Motorrad

Yamaha Niken GT im Test: Ein unterschätzes Dreirad

Das von Yamaha als "Leaning Multi Wheeler" bezeichnete Motorrad ging sehr überraschend in seine zweite Generation. Anlass für einen Langstreckentest.

yamaha niken gt im test: ein unterschätzes dreirad

Kofferset, höhere Scheibe, dunkle Farben, neu positionierter Schriftzug – die neue Niken GT ist optisch nicht weit vom Urmodell entfernt.

(Bild: Michael Praschak)

Ein durchschlagender Erfolg blieb der Yamaha Niken bisher verwehrt. Das kann am außergewöhnlichen Design liegen, oder natürlich einfach am zweiten Vorderrad. Höchstwahrscheinlich ist es die Kombination aus beidem. Die Verkaufszahlen sind entsprechend. Laut Yamaha wurden seit der Einführung weltweit etwa 3000 Einheiten verkauft, 551 gingen nach Deutschland. Hier geht sehr wahrscheinlich ein erheblicher Teil auf Händlerzulassungen zurück. In freier Wildbahn ist mir nach der Präsentation nie eine Niken begegnet und nur die im TV als Begleitfahrzeug bei Sportveranstaltungen eingesetzten Exemplare deuten darauf hin, dass das Motorrad tatsächlich an irgendjemand verkauft wurde. Ich war mir sicher – eine Neuauflage würde es nicht geben. Umso größer war die Überraschung, als tatsächlich für 2023 eine in weiten Teilen überarbeitete Niken GT ankündigt wurde.

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GT für noch mehr Touring

Auf den ersten Blick wirkt die Neue bis auf die höhere Scheibe und die nun serienmäßigen Koffer unverändert, unter der ausladenden Verkleidung mit dem Alien-Gesicht hat sich aber so einiges getan. Die für die Fahrdynamik wichtigste Änderung ist der neue Motor. Wie bei der Tracer GT und der MT-09 bekommt auch die Niken GT den überarbeitete Dreizylinder mit 890 cm3. Yamaha verspricht hier 5 Prozent mehr Leistung. Während die anderen Modelle jedoch mit 119 PS und 93 Newtonmeter aufwarten können, bietet die Niken 115 PS sowie knapp 91 Nm. Der Unterschied dürfte zwar kaum zu spüren sein, bei einem Gewicht von 270 kg fahrfertig mit vollem Tank freut man sich aber über Mehrleistung. Der neue Motor soll aber nicht nur für mehr Dynamik sorgen. Für ihn wurde auch der Hauptrahmen überarbeitet und der CP3 hängt nun 5 Grad weiter nach vorne geneigt in der Rahmenkonstruktion aus Steuerrohr-Baugruppe, Stahlrohr-Hauptrahmen und Alu-Guss-Rahmen Heck, was die Handling-Eigenschaften verbessern soll.

Der weitgehend größte Teil der Neuerungen der GT zielt aber auf Touring-Tauglichkeit und Fahrkomfort ab. Das fängt beim nun einstellbaren Windschild an, setzt sich über die neugestaltete Komfortsitzbank und das serienmäßige Kofferset fort und wird durch Heizgriffe sowie zwei Steckdosen (1x USB, 1x 12 V) abgerundet. Um das Motorraderlebnis sowohl im Solobetrieb als auch bei Fahrten zu zweit noch angenehmer zu gestalten, verfügt die Niken GT über eine neue Schwinge, die sich über eine geänderte Umlenkung am ebenfalls überarbeiteten Federbein abstützt. So viel theoretischer Reisekomfort schreit natürlich geradezu nach einem Langstreckentest.

Ride connected

Da die Niken GT mit einer Höhe von knapp 1,40 Meter, zwei Vorderrädern und einem Gewicht von 270 kg nicht gerade Kleintransporter-freundlich ist, sollte die Zentrale von Yamaha Deutschland in Neuss auch direkt Ausgangspunkt der 2000 km langen Testrunde durch Mitteldeutschland werden. In puncto Abmessungen und Gewicht nicht weit von der Vorgängerin entfernt, ähnelt die Neue – abgesehen vom Kofferset – auf den ersten Blick auch optisch der Urversion.

Dieser Eindruck ändert sich, wenn man das erste Mal auf der Niken Platz nimmt. Denn spätestens dann liegt das nun verbaute, mit sieben Zoll riesige TFT-Display direkt im Sichtfeld. Doch nicht nur die Infozentrale ist neu, auch die zur Steuerung nötigen Armaturen kannte man so noch nicht. Folgten die Yamaha Designer bei der Gestaltung der Schaltereinheiten in der Vergangenheit eher der “Form-follows-Function” Philosophie, beweist man bei der Niken, dass auch bei Yamaha praktisch und formschön gleichzeitig möglich ist. Die Knöpfe und Schalter haben eine angenehme Größe und sind gut zu erreichen, die Armaturen sind nicht überladen. Die Japaner haben es sogar geschafft, eine Menüführung und eine Steuerung via Joystick umzusetzen, was eine intuitive Bedienung ermöglicht.

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Das ist tatsächlich auch essentiell, da über das Display nicht nur die gängigen Fahrinformationen ausgegeben werden, sondern man durch die nun verfügbare Smartphone-Konnektivität über Yamahas eigene MyRide-App auch E-Mails und Nachrichten abrufen, Anrufe annehmen sowie Musik abspielen kann. Wem das nicht reicht, der kann das neue Display über die optional verfügbare Garmin Motorize App auch als Vollbild-Navigationsgerät nutzen. Aber auch die Navigation mit der Kombination aus Smartphone und Motorrad-Routing-App ist dank USB-Anschluss problemlos im Dauerbetrieb möglich.

Kilometerfresserin

Die Langstrecke ist tatsächlich auch eine der Paradedisziplinen der Niken. Auch nach einem ganzen Tag und mehreren hundert Kilometern im Sattel steigt man entspannt vom Motorrad und freut sich schon auf die nächste Etappe. Das liegt sicher an der neuen und komfortablen Sitzbank, vor allem aber an der gelungenen Ergonomie und am guten, wenn auch nicht perfekten Windschutz. Die höhenverstellbare Scheibe schirmt Fahrer oder Fahrerin zwar wirkungsvoll ab, erzeugt aber auch leichte Verwirbelungen, die ab etwa 100 km/h spürbar werden. Diese sind zwar nicht störend, aber vor allem auf der Autobahn bei höheren Geschwindigkeiten deutlich wahrnehmbar. Das ist insofern schade, da die Niken mit ihrem Gesamtkonzept und der Ausstattung auch hervorragend fürs “schnelle Strecke machen” geeignet ist. Musik an, Tempomat einschalten und entspannt dahingleiten, bis die Tankanzeige zum Stopp mahnt.

Yamaha Niken GT 2023 (9 Bilder)

yamaha niken gt im test: ein unterschätzes dreirad

Der Stahlrohrhauptrahmen wurde für die neue Niken GT überarbeitet, der Motor ist jetzt fünf Grad weiter nach vorne geneigt und leistet 115 PS. (Bild: Michael Praschak)

Der kommt aufgrund einer Eigenheit der Niken für Novizen anfangs oft früher als nötig. Mit ihren 18 Litern Tankvolumen und einem kombinierten Verbrauch von gut sechs Liter kommt man zwar theoretisch knapp 300 Kilometer weit, das letzte Balkensegment der Anzeige ist aber bei zügiger Gangart oft schon bei um die 200 Kilometer erreicht und wechselt dann von blau auf orange als Anzeigenfarbe. Die Reserve ist dann allerdings noch nicht erreicht, sondern gibt sich erst viele Kilometer später als kleines Symbol in der oberen rechten Ecke des Displays zu erkennen.

Das Niken-Paradoxon

Auch wenn längere Autobahnabschnitte auf der Niken entspannt zu überbrücken sind, offenbaren sich – wie schon bei der ersten Niken Generation – auch bei der neuen GT die wahren Stärken erst auf winkeligen Landstraßen. Paradoxerweise hat man hier umso mehr Spaß, je schlechter die Straßenbedingungen werden. Das fällt besonders dann auf, wenn man in einer Gruppe mit klassischen Motorrädern unterwegs ist. Egal, ob Naked Bike oder Reiseenduro, ist das Ende des Wohlfühlbereichs auf dem normalen Einspurfahrzeug erreicht, schlägt die Stunde der Niken GT. Es ist wirklich beeindruckend, wie viel Vertrauen man hier für die Front entwickelt. Erstaunlich ist hier, dass dieses nicht durch glasklares Feedback entsteht, wie man es zum Beispiel von Sportlern kennt. Die Niken fühlt sich zwar in ihrem Fahrverhalten an wie ein normales Motorrad, in Sachen Stabilität und Vertrauen bei schwierigen Bedingungen ist sie aber eine Klasse für sich.

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