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Favorit für's Mittelgebirge mit den besten Kurven - Motorradtour im Thüringer Wald

Bayerischer Wald, Pfälzerwald, Schwarzwald – Deutschlands Mittelgebirge sind vielfältig. Aber welches hat die besten Kurven? Der Thüringer Wald ist einer der Top-Favoriten für diesen Titel.

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Favorit für’s Mittelgebirge mit den besten Kurven – Motorradtour im Thüringer Wald

An allen Ecken, auf allen Wegen kommen sie mir entgegen, die Simson-Knatterer. Hier in Suhl, im Herzen des Thüringer Waldes, wurden sie zu DDR-Zeiten gebaut, die legendären Simson-Mopeds wie Schwalbe, Habicht, Sperber oder Spatz. Und heute scheinen sie förmlich wieder aufzuleben, denn ganze Pulks von Halbwüchsigen in Zweitakter-Wolken passieren mich, selbstbewusst die Hand zum Gruß hebend. Wohl wissend, dass meine KTM 890 Adventure, obwohl mit fast dem Zwanzigfachen an Hubraum ausgestattet, eigentlich nur von der Stange gekauft ist und nicht ein derartig ostalgisches Stück Industriegeschichte.

Das Garmisch-Partenkirchen des Thüringer Walds

Immerhin, auch die KTM fühlt sich als Jüngling sehr wohl hier im Thüringer Wald. Was vor allem daran liegt, dass sie die meiste Zeit in Schräglage verbringen darf. Denn der Thüringer Wald hat mir bisher so viele Kurvenstrecken beschert wie selten ein Mittelgebirge in Deutschland. Rein in den Wald, raus aus dem Wald, rein in die Kurve, raus aus der Kurve – diese Straßen hier sind gewunden wie ein Wurm, mit gutem Belag, aber zum Glück keinen begradigten Kurven. So macht die Wende Spaß. Hinter mir liegt schon ein Tag Motorradtour in der Region. Über den kleineren Bruder des Thüringer Waldes, das Thüringer Schiefergebirge, habe ich mich nach Suhl vorgearbeitet. Bin vom gewundenen, fjordartigen Saaletal über das steil eingeschnittene Schwarza- und Bibertal zum Kamm der beiden Gebirge und weiter nach Suhl gefahren. Nach schiefergetäfelten Häusern des östlichen Gebirges soll es nun heute weiter nach Westen in den Thüringer Wald hineingehen, wo die Häuser ein ganz anderes Gepräge haben. Wie schon gestern auf meiner Fahrt kreuze ich auch heute mehrmals wieder den Rennsteig, Deutschlands ältesten und beliebtesten Fernwanderweg. Seit dem Mittelalter gibt es diesen Botenweg entlang der Kammlinie des Gebirges. Wer durch den Thüringer Wald tourt, wird immer wieder bunte Wandersocken vor sich über die Straße huschen und in den Wäldern verschwinden sehen. Die Kammlinie des Thüringer Waldes ist auch mein Ziel, als ich vom historischen Rennsteig-Bahnhof nahe Schmiedefeld nach Nordwesten Richtung Oberhof aufbreche.

Wieder ist da eine Kurvenstrecke, die genauso gut in den Alpen sein könnte. Eng und gewunden führt das Sträßchen zu Füßen des Großen Beerberges vorbei, mit 983 Metern der höchste Gipfel im Thüringer Wald. Zwar lässt auf dieser Strecke der Belag ausnahmsweise zu wünschen übrig, aber die vielen Kurven sind genau, was die 890 Adventure liebt. Auch wenn sie erst ab 3.000 Touren richtig ruckfrei aus den Kurven ziehen mag, passen Fahrwerk und Bremsen perfekt zu dieser wilden Hatz. Schnell ist Oberhof erreicht, ein sportliches Zentrum der DDR und auch heute noch ein Wintersportort mit internationalem Rang. In der Crawinkler Straße ragt zwischen zwei Einfamilienhäusern das Obere des Anlaufturms einer Sprungschanze in den Himmel, als ob es ein etwas überdimensionierter Wäscheständer wäre. Sportanlagen und Sportler gehören in Oberhof zum Ortsbild und zum Alltag. Immerhin gibt es nicht ein, nicht zwei, sondern gleich drei Skisprunganlagen, eine Rennrodelbahn, Skisport-Halle, Eisarena, Flutlicht-Skihang, Bike-Park, Sportgymnasium und eine Biathlon-Arena. Oberhof ein Garmisch-Partenkirchen des Thüringer Waldes? Vom sportlichen Rang kann das ehemalige Leistungszentrum der erfolgreichen DDR-Athleten mit vielen Wintersportzentren der Alpen mithalten. Schade nur, dass dabei die alten Häuser, das Herz eines Gebirgsdorfes, klotzigen Neubauten weichen mussten, mit denen die DDR meinte, protzen zu müssen.

