Lifestyle

Erregungen in einem Autohaus in Berlin: Männerfantasien, frischer Lack und schwarzer Gummi

erregungen in einem autohaus in berlin: männerfantasien, frischer lack und schwarzer gummi

Kopfkino im Autohaus.

Dies ist ein Open-Source-Beitrag. Der Berliner Verlag gibt allen Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten.

Wir suchen nach der Lücke, drehen Runde um Runde, erweitern den Radius unsystematisch, bis wir irgendwann Erfolg haben, ohne dass sich jetzt noch ein Erfolgsgefühl einstellen könnte.

Raus aus dem Auto und zu Fuß rein ins Gewimmel, es ist fast Mittag und bereits jetzt drückt das heiße Berlin auf alle Sinne. Die Luft, besser der Staub der Stadt flirrt und flimmert nur so über den Straßen, den drängenden Autoschlangen, den sich vorwärtsschiebenden Fußgängermassen.

Mein Freund und ich haben so weit weg geparkt, dass wir jetzt noch eine halbe Stunde Marsch bis zum Ziel vor uns haben. Als wir endlich ankommen, bleiben wir erst einmal vor den monumentalen Glasfassaden stehen, um uns etwas zu sammeln. Wir müssen uns die Nasen putzen und stecken die rabenschwarz beschnupften Taschentücher, Abziehbilder dieser Stadt, schnell wieder weg. Endlich treten wir ein, in den Glaspalast.

Die elegante, gewaltige Fensterfassade lässt die Hitze draußen, als würde man einen anderen Kontinent, eine andere Welt betreten. Im „Showroom“ viel Schwarz und Silber, moderne gefällig-abstrakte Kunst an den Wänden, schwebende kubische Möbel locker verteilt, Interieur der Weltgewandtheit.

Unsere Blicke werden sogleich von denen der großen Wagen eingefangen. Da hocken sie in einer Reihe, auf dem Sprung, hochglanzgelackt, stark bis aufgeblasen, immer breit- und hochbeinig. Umnebelt von ihren Ausdünstungen, fast scharf, die Noten von frischem Lack und schwarzem Gummi. Das Szenario strahlt eine Atmosphäre von Würde, Exklusivität, Erhabenheit, ja fast Noblesse aus, was überall sonst lächerlich wirken muss, hier vor Ort aber seine Wirkung nicht verfehlt. Wir sind gebannt, ich finde erst nach einiger Überwindung meine Sprache wieder und die bleibt, ohne dass ich das beeinflussen kann, einige Minuten lang devot gedämpft.

Ich erkläre kleinlaut, warum wir gekommen sind. Es ist mir ein wenig unangenehm. Ich verfolge meine Worte, die versinken, verebben im weichen Velours, mit dem der Laden und die Gefährte gepolstert sind. Der Verkäufer, in den Vierzigern, steht vom Glastisch auf, an dem er eben noch in einem glänzenden Folianten lässig blätterte, begrüßt uns lächelnd wissend. Ein weiterer Verkäufer, vielleicht 25, kommt aus einem Nebenraum dazu. Nach kurzer Unterredung haben sie verstanden.

Auch ich habe eigentlich längst alles durchgespielt. Ein Vorgefühl des Besitzes, der Begierde nach frischer Stärke und Macht keimt auf, schon sitzt man in diesen Raketen und mischt die Welt auf. Beherrscher der Technik, Männerfantasien. Auch wenn die sich heute etwas verändert haben. Kein Mann (und kein Mensch) hätte mehr an irgendwas zu schrauben heute. Die Technik glänzt nur noch virtuell, die zum Anfassen kommt nie wieder. Jedenfalls für die Käufer. Männerhände bleiben sauber.

Die beiden Verkäufer registrieren unser Kopfkino, es ist ihr Job. Sie erläutern, wortreich: Größere Autos … größere Räder … höhere Wägen … viel übersichtlicher … viel sicherer … SUV. Mittlerweile ist mir klar, dass ich mich jahrelang ohne Übersicht bewegt haben muss. Mein Blick geht nach draußen in die gefährliche Welt, auf die immer noch verstopfte Straße und die gehetzten Passanten, die rasenden Roller und die flitzenden Räder. Plötzlich bemerke ich, wie sich mein rechter Fuß wie zum Gasgeben anspannt und nach vorne tippt.

Ich schließe die Augen, durch mich geht ein Ruck. Der Wagen macht einen kleinen Satz und schon finde ich mich inmitten duftender provenzalischer Lavendelfelder, gleite über gewundene Landstraßen der Côte d’Azur im schönsten Süden Frankreichs unter südlicher Sonne, die das Land verzaubert, ihm die schönsten Farben schenkt, dahinfliegende Tupfen in Rosa, Gelb, Lila, die sich links und rechts der Straße zu bunten Bändern ziehen. Ab und zu kommt mir ein Wagen entgegen, man lächelt sich zu. Für diese Freiheit braucht man ein geeignetes Auto. Ein großes. Mit Übersicht.

Ich bin vor Jahren mal dort an einer vor sich hin brennenden Böschung entlanggefahren, irgendeine Glasscheibe hat als Brennglas das dürre Gras entflammt, niemand schien sich drum zu kümmern, man musste nur die Übersicht behalten.

Die Erinnerung an die Hitze katapultiert mich zurück nach Berlin. Ich reiße die Augen auf und räuspere mich, mache die Verkäufer noch einmal auf unser eigentliches Anliegen aufmerksam. Nach kurzem Telefonat erscheinen zwei Männer und übergeben uns ein sperriges Paket.

Als ich mit meinem Freund wieder die staubige, heiße Straße betrete, kommt mir alles wie eine schlechte Pointe vor. Ich hatte einen Fahrradträger fürs Auto bestellt, der idiotischerweise nicht nach Hause, sondern in dieses Autohaus geliefert wurde. Jetzt schleppen wir schwitzend das Paket durch den Berliner Verkehr zum Auto, das wir irgendwo in diesem Blechdschungel geparkt hatten.

Georg Daeschlein, aufgewachsen in Berlin-Neukölln, arbeitete bis zur Wende unter anderem in medizinischen Forschungsprojekten an der Charité und der FU-Berlin. Heute lebt er in Brandenburg und arbeitet als Arzt in Wittenberg, Sachsen-Anhalt.

Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag allen Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.

TOP STORIES

Top List in the World