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Murtal Rallye: Hintergrund - RALLYE

Quasi unter dem Teppich der öffentlichen Wahrnehmung gibt es lebhafte Diskussionen rund um das Abkürzen der Strecken. motorline.cc fühlt sich den Fans verpflichtet und liefert die Hintergründe…

Murtal Rallye: Hintergrund - RALLYE

7,7 Sekunden – eine für Zahlenfetischisten durchaus charismatische Zahl – es handelt sich dabei um jenen Vorsprung in Sekunden, den Simon Wagner am ersten Tag der ET KÖNIG Murtal Rallye auf seinen Konkurrenten Hermann Neubauer herausfahren konnte.

Einige Zeit später wurde aus den 7,7 Sekunden plötzlich 5,7 Sekunden – im offiziellen Schlussbericht des ersten Tages wurden bereits diese 5,7 Sekunden angegeben, allerdings erfuhr man hier nicht, auf welche Art und Weise die zwei Sekunden des Wagnerschen Vorsprungs „verloren“ gingen…

Licht ins Dunkel verschaffte ein Blick in den Online-Aushang der Rallye – bei den Entscheidungen des Rallyeleiters verrät die „Mitteilung Nr2“ den Hintergrund. Weil Neubauer auf SP2, einem Rundkurs, von Günter Knobloch behindert worden sei, wurden dem Salzburger „nach Sichtung der Onboard-Kamera #4“ (Neubauer) zwei Sekunden gutgeschrieben.

So weit, so gut. Allerdings kursierte zu diesem Zeitpunkt bereits ein Video
im Internet (siehe Einbettung weiter unten, Video von Cornelia Lüftenegger), auf welchem deutlich zu sehen war, dass Neubauer vor einer Rechtskurve plötzlich in die Wiese lenkte und damit die gesamte Kurve abgeschnitten hatte. Für die Rallyefans war es nun kaum verständlich, warum also ein Pilot, der nicht nur die Strecke mit allen vier Rädern verlassen, sondern die gesamte Kurve abgeschnitten hatte, letztendlich zwei Sekunden Gutschrift erhielt…

Rallyeleiter: „Neubauer wurde 40s aufgehalten“

Gleich am Morgen des Samstags hat motorline.cc daher bei Rallyeleiter Martin Dohr nachgefragt. Schließlich hatte er das Onboard-Video von Neubauer angesehen. Dohr begründete die 2s Gutschrift damit, dass Neubauer „etwa 40 Sekunden lang hinter Knobloch fahren musste“. Auf das Abschneiden der Kurve angesprochen sagte Dohr, dass dieses nicht vom Rallyeleiter aus geahndet werde – hier gibt das Reglement dem Rallyeleiter einen Spielraum von straffrei bis Wertungsausschluss. Warum Dohr das Abkürzen nicht geahndet hat, blieb offen. Er verwies darauf, dass dieses Vergehen erst dann geahndet werde, wenn Protest eingelegt wird. Dass Rallyeleiter sehr wohl auch von sich aus das Abkürzen bestrafen können und das auch praktizieren, war im Vorjahr zB bei der Buckligen Welt Rallye zu sehen – da wurde Simon Wagner mit einer 5-Sekunden-Zeitstrafe belegt, weil er bei einem Strohballen mit zwei Rädern die Strecke verließ.

Neubauer im Rallye Radio: „Musste ausweichen…“

Warum also wurde das auf dem Internet-Video so klar und deutlich ersichtliche Abkürzen von Neubauer nicht bestraft? Eine klare Antwort lieferte Hermann Neubauer höchstpersönlich in den Regrouping-Interviews des ET KÖNIG Murtal Rallye Radios nach SP9 – dort erklärte ein sichtlich verärgerter Hermann Neubauer, er würde sich wundern, dass niemand in dem Video erkennen würde, dass es quasi ein Ausweich-Manöver, ein Notfall gewesen sei: „Ich fuhr dicht hinter Knobloch und habe nicht damit gerechnet, dass er mich an dieser Stelle vorbeilassen wollte – ich musste also in die Wiese ausweichen, sonst wäre ich ihm ins Heck gekracht.“

Damit gab es nun also endlich eine – zumindest aus Neubauer-Perspektive – nachvollziehbare Begründung dafür, dass ein so offensichtliches, laut Neubauer nunmehr vermeintliches Abkürzen/Verlassen der Strecke mit keinerlei Strafe belegt wurde. Neubauer bestätigte auch, dass er den Rallyeleiter von diesem Ausweichmanöver im Rahmen der Onboard-Sichtung informiert hatte.

Ging Rallyeleiter von Ausweichmanöver aus?

Jetzt stellt sich die Frage: Warum wurde diese zumindest rein theoretisch nachvollziehbare Erklärung für das straffreie Abkürzen nicht in der Rallyeleiter-Entscheidung kommuniziert? Wir haben mittags erneut bei Martin Dohr nachgefragt – ob also die Aussage von Neubauer der Grund dafür gewesen sei, dass man das rigorose Abkürzen nicht geahndet hatte, weil es eben laut Neubauer ein Not-Ausweichmanöver gewesen sei? Mit einem simplen „Ja“ wäre das Vorgehen logisch erklärbar gewesen – doch Dohr verwunderte nun damit, dass er weder unsere Frage bestätigen noch sonst etwas in der Angelegenheit sagen wollte. Am Abend würde dazu unter Umständen etwas gesagt werden.

Der Hintergrund zu dieser Angelegenheit: Dieses für die einen rigorose Abkürzen, für die anderen dramatische Notfallmanöver wird erst wieder ein Thema, wenn Simon Wagner Protest einlegt. Das wiederum würde nur dann Sinn ergeben, wenn am Ende Neubauer wenige Sekunden vor Wagner liegen sollte…

Wagner-Umfeld glaubt Ausweichmanöver nicht

Dem Vernehmen nach glaubt man im Umfeld von Simon Wagner nicht an die Notfall-Ausweichmanöver-Version und man verweist zudem auf rund vier weitere Videos, die Hermann Neubauer beim Abkürzen an anderen Stellen zeigen würden (siehe auch der Screenshot oben). Im Reglement ist das Verlassen der Strecke mit allen Rädern an sich ein schweres Delikt, dessen Bestrafung jedoch in Österreich dem Rallyeleiter obliegt. Hier ist von Straffreiheit, Zeitstrafen (5s bis nach oben offen) bis hin zum Wertungsausschluss alles möglich. Offen ist die Frage, ob das Verlassen der Strecke, das Abkürzen in dieser Dimension reglementtechnisch mit einem Ausweichmanöver erklärbar ist oder, wie es manche Experten sehen, ob das Abkürzen quasi stets Abkürzen bleibt, aus welchen Gründen auch immer…

Den – als Redewendung nicht artgeschützten – Vogel haben die „Lungauer Nachrichten“ abgeschossen: Sie zeigen das ominöse Video und feiern ihren Lokalmatador mit den Worten: „Und was macht der zweifache Rallye-Staatsmeister wenn ihm Kontrahenten im Weg sind? Richtig: er überholt auf seine Art und Weise.“

Strafenkatalog versus „Geschmäckle Willkür“

Bleibt eigentlich nur noch eine grundsätzliche Frage im Raum stehen: Soll man das mit dem Abkürzen nicht so eng sehen da es ja sowieso ein Offroad-Sport ist oder soll es ein klares Regelwerk bzw. vor allem dessen klare und nachvollziehbare Umsetzung geben? Viele möchten einen Strafenkatalog wie er etwa in Deutschland angewandt wird. Was dem Sport gar nicht gut tut, ist die „Geschmacksrichtung“ Willkür – wenn also das Gefühl aufkommt, dass Entscheidungen nicht nach klaren Richtlinien getroffen und manche dieser Entscheidungen dann „auf kleiner Flamme“ minimal bis gar nicht kommuniziert werden, während Lokalmedien ungeniert das Abkürzen ihres Local Heroes abfeiern.

Ja, es waren „nur“ zwei Sekunden, die plötzlich gefehlt haben. Und wenn am Ende Wagner vor Neubauer liegt, wären die zwei Sekunden völlig unwichtig. Doch die Rallyefans haben einen Anspruch darauf, über die Hintergründe solcher Entscheidungen informiert zu werden. Diesem Anspruch möchte motorline.cc gerecht werden – nicht mehr, und nicht weniger…

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