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Viele Elektroautos sind Ladenhüter. Die Branche arbeitet heimlich am Comeback des Verbrenners

viele elektroautos sind ladenhüter. die branche arbeitet heimlich am comeback des verbrenners

Die Nachfrage nach Elektroautos lässt zu wünschen übrig. Damit hatten die Hersteller nicht gerechnet. Arnulf Hettrich / Imago

In der deutschen Autoindustrie sitzt der Frust tief. Pflichtbewusst hatten alle grossen Hersteller in der Neuentwicklung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor auf Elektroautos umgeschwenkt. Der Eifer rund um die Elektromobilität ging so weit, dass die Innovation beim Verbrenner regelrecht unterdrückt wurde.

Zu teuer in der Anschaffung – und wo laden?

Doch Volkswagen, Mercedes-Benz und BMW machten die Rechnung ohne die Konsumenten. E-Autos sind zu Ladenhütern geworden. Sie seien vielen Automobilistinnen und Automobilisten schlicht zu teuer in der Anschaffung, sagt Martin Hirzel, der ehemalige Chef des Winterthurer Automobilzulieferers Autoneum und heutige Vizepräsident des Härkinger Familienkonzerns Ronal, der als einer der weltgrössten Hersteller von Felgen gilt.

Hirzel, der zudem den Branchenverband der Schweizer Maschinenbauindustrie Swissmem präsidiert, fügt hinzu: «Nach wie vor fehlt auch vielen Leuten die Möglichkeit, die Batterie ihres Autos zu Hause oder am Arbeitsplatz zu laden.»

Europaweit stieg die Zahl der verkauften E-Autos in der ersten Hälfte dieses Jahres um knapp 2 Prozent auf 950 000. Damit verharrte ihr Anteil am gesamten Autoabsatz aber noch immer bei niedrigen 14 Prozent. In Deutschland, wo die Ampelregierung Ende 2023 Knall auf Fall die Fördermittel für den Kauf von E-Autos strich, brach der Absatz gegenüber der Vorjahresperiode um über 16 Prozent ein. In der Schweiz betrug der Rückgang knapp 8 Prozent.

Fabriken ohne Arbeit

In ihren Kalkulationen sind die Autohersteller von einer deutlich schnelleren Umstellung von Verbrennern auf E-Autos ausgegangen. Die Flaute im ersten Halbjahr erwischte die gesamte Branche auf dem falschen Fuss. Milliardenschwere Investitionen, die in die Entwicklung von Elektrofahrzeugen sowie in deren Produktion geflossen sind, drohen sich nicht mehr zu rechnen. Und in den Fabriken gibt es zu wenig Arbeit.

«Es bestehen riesige Ãœberkapazitäten, überall in Europa», sagt Hirzel. Branchenweit sahen sich Autohersteller in den vergangenen Monaten zur Einführung von Kurzarbeit gezwungen. Magdalena Martullo-Blocher, die Chefin von Ems, zitierte im Juli an der Halbjahreskonferenz des Kunststoffherstellers eine Erhebung aus Deutschland, die den Anteil der Betriebe in der deutschen Autoindustrie mit Kurzarbeit auf 16 Prozent bezifferte. Wie die Managerin weiter erwähnte, liessen Autofabriken diesen Sommer den Betrieb ferienbedingt deutlich länger ruhen als sonst.

Feintool erleidet Absatzeinbruch

Mehr und mehr sehen sich Unternehmen aus der Autobranche auch zu Werkschliessungen gezwungen. Weil sich sein hochpreisiges E-Auto-Modell Q8 e-tron dermassen schlecht verkauft, denkt Audi laut darüber nach, die Produktionsstätte in Brüssel vorzeitig dichtzumachen.

Die Nachfrageschwäche bei E-Autos deutscher Hersteller trifft auch Schweizer Zulieferer wie Feintool hart. Die Firma aus Lyss erlitt im ersten Semester in ihrem mit Abstand grössten Absatzmarkt Europa einen Umsatzeinbruch von 25 Prozent. «Wir hatten einen Rückgang in diesem Ausmass nicht erwartet», gestand Konzernchef Torsten Greiner diese Woche ein.

