptieren.

Es ist wieder Februar, Zeit für die Steuererklärung. Bei allem Ärger, den das macht, freuen sich viele über einen Punkt: die Pendlerpauschale und wie viel Steuern man durch sie spart. Für jeden Tag, den man zur Arbeit gefahren ist, kann man 30 Cent je Kilometer von der Steuer absetzen. Ab dem 21. Kilometer sind es derzeit sogar 38 Cent.

Doch was viele nicht wissen: Die Pendlerpauschale verschärft die Einkommensungleichheit und schadet der Umwelt. Wie schlecht die Bevölkerung über die fatalen Folgen und mögliche Alternativen informiert ist, zeigt eine neue Untersuchung der Universität Konstanz in Zusammenarbeit mit dem Progressiven Zentrum, einer linksliberalen Denkfabrik aus Berlin. Die Studie, die ZEIT ONLINE exklusiv vorab vorliegt, macht aber auch deutlich: Schon wenig Information ändert die Meinung der Bevölkerung – und könnte so Mehrheiten für ökologischere und sozialere Varianten ermöglichen.

Die Ergebnisse haben auch eine politische Brisanz, schließlich streitet die Bundesregierung zurzeit über die Haushaltsplanung für 2024. Finanzminister Christian Lindner will keine Ausnahmen mehr bei der Schuldenbremse zulassen. Wirtschaftsminister Robert Habeck dagegen wünscht sich mehr Spielraum für grüne Projekte und will dafür unter anderem “umweltschädliche Subventionen” abbauen. Das sieht ebenfalls der Koalitionsvertrag der Bundesregierung vor. Welche Subventionen gemeint sind, steht weder dort noch in Habecks Brief. Aber es ist kein Geheimnis, dass viele Grüne die Pendlerpauschale für mindestens reformbedürftig halten.

Den Studienautoren Adrian Rinscheid und Marius Busemeyer zufolge profitieren von der Pendlerpauschale vor allem Gutverdienende. Denn wer ein kleines Einkommen beziehe, zahle darauf oft gar keine oder nur geringe Steuern, argumentieren die Forscher. Und sie überschritten mit ihrer Entfernungspauschale seltener den Pauschalbetrag für Werbungskosten, den ohnehin jeder Arbeitnehmer absetzen kann. Das bestehende Modell verstärke daher soziale Ungleichheiten. Um bis zu 2.000 Euro könnten Gutverdiener ihre Steuerlast drücken, schreiben Rinscheid und Busemeyer. Tatsächlich zeigen frühere Untersuchungen (PDF), dass sowohl die Pendeldistanz als auch die Steuerersparnis mit zunehmendem Einkommen tendenziell steigt. Dem Staat entgingen durch die Entfernungspauschale im Jahr 2019 gut fünf Milliarden Euro Steuern.

Ahnungslose Bevölkerung

Außerdem belastet die Subvention laut den Autoren indirekt die Umwelt. Sie verstärke “den Trend zu langen Arbeitswegen, da die Kosten langer Pendlerwege durch die Pauschale teils kompensiert werden”, heißt es in der Studie. Die Folgen seien Zersiedelung, Luftverschmutzung, Lärm und Artensterben. Das Umweltbundesamt hat berechnet, dass Deutschland ab 2030 vier Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent jährlich einsparen könnte, wenn die Bundesregierung die Pendlerpauschale ab 2024 abschaffen würde. Die Pauschale kann zwar für verschiedene Verkehrsmittel geltend gemacht werden. Zu gut 80 Prozent wird sie aber laut Statistischem Bundesamt fürs Autofahren genutzt.

Diese negativen Folgen sind der Bevölkerung in großen Teilen unbekannt. Das zeigt eine repräsentative Onlineumfrage, die Teil der Studie ist und die das Institut Bilendi im August 2022 unter 4.500 Erwachsenen für die Konstanzer Arbeitsgruppe für Vergleichende Politische Ökonomie durchführte. Demnach hält nur eine Minderheit die Pendlerpauschale für unsozial und umweltschädlich. Die Umfrage offenbart insbesondere großes Unwissen und Unsicherheit: Etwa jeder Fünfte gab “weiß nicht” an, weitere 20 bis 30 Prozent waren unentschieden und kreuzten “teils, teils” an.

Das Unwissen der Bevölkerung zeigt sich auch daran, wie stark sie auf Informationen über die Auswirkungen der Pendlerpauschale reagiert. In einem Experiment unterteilten die Forscher die Befragten in drei Gruppen. Eine erhielt die Information: “Spitzenverdiener profitieren wesentlich stärker von der Pendlerpauschale als Geringverdiener.” Einer anderen Gruppe wurde mitgeteilt: “Die Entfernungspauschale begünstigt ein hohes Verkehrsaufkommen, erhöht die Luftverschmutzung und erschwert die Erreichung der Klimaziele.” Eine Kontrollgruppe erhielt keine neuen Informationen. Im Anschluss wurden den Probanden Vorschläge vorgelegt, wie die Regelung reformiert werden könnte:

  • Die Pendlerpauschale bleibt bestehen und wird auf 50 Cent erhöht.
  • Sie wird durch ein pauschales Mobilitätsgeld ersetzt, das Pendlerinnen und Pendler unabhängig vom Einkommen erhalten.
  • Es können nur Fahrten mit dem Auto abgesetzt werden, wenn öffentliche Verkehrsmittel für die Strecke keine zumutbare Alternative sind.
  • Die Pendlerpauschale wird abgeschafft.

Es zeigte sich: Wer über die sozialen Wirkungen informiert wurde, sprach sich danach eher gegen eine Erhöhung aus – und für das einkommensunabhängige Mobilitätsgeld. Wer die ökologischen Folgen kannte, lehnte ebenfalls eher die Erhöhung ab – und begrüßte eher die Idee, dass Autofahrten nur dann absetzbar sind, wenn es keine Alternative gibt. Die Unterschiede zur Kontrollgruppe betragen zwar weniger als fünf Prozent. Aber die Autoren finden es beachtlich, dass überhaupt ein statistisch signifikanter Unterschied erkennbar ist – nach nur einem Satz neuer Information.

Beliebte und komplexe Pendlerpauschale

Doch woran liegt es, dass so viele Bürgerinnen und Bürger so wenig über die Pendlerpauschale und ihre Folgen wissen? Busemeyer und Rinscheid schreiben, es handle sich “für viele um ein lieb gewonnenes Instrument zur Senkung der eigenen Steuerlast”. Die Fehleinschätzungen seien zudem auf die Komplexität der Regelung zurückzuführen – und auf die Kommunikation politischer Akteure, “für die Umweltschutz und Verringerung der Einkommensungleichheit keine Priorität haben”.

Entsprechend kritisch sehen es die Autoren, dass in Deutschland wenig über Alternativen diskutiert wird. Die Mobilitätsprämie, die Geringverdiener von 2021 bis 2026 nutzen können, zeige, dass es möglich sei, Verteilungsgerechtigkeit stärker zu berücksichtigen. Es brauche aber weitergehende Reformen.

Mit FDP-Finanzminister Lindner wird das jedoch schwierig. Er schrieb an Robert Habeck: “Stellvertretend für die von den Freien Demokraten geführten Ministerien darf ich feststellen, dass Steuererhöhungen oder sonstige strukturelle Mehrbelastungen für die Bürgerinnen und Bürger oder die Wirtschaft vom Koalitionsvertrag ausgeschlossen sind.” Das klingt nicht gerade, als hätte er Lust auf Diskussionen über die Pendlerpauschale.

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