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Neuer Fiat 600e: Erste Testfahrt im großen Bruder des 500

Was wäre Fiat ohne den Charme des kleinen Cinquecento? Auch der neue große Bruder 600e greift darauf zurück – plustert sich aber zu Familientauglichkeit auf und fügt einen reichweitenstärkeren Elektroantrieb hinzu. Allein dabei wird es aber nicht bleiben.

neuer fiat 600e: erste testfahrt im großen bruder des 500

Neuer Fiat 600e: Er löst mittelfristig den 500X ab, der aber vorerst noch weitergebaut wird. Hersteller

Ja, es hat in der Fiat-Geschichte schon auch große oder zumindest mittelgroße Limousinen gegeben. Den 1800 aus den 1960er-Jahren zum Beispiel, den 130 aus den 1970ern, in den 1980ern den Argenta und in den 2000ern den Croma. Weitaus nachdrücklicher im automobilen Gedächtnis festgesetzt haben sich aber andere: Cinquecento, Seicento, 850, 127, Uno oder Panda hießen respektive heißen sie und gehören allesamt zur Gattung der Klein- und Kleinstwagen. “Das ist unser Spielplatz”, sagt Andreas Mayer, der Fiat in Deutschland als Markenchef vorsteht.

Als zentrales Aushängeschild, wertvollster Imageträger und Verkaufsschlager agiert seit Jahren der charmante Autozwerg 500 (ausführlich: Cinquecento), von dem 2020 auch eine ganz neu entwickelte, vollelektrische Version namens 500e entstanden ist. Den Platzansprüchen einer Kundschaft, die ihr Fahrzeug auch mal mit mehr als zwei Personen besetzen und/oder auf Urlaubsreise gehen möchten, kann der 500 aber nicht Genüge tun. Und so stockt Fiat jetzt auf und nimmt als größeren Bruder – so wie schon in den 1950ern – wieder einen 600 (Seicento) in die Familie auf.

Noch immer ein Kleinwagen

Mit 4,17 Metern Länge ist auch der Neue keiner, der viel Verkehrsfläche beansprucht. Unverkennbar greift er die ikonische Optik des 500e auf, intensiviert sie aber zu einem lifestyligen Crossover-Look. Auch das Interieur erinnert an den kleineren Stromer, ebenso aber an den Jeep Avenger (unseren Fahrbericht lesen Sie hier), mit dem sich der 600e innerhalb der Stellantis-Gruppe die Plattform teilt. Zwar hat man in der modernen Cockpit-Landschaft nicht mit Hartplastik gespart, den Kunststoff jedoch ansehnlich angerichtet und ausstattungsabhängig mit peppigen Farben aufgewertet. Die Fahrstufen – einschließlich der intensivierten Rekuperation “B” – werden über Taster angesteuert, es gibt das heutzutage obligatorische Fahrerinstrumentarium, und das ohne lange Einlern-Phase bedienbare Infotainment haust in einem angemessen dimensionierten 10,25-Zoll-Touchscreen, unter dem sich noch verschiedene haptische Taster aneinanderreihen. Auch die Lautstärke lässt sich – noch immer die beste Lösung – unkompliziert über einen Drehknopf einstellen.

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Aus den gegebenen Abmessungen macht der fünfsitzige und fünftürige 600e räumlich das Beste. Vorne und tatsächlich auch hinten bringt er seine Passagiere ebenso bequem wie unbedrängt unter und stellt ihnen eine Vielzahl praktischer Ablagen zur Verfügung. Auch im 360 bis 1231 Liter großen Gepäckabteil mit dem – ausstattungsabhängig – doppelten Ladeboden, unter dem beispielsweise die Ladekabel Platz finden, herrscht keine Platzknappheit. Nur das zusätzliche Staufach eines “Frunks” unter der Fronthaube hat der 600e nicht zu bieten.

Ein Mildhybrid folgt

Den Elektroantrieb kennt man ebenfalls schon vom Jeep Avenger, aber auch vom Opel Astra Electric, Peugeot e-308 oder DS3 E-Tense: 115 kW/156 PS, dazu ein 54-kWh-Akku (netto 51 kWh) für rund 400 Kilometer Reichweite, die in der Praxis machbar erscheinen. Fiat schickt den 600 zwar vollelektrisch an den Start, stellt ihm aber 2024 noch eine Mildhybridvariante zur Seite, bei dem ein 74 kW/100 PS starker 1,2-l-Dreizylinder-Benziner Unterstützung von einem kleinen Elektromotor mit 21 kW/29 PS erfährt.