Sogar die Bundesstraße wird zum Spektakel

Geblieben sind die kurvigen Bergstrecken, die mich nach kurzer Pause hinausziehen aus Oberhof. Im Thüringer Wald kann selbst eine ehemalige Bundesstraße – sonst meist ein Garant für kurvenbegradigte Ausbaustrecken – zum Spektakel werden. Die L 3247 von Oberhof hinunter nach Zella-Mehlis ist so ein Kurvenkarussell, das auch als offizielle Rennstrecke genutzt wird. Die übrige Zeit des Jahres ist sie ein Geschenk für uns Motorradfahrer, die sich hier genussvoll in die Kurven legen können, während früher die guten alten Trabis kurz vor dem Umkippen gewesen sein müssen, so wild geht es zu Tale. Zella-Mehlis ist zwar ein Industrieort, aber wie Suhl umgeben von Bergen und viel Natur. Und so wartet gleich das nächste gewundene Sträßchen hinter der Stadt hinauf zu ihrem Hausberg, dem 866 Meter hohen Ruppberg und weiter nach Steinbach-Hallenberg und Floh-Seligenthal. Dann kommt das, was mir scheint wie die berühmte Sella Ronda in den Dolomiten: Passstraße runter ins Tal, umsetzen, Passstraße hoch in die Berge, umsetzen, Pass wieder runter und wieder hoch. Bis man am Ende zum Ausgangspunkt kommt. In meinem Fall heißt das nun, vor Floh-Seligenthal rechts über Tambach zu Tal stürzen und dort beschaulich nach Friedrichroda zu schwingen. Dann auf einer klasse Kurvenstrecke hoch nach Kleinschmalkalden und am Kamm des Gebirges entlang ebenso wunderbar geschwungen nach Brotterode. Die Fahrt von dort hinunter nach Bad Tabarz, vorbei am 916 Meter hohen Inselberg, ist noch besser als das Gute von vorher. Begeistert komme ich in Tabarz an und wäre bereit für eine Kaffeepause, um meine Endorphine wieder in den Griff zu kriegen.

Aber nein, es geht ja noch weiter! Von Tabarz ein kleines Stück im Tal umsetzen nach Emsetal, und da wartet schon wieder die nächste Bergstrecke hinauf auf den Kamm des Thüringer Waldes. Auf dem könnte ich nun wieder über Brotterode zurück nach Floh-Seligenthal – fraglos mit den entsprechenden klasse Kurven. Meine Ronda Thuringia wäre damit komplett und selbst ohne Dolomitengipfel und lange Serpentinenfolgen mit 80 Kilometern fahrtechnisch eine der spannendsten Runden in Deutschlands Mittelgebirgen. Aber ich will noch den Norden des Thüringer Waldes erkunden und schlängle mich hinunter nach Ruhla, dem hübschen Fachwerkort, der sich in ein enges Tal hineinkuschelt. Am Einstein-Gymnasium ist gerade Unterrichtsschluss und zwei Dutzend Jungs, aber auch Mädels schwingen sich auf ihre Simson-Mopeds, die vor dem Gymnasium in beeindruckender Phalanx geparkt sind. Die wollen heim zum Mittagessen, ich auf dieses unglaublich verwinkelte, aber sehr enge und mit etwas Vorsicht zu genießende Sträßchen westlich zur B 19. Solche Straßen sind selten geworden in Deutschland und mit etwas Umsicht wunderbar zu fahrende Entdecker-Routen.

Wartburg in Eisenach

Auch die ausgebaute B 19 zeigt wieder einmal: Selbst Bundesstraßen können im Thüringer Wald fantastische Kurvenstrecken sein. In genialen Schlenkern falle ich auf einer landschaftlich sehr schönen Strecke schließlich im Glückstaumel in Eisenach ein. Und da thront sie über mir, die Wartburg mit 900 Jahren bewegter deutscher Geschichte am hoch aufragenden Buckel. Zu einem Nationalheiligtum ist sie geworden, bei dem auch die UNESCO nicht anders konnte, als es zum Welterbe zu ernennen. Luther hat dort oben die Bibel übersetzt, Goethe wandelte zwischen Burg und Eisenachs Gassen und natürlich Johann Sebastian Bach, der berühmte Sohn der Stadt. Da sollte auch ich hier wandeln, lasse mir wenigstens Zeit für einen schnellen Kaffee am Markt und etwas Beinevertreten in den Gassen drum herum. Die Burg, das Bach- oder das Lutherhaus und natürlich auch das Automobilmuseum als Hommage an hundert Jahre Autoproduktion in Eisenach müssen auf einen Regentag warten.

Heute scheint aber die Sonne, und da schwinge ich wieder begeistert hoch auf den Kamm des Thüringer Waldes und komme hinter Ruhla doch noch zu meiner Kurvenstrecke nach Brotterode, die mir vorher bei meiner magischen Runde gefehlt hatte. Über das Trusetal erreiche ich Schmalkalden, das Schatzkästchen mit seinen wunderschönen Fachwerkhäusern. Verdammt, da sollte ich schon wieder Pause machen, so schön ist es da. Aber heute sitzt mir der Sch(m)alk im Nacken und der zieht mich raus aus Schmalkalden nach Süden, wo der Thüringer Wald langsam in die Weiten der Thüringischen Rhön übergeht. Winzige Strecken auf einer Runde über Christes und Metzels nach Schwarza habe ich mir da ausgeguckt und bin wieder völlig hin und weg von dieser Kurvenvielfalt. Und natürlich kommt mir zum Ende des Tages wieder ein Pulk Simsonfahrer entgegen, die meine 890 Adventure lässig auf Augenhöhe grüßen.

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