Düstere Zeiten in Wolfsburg: VW drohen bis zu drei Werkschließungen in Deutschland
Die deutsche Autoindustrie droht unter die Räder zu kommen. Zuerst hat das deutsche Flaggschiff VW Gewinneinbußen von mehr als 60 Prozent für das dritte Quartal 2024 verkünden müssen und in Diskussionen mit dem Betriebsrat die Schließung von bis zu drei Werken in Deutschland ins Gespräch gebracht.
Es wäre das erste Mal in der 87-jährigen Geschichte des Wolfsburger Weltkonzerns, dass Werke in Deutschland geschlossen werden. Die Konzernführung steht stark in der Kritik, weil sie die technische Entwicklung verschlafen hat. Statt niedrigpreisige Elektroautos zu bauen, hat VW lange an Verbrennerantrieben festgehalten. Über Jahre wurden Abgaswerte frisiert, um den Absatz von Diesel-Pkw voranzutreiben. Bei dem Umstieg auf E-Modelle hat das Management auf hochpreisige SUV-Modelle gesetzt. Statt in gewinnbringende Zukunftsmodelle zu investieren (also wie etwa Kleinwagen), hortet der Konzern Geld: Für das Geschäftsjahr 2023 sitzt das Unternehmen auf sagenhaften Gewinnrücklagen in Höhe von 147,8 Milliarden Euro, zudem schüttete VW noch 4,5 Milliarden Euro Dividende an seine Aktionäre aus. Pleitesein klingt anders.
Die Leidtragenden werden die Beschäftigten sein. Einher mit den Werkschließungen werden Entlassungen von zehntausenden Mitarbeitern, Lohnkürzungen von zehn Prozent sowie ein Ausbildungsstop diskutiert. Der Verhandlungsführer der Gewerkschaft IG Metall, Thorsten Gröger, nannte die Sparmaßnahmen des Vorstands eine „Giftliste“. Was Volkswagen präsentiert habe, sei ein dreister Griff in den Geldbeutel der Beschäftigten und kein gangbarer Weg.
Die Hiobsbotschaften aus Wolfsburg reihen sich ein in die schlechten Nachrichten, die die deutsche Wirtschaft vermeldet. Deutschland befindet sich bereits in einer technischen Rezession. Zwei Jahre hintereinander ist die deutsche Wirtschaft geschrumpft. Der Internationale Währungsfonds warnt vor langfristigen Problemen, weil die Bundesregierung zu wenig gegen die hohen Energiepreise unternimmt und die Schuldenbremse dringend benötigte Investitionen in die Infrastruktur verbietet. Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft müssten in den nächsten zehn Jahren rund 600 Milliarden Euro in die Sanierung von maroden Brücken, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen investiert werden.
Die Strafzölle der EU-Kommission kommen zur Unzeit für Volkswagen. Die Automobillobby warnte bis zuletzt vor den protektionistischen Maßnahmen der EU, die für einen Zeitraum von fünf Jahren gelten sollen. „Die Einführung der Ausgleichszölle ist ein Rückschritt für den freien globalen Handel und somit für den Wohlstand, den Erhalt von Arbeitsplätzen und das Wachstum Europas“, sagte die Präsidentin des Verbands der deutschen Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller. „Mit den Ausgleichszöllen wächst das Risiko eines weitreichenden Handelskonflikts.“ Zudem würden die Zölle die Verbraucher treffen, weil sie höhere Preise für die aus China importierten Elektroautos zahlen müssten, die als preisgünstig und effizient gelten.
Auffallend ist, dass die Zollpläne der EU-Kommission keinen Einheitssatz für die Autohersteller vorsehen. So werden die chinesischen Konzerne BYD und Geely nur mit jeweils 17 beziehungsweise 18,8 Prozent gelistet, während die SAIC Motor Corporation und alle anderen „nicht-kooperierenden“ Unternehmen mit einem Zollsatz von 35,3 Prozent belegt werden. Als „nicht-kooperierend“ werden chinesische Unternehmen von der EU eingestuft, wenn sie nicht offenlegen, auf welche Weise sie staatliche finanzielle Förderung erhalten haben.
Aus der Abstufung lassen sich Schlüsse ziehen: „Dies zeigt eine Tendenz der EU, gezielter gegen chinesische Hersteller vorzugehen, die als Bedrohung für die europäischen Lieferketten angesehen werden“, heißt es in der Analyse der China Media Group.
Das chinesische Handelsministerium hat die Strafzölle bereits kritisiert und rechtliche Schritte eingeleitet. China fühlt sich ungerecht behandelt. „Die Welt-Handelsorganisation (WTO) legt fest, dass Anti-Subventionszölle normalerweise im Bereich von einigen Prozent liegen“, schreiben Cui und Wang. Die Zölle auf chinesische Elektrofahrzeuge überstiegen diesen Rahmen deutlich und zeigten eine hohe Schutztendenz sowie politische Motivationen.
In Verhandlungen mit der EU habe die chinesische Seite versucht über einen Mindestverkaufspreis von 30.000 Euro für Elektroautos zu verhandeln, was jedoch abgelehnt worden sei. „Der aktuelle Durchschnittspreis für Elektrofahrzeuge in der EU liegt über 60.000 Euro, was zeigt, dass die EU durch die Einführung von Zöllen versucht, sich 3 bis 5 Jahre Zeit für eine lokale Produktion zu verschaffen“, heißt es in der CMG-Analyse.
Von besonderem Interesse für die deutsche Wirtschaft sind die in der CMG-Analyse diskutieren möglichen chinesischen Gegenmaßnahmen. „China muss klar gegen die einseitigen protektionistischen Maßnahmen der EU Stellung beziehen“, fordern die Autoren. „Die Zölle sollten als Politisierung wirtschaftlicher Probleme gewertet werden, die den normalen Handel stören und den Prinzipien der Marktwirtschaft widersprechen.“ China solle sich entschieden für das „multilaterale Handelssystem und internationale Regeln einsetzen und jegliche Form von Handelsprotektionismus“ ablehnen: „In Anbetracht des enormen Handelsvolumens zwischen China und Europa sollten entsprechende Gegenmaßnahmen und Reaktionen vorbereitet werden.“ Diese sollten jedoch „kontrollierbar“ sein, um eine Eskalation der Konflikte zu vermeiden, was für beide Seiten nachteilig wäre.
Dass die Zölle die deutsche Industrie zum Problem werden können, verdeutlicht eine Analyse des amerikanischen Think Tanks der Rhodium Group. Demnach haben europäische Unternehmen im zweiten Quartal dieses Jahres für neue Fabriken und Anlagen (sogenannte Greenfield Investitionen) in der Volksrepublik 3,6 Milliarden Euro ausgegeben. Der Großteil der Investitionen entfiel auf die deutsche Autoindustrie. Der Schritt wird als Teil der Strategie „In China für China “ gewertet, die viele europäische Unternehmen eingeschlagen haben. Sie wollen in der Volksrepublik produzieren, für den Fall, dass Peking mit Gegenmaßnahmen zu den EU-Zöllen kontert.
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