Der Fahreindruck, den der 600e vermittelt, ist ein angenehmer. Leise stromert der 600e seine Wege, ab “Standard”-Fahrmodus spielt er befreit auf, noch mehr in “Sport”, wo die volle Leistung mobilisiert wird. Von 0 auf 100 km/h geht es in 9 Sekunden, die Höchstgeschwindigkeit ist auf 150 km/h limitiert. Das Sparprogramm heißt “Eco”, hier fährt der Italiener seine Lebensfunktionen spürbar zurück und stellt sich ganz in den Dienst der Verbrauchsökonomie, der Stromverbrauch wird mit 15,2 bis 15,1 kWh/100 km angegeben. Das komfortabel abgestimmte Fahrwerk fängt Störstellen im Asphalt rücksichtsvoll ein. Dass der frontgetriebene 600e in Sachen Querdynamik keine sportlichen Ausrufezeichen setzt, sei ihm nachgesehen, Kurvengeräubere zählt schließlich nicht zu den Aufgaben eines Familien-Crossovers.

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Es sind eher ein paar andere Dinge, die man gern behoben sähe: So gibt es keine Anhängerkupplung und damit auch keine Möglichkeit, einen Fahrradträger aufzusetzen. Das könnte den 600e durchaus Kunden kosten. Zudem kann das Navi keine Laderoutenplanung erarbeiten, und es ist nicht machbar, den Ladevorgang automatisch auf batterieschonende 80 Prozent zu begrenzen. Über die Sache mit der Anhängerkupplung denke man bereits nach, sagt Produktmanagerin Vanessa Schwalm; die beiden anderen Defizite könnten irgendwann Gegenstand eines Software-Updates werden.

Schnellladen mit 100 kW

Apropos Laden: An der Wallbox geht es dreiphasig und mit den üblichen 11 kW vonstatten, vollständig aufgeladen sei der Akku in weniger als sechs Stunden, sagt Fiat. Die Schnellladeleistung wiederum beträgt 100 kW, das ist nicht rekordverdächtig, aber okay. Im Idealfall steigt der Akkufüllstand am Turbocharger binnen einer halben Stunde auf 80 Prozent.

neuer fiat 600e: erste testfahrt im großen bruder des 500

Der Einfachkeit und der Kostenersparnis halber stellt Fiat den 600e nur in zwei mehr oder weniger schon vorkonfigurierten Ausstattungsvarianten bereit. Das Basismodell “Red” ist ab 36.490 Euro zu haben und bringt unter anderem Voll-LED-Scheinwerfer, Keyless-Go, Klimaautomatik, Infotainment mit Apple CarPlay und Android Auto, Tempomat, Parksensoren sowie Aufmerksamkeits- und Spurhalteassistent mit. Beim luxuriöseren “La Prima”, der ab 42.490 Euro in der Preisliste steht, kommen beispielsweise noch das größere 10,25-Zoll-Infotainment mit Navi, Massagefunktion für den Fahrersitz, Adaptivtempomat, Rückfahrkamera, Fernlicht- und Totwinkelassistent sowie eine elektrische Heckklappe hinzu.

Auch farblich bietet der “La Prima” mehr Möglichkeiten als der “Red”, der ausschließlich in Rot (Standard), Weiß oder Schwarz (je 600 Euro Aufpreis) vorfährt. Die Farbe “Grau” hat Fiat übrigens komplett gestrichen. Man überlasse sie deutschen oder französischen Autos, ließ Fiat-Chef Olivier Francois wissen, zu Italien als dem Land der Farben passe sie hingegen gar nicht.

Ulla Ellmer

Fiat 600e in Kürze:

Wann er kommt: Ist bereits bestellbar

Wen er ins Visier nimmt: Jeep Avenger, Opel Mokka Electric, Peugeot e-2008, Smart#1, den künftigen Volvo EX30 etc.

Was ihn antreibt: Elektromotor mit 115 kW/156 PS, Akkukapazität 54 kWh (51 kWh netto), Vorderradantrieb

Was er kostet: Ab 36.490 Euro

Was noch folgt: 2024 eine Mildhybridvariante mit 74 kW/100 PS

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