Auch Feintool hat in den deutschen Produktionswerken Kurzarbeit eingeführt. Am Stammsitz im Berner Seeland wird die Grossserienfertigung zudem komplett eingestellt, was laut einer Medienmitteilung von Ende Mai den Verlust von rund 70 Stellen bedeutet. Feintool verfügt über ausreichend Kapazitäten, um die Autoteile, die bisher aus der Schweiz stammten, neu im Werk im tschechischen Most zu produzieren. «Damit schlagen wir gewissermassen zwei Fliegen mit einer Klappe», sagte Greiner. «Wir werden eine Verlustquelle los und können die Produktion in Tschechien besser auslasten.»

Georg Fischer profitiert von der Luft- und Raumfahrt

Glimpflich kam bis anhin die auf Geschäfte mit Autoherstellern ausgerichtete Giessereisparte von Georg Fischer (GF) davon. Zwar berichtete im Juli auch GF Casting Solutions von sinkenden Abrufen im europäischen Automobilmarkt, doch konnte dies weitgehend durch deutlich gestiegene Umsätze mit chinesischen E-Auto-Herstellern sowie Mehreinnahmen im Luft- und Raumfahrtsegment kompensiert werden.

Im vergangenen Jahr wurden 58 Prozent aller neuen Autos mit Elektromotor oder Hybridantrieb in China abgesetzt. Zugleich waren bereits 26 Prozent der verkauften Neuwagen im Reich der Mitte reine Stromer, während der entsprechende Anteil in der EU 13 und in den USA sogar nur 8 Prozent betrug. Den chinesischen Markt teilen sich überwiegend einheimische Anbieter, wobei viele von ihnen erst auf geringe Stückzahlen kommen.

Laut der Ems-Chefin, die wie das Management von GF frühzeitig einen Blick auf das wachsende Geschäft mit E-Auto-Herstellern aus China geworfen hat, gibt es landesweit 140 Anbieter. Allerdings dürften – trotz üppigen staatlichen Zuwendungen – längst nicht alle überleben. In den vergangenen eineinhalb Jahren sollen, wie die Zeitschrift «The Economist» berichtet, mindesten acht grosse chinesische Produzenten die Fertigung gestoppt oder den Betrieb ganz eingestellt haben. Für Schweizer Zulieferer sei es vor diesem Hintergrund enorm schwierig, zu beurteilen, mit welchem Anbieter aus China es sich lohne zusammenzuarbeiten und mit welchem nicht, sagt Martin Hirzel.

Werbesprüche von Elon Musk verhallen

Mittlerweile sind selbst im riesigen chinesischen Absatzmarkt die Perspektiven deutlich weniger rosig als noch vor ein, zwei Jahren. Nach Einschätzung der Branchenbeobachter von S&P Global dürfte die Zahl der verkauften Personenwagen bis 2031 in der Volksrepublik durchschnittlich nur noch um 1,8 Prozent pro Jahr zunehmen. Für Europa und Nordamerika werden Wachstumsraten von 0,8 beziehungsweise 0,3 Prozent erwartet. Dies kommt weitgehend einem Stillstand gleich.

Wer sich ein neues Auto kauft, dürfte zudem in vielen Fällen dem Verbrenner die Treue halten. Dies gilt besonders für die USA, wo E-Autos trotz scheinbar pausenlosen Werbeauftritten des grossmäuligen Gründers und Chefs des Branchenschwergewichts Tesla, Elon Musk, weiterhin nur ein kleines Publikum ansprechen. Der Konkurrent Ford sah sich vergangene Woche gezwungen, einen Abschreiber von 400 Millionen Dollar in seinem Geschäft mit Elektrofahrzeugen bekanntzugeben. Der Grund: Die Entwicklung eines elektrischen SUV mit drei Sitzreihen werde nicht weiterverfolgt.

USA weisen den Weg

Zugleich sind die USA auch das Land, in dem weiterhin an der Technik von Autos mit Verbrennungsmotor gefeilt wird. «In Nordamerika gibt es nach wie vor Neuentwicklungen von Getrieben. Wir werden noch lange Freude daran haben», sagt der Chef von Feintool, Torsten Greiner.

Und selbst in Deutschland wagen sich erste Hersteller in ihren Entwicklungsabteilungen an den Verbrenner zurück. Auch wenn es, wie es in der Branche heisst, noch kaum jemand zugebe. Hirzel, der als Präsident von Swissmem auch die Interessen der zumeist eng mit Deutschland verbundenen Schweizer Autozulieferer-Industrie vertritt, erfüllt dies mit Genugtuung. «Es war ein Wahnsinn, den Verbrennungsmotor ausgerechnet in dem Land zu verbieten, in dem er erfunden worden war.»

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