Motorrad

Ein Moto-Dorado par excellence - Motorradtour in Baden-Württemberg

Es gibt Momente, die kann man nicht wiederholen. Vergangene Lieben, verpasste Chancen. Aber man könnte es trotzdem versuchen. Dirk Schäfer probiert es auf dem Deutschland-Marathon. Diesmal in Baden-Württemberg.

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Ein Moto-Dorado par excellence – Motorradtour in Baden-Württemberg

Frauen wissen es, Männer ahnen es: Den meisten Unfug machen Männer wegen einer Frau. Anders kann ich es mir auch nicht mehr erklären, warum ich mit meinem ersten Motorrad über mehrere Jahre an fast jedem Wochenende von Wuppertal nach Sigmaringen gefahren bin. 500 Kilometer hin, 500 Kilometer zurück. Meine Jugendliebe war zum Studium von der Schwebebahnstadt an die obere Donau gezogen. Darunter litt meine einzylindrige Honda XBR 500, die sich mit mageren 27 PS über die Autobahn plagte. Ich hatte ein größeres Ritzel montiert, um etwas mehr Topspeed herauszukitzeln. Eine labberige Halbschale sollte den Winddruck und die Kälte nehmen, Heizgriffe den durchfrosteten Wintertagen Paroli bieten. Was ich nicht tat, war, mich auf all diesen Fahrten auch mal abseits der Schnellstraßen umzusehen. Ausgerechnet in Baden-Württemberg, einem Moto-Dorado par excellence. Aber das kann man doch nachholen, oder?

Bodenseeregion mit Obstplantagen und charmanten Dörfer

Jahre später: Ein fahler Schleier aus blassem Hellblau liegt dort, wo ich den Bodensee vermute. Durch den Schleier drücken sich im Morgenlicht die Zacken der Schweizer Alpen, und nur langsam zeigt sich Deutschlands größter See als schimmernde Linie. Warum ich nicht direkt am Ufer stehe? Ich stehe an einer besseren Stelle: auf dem Gehrenbergturm. Luftlinie acht Kilometer vom Bodensee und dem Verkehrsgewimmel der Uferstraßen entfernt bin ich auf dem 30 Meter hohen Turm so alleine wie Sandra Bullock in “Gravity”. Ob das so bleibt?

Die Bodenseeregion versprüht so viel Flair, dass mein Erlebnishunger von den Sättigungsbeilagen der bunten Obstplantagen, weiten Felder und charmanten Dörfer gefüttert wird. Aber wo sind die T-Bone-Steaks? Südlich von Bonndorf, in den Schluchten von Schlücht und Schwarza, schüttelt das Ländle seine Biederkeit ab. Tiefdunkle, schroffe Felswände, denen man nicht zu nahe kommen möchte, flirren rechts vorbei. Auf der anderen Seite wollen statt Schutzplanken hochkant gestellte Gesteinsbrocken Stürze in den Talgrund verhindern. Zwischen Fels und Brocken zwängt sich ein beherztes Sträßlein, dem selbst die sonst obligaten deutschen Leitpfosten fehlen. Ist das hier überhaupt noch Deutschland? Frankreich oder Italien würde man eine so abenteuerliche Streckenführung zutrauen. Aber dem Ländle? Ich wundere mich zum ersten, aber nicht zum letzten Mal.

Südschwarzwald, von Pfaffenberg zum Hochblauen

Überhaupt: Diese Wechsel von beschaulich zu bestaunlich! Gerade habe ich mir eine Pause im Postkartenidyll von Laufenburg gegönnt, da versprüht schon der Südschwarzwald seine Lockstoffe. Und damit meine ich nicht die oft gepriesene B 500. Zu groß, zu viel Verkehr. Nein, von Pfaffenberg zum Hochblauen, da geht mir das Herz auf. Zuerst säuselt der Zweizylinder oberhalb des Wiesentals auf panoramaverdächtigem Kurs und senkt sich dann ins Tal der Köhlgartenwiese. Was sich nach Gras anhört, ist eigentlich ein bescheidener Bach, aber die Straße, die ihm folgt, schwingt sich zu einem Highlight auf. Ich schwinge hinterher. Beinah mit zu viel Schwung und verpasse es fast. Zumindest habe ich nicht mit dem plötzlichen Abzweig gerechnet, der in einer Carrerabahn-Linkskurve noch weiter nach links innen zum Hochblauen abdriftet. Scharfer Druck auf den Bremshebel, die Bremsflüssigkeit presst auf die Kolben, die Beläge beißen in die Bremsscheibe. Ein leichtes Pfeifen zwischen Reifen und Asphalt verkündet maximale Verzögerung. Gerade rechtzeitig.

Deutschland-Marathon: Die komplette Serie in MOTORRAD

Ein Sendemast, ein Aussichtsturm und ein Berghof mit Parkplatz. Nüchtern die Fakten, berauschend die Aussicht. An guten Tagen soll man von hier die Alpen vom Säntis bis zum Mont Blanc sehen können. Heute ist ein guter Tag und ich sehe den Alpenkamm. Aber welcher der Puderspitzen ist der Säntis, welcher der Mont Blanc? Und: Warum war ich nicht schon früher hier? Wahrscheinlich haben es vor Zeiten die Hormone verhindert. Und was ist mit jetzt? Irgendwo muss da aber noch ein Hormon sein, denn ich schaue auf die Uhr und überschlage kurz die Distanz zum Brend bei Furtwangen. Rund 100 Kilometer. Auf kleinen Straßen? Da muss ich mich sputen. Es gibt Menschen, die will man nicht warten lassen. Vor allem, wenn sie etwas Wichtiges mitbringen.

Münstertal, Schauinsland, Hexenloch

Auch wenn ich es eher eilig habe, kann ich mir das Münstertal und den Schauinsland nicht verkneifen. Jetzt, an einem normalen Wochentag, ist es auf dem Freiburger Hausberg fast so ruhig wie auf Robinsons Insel. Das ändert sich in Kirchzarten, wo sich der Feierabendverkehr in der West-Ost-Achse Bahn bricht. Ich halte mich nordwärts zur Spirzenstraße. Kurz vor deren Hochpunkt muss ