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Motorräder aus Indien: Weltweite Wachstumschancen

Indische Hersteller beteiligen sich an Marken aus Europa oder kaufen sie, während BMW, KTM und Triumph im Sinne besserer Wachstumschancen mit ihnen kooperieren.

motorräder aus indien: weltweite wachstumschancen

Weitgehend baugleich mit der BMW G 310 RR ist die ebenfalls aus Indien stammende TVS Apache RR 310. Sie wird daher wohl nicht nach Europa kommen.

(Bild: BMW)

In Deutschland haftet indischen Motorradmarken das Image von simpel konstruierten Kleinkrafträdern an und man neigt dazu, überheblich auf sie herunterzugucken. Doch immerhin ist Indien der größte Motorradmarkt der Welt und die dortigen Hersteller sind Schwergewichte der Motorradindustrie. Europäische Marken gehen mit ihnen Kooperationen ein, um überhaupt noch wachsen zu können. Inzwischen drängen die Inder auch auf den europäischen Markt und legen dafür legendäre Marken neu auf.

Indien liegt vor China

Auch wenn Indien 2021 wegen der Coronakrise vorübergehend den Titel “größter Motorradmarkt der Welt” an China abtreten musste, haben sich die Inder 2022 wieder an die Spitze gesetzt. Genauso wie Indien China bald als das bevölkerungsreichste Land ablösen wird: Auf dem Subkontinent leben inzwischen 1,417 Milliarden Menschen und die Bevölkerung wächst, statt wie in China zu schrumpfen. 2022 wurden 16,2 Millionen neue Krafträder in Indien verkauft, während China auf “nur” 15,1 Millionen Motorräder kam.

Damit ist Indien zwar noch deutlich vom Rekordjahr 2018 entfernt, als über 20 Millionen Motorräder neu zugelassen worden waren, aber der Markt hat vergangenes Jahr um 13,2 Prozent zugelegt. Das Land ist auf günstige Verkehrsmittel angewiesen, viele können sich kein Auto leisten und so stellt das Kraftrad ein Massentransportmittel dar. Das darf man wörtlich nehmen: Es sind nicht nur Millionen Inder täglich auf Motorrädern und Rollern unterwegs, sondern sie transportieren darauf auch häufig mehrere Passagiere, Waren, Einkäufe oder ihren halben Haushalt.

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In fünf Tagen mehr Käufe als pro Jahr in Deutschland

2022 wurden in Deutschland insgesamt 201.433 Krafträder und Roller aller Hubraumklassen neu zugelassen – soviel wie in Indien in nur viereinhalb Tagen. Selbst in ganz Europa gab es 2022 nur 1,56 Millionen neu zugelassene Krafträder. Natürlich fahren Inder überwiegend kleine Motorräder und Roller mit selten mehr als 150 cm3, die aber in gigantischen Mengen. Allein die größte indische Motorradmarke Hero verkaufte vergangenes Jahr rund fünf Millionen Motorräder und hat im Laufe ihrer Geschichte, die erst 1984 begann, über 100 Millionen Krafträder produziert. Nummer zwei in Indien war letztes Jahr TVS mit rund 2,5 Millionen Motorrädern und Rollern, dahinter Bajaj mit etwa 1,6 Millionen.

Motorräder aus Indien (7 Bilder)

motorräder aus indien: weltweite wachstumschancen

Indische Motorräder haben selten mehr als 150 cm3, werden dafür aber millionenfach verkauft. Das meistverkaufte Modell in Indien war 2022 die Hero Splendor Plus mit 97 cm3 und acht PS. Zudem ist die Marke Hero auch Marktführer in Indien mit rund fünf Millionen Krafträdern im letzten Jahr.

Royal Enfield expandiert nach Europa

Die bei uns bekannteste und erfolgreichste indische Marke ist Royal Enfield. Vergangenes Jahr hat sie bis Oktober 657.846 Motorräder weltweit verkauft, eine satte Steigerung um 34 Prozent. Damit zählt die Marke in Indien zwar zu den eher kleineren, aber sie genießt einen exzellenten Ruf, weil sie mit der 500 Bullet das am längsten gebaute Modell aller Zeiten vorweisen kann, sie stammte in ihren Grundzügen aus dem Jahr 1933 und wurde erst 2020 eingestellt. Auf dem Subkontinent galt der luftgekühlte 500er-Einzylinder als Big Bike und hat bis heute einen riesigen Fankreis. Zu verdanken hat Royal Enfield das vor allem Siddartha Lal, dem Sohn des Besitzers von Eicher Motors, der Royal Enfield 1994 gekauft hatte.

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Lal ist Motorradenthusiast und hat Royal Enfield, nachdem die Marke 2000 tief in den roten Zahlen steckte, zu ungeahnten Erfolgen geführt. Er setzte konsequent auf das legendäre Image der Bullet, modernisierte das Werk in Chennai und kurbelte die Produktion durch geschicktes Marketing mächtig an. Sogar im leistungsverliebten Deutschland schaffte die betagte 500 Bullet schließlich bemerkenswerte Absatzzahlen. 2017 brachte Royal Enfield mit der Himalayan das erste neue Modell seit Ewigkeiten heraus. Die luftgekühlte Einzylinder-Enduro mit ihren 25 PS aus 411 cm3 erwies sich als robust und fand auch außerhalb von Indien rasch viele Freunde. Allein vergangenes Jahr entschieden sich in Deutschland 672 Käufer für die preisgünstige Himalayan.

Unser Test

Weltmarktführer in der Mittelklasse

2018 setzte Siddartha Lal noch einen drauf und stellte mit den Zweizylindern Interceptor 650 und Continental GT 650 nicht nur die größten und mit 48 PS auch stärksten Modelle in der Geschichte Royal Enfields vor, sondern verkündete zudem, in der Mittelklasse langfristig zum Weltmarktführer aufsteigen zu wollen. Bereits einige Jahre zuvor hatte er das namhafte Ingenieursbüro Harris Performance in England gekauft, wo die Zweizylinder entwickelt worden waren.

Aber Royal Enfield plant noch weiter in die Zukunft: Ende 2022 ging die Konzernmutter Eicher ein Joint Venture mit dem spanischen Elektromotorrad-Hersteller Stark Future ein und investierte 50 Millionen Dollar in das vielversprechende Start-up. Damit erhielten sie einen Anteil von 10,35 Prozent. Royal Enfield möchte von Stark Futures Entwicklungsvorsprung für eigene Elektromodelle profitieren. Der Prototyp mit dem Titel “Electrik01” soll schon weit gediehen sein und vermutlich 2024 auf den indischen Markt kommen.

Indien wird elektrisch

Elektromobilität wird inzwischen auch in Indien immer wichtiger, denn die Luftverschmutzung ist dort ein großes Problem, so gilt die indische Hauptstadt Neu-Delhi als Stadt mit der am stärksten verschmutzten Luft der Welt mit Spitzenwerten von 1000 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft. Zum Vergleich: In der EU gilt ein Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter. Deshalb wird in Indien ab April 2025 die Neuzulassung von kleinen Verbrenner-Krafträdern bis 150 cm3 verboten. Dafür subventioniert der Staat die Elektroroller- und motorräder kräftig, was dazu führte, dass vergangenes Jahr in Indien rund 630.000 Elektroroller und -motorräder verkauft wurden, eine Steigerung um 511 Prozent.

Indisches E-Motorrad

Der italienische Elektromotorrad-Hersteller Tacita, gegründet 2009, hat im Dezember 2022 bekannt gegeben, mit dem indischen Elektrobike-Produzenten Okinawa (auch wenn der Name japanisch klingt, kommt die Marke aus Indien) eine Kooperation einzugehen. Okinawa investiert 25 Millionen Euro für eine Entwicklungsabteilung in Italien, im Fokus steht wohl das elektrische Konzept-Modell “T-Cruise”.

Hintergrund

Den umgekehrten Weg ging der italienische Roller-Gigant Piaggio, der schon seit langem ein eigenes Werk in Indien besitzt. Als größter europäischer Kraftradhersteller (zu Piaggio gehören auch Vespa, Aprilia und Moto Guzzi) musste er dafür kein Joint Venture mit einem indischen Produzenten eingehen. Die Fabrik in Baramati hat Kapazitäten von bis zu 300.000 Vespas pro Jahr.

Eine indische Bayerin

An Expansion ist auch TVS interessiert. Die zweitgrößte indische Marke sorgte bereits vor einigen Jahren in Deutschland für Aufmerksamkeit, als BMW sich entschied, kleine Modelle kostengünstig bei TVS in Indien fertigen zu lassen. 2016 erschien das Naked Bike G 310 R und wenig später das Modell BMW G 310 GS (Test). Sie hatten 313 cm3 und 34 PS, aber dank günstiger Preise waren sie nicht nur in Indien, sondern auch in Europa für Einsteiger mit schmalem Geldbeutel ein interessantes Angebot, die niedrigen Produktionskosten machten es möglich.

TVS profitierte zusätzlich von dem Deal durch sein vollverkleidetes Sportmotorrad Apache RR 310 auf Basis der BMW G 310, zumal auf dem indischen Markt Sportbikes gerade sehr angesagt sind. Zwar wurde in Indien inzwischen auch der Sportler BMW G 310 RR präsentiert, ob er auch nach Europa exportiert werden wird, bleibt aber fraglich.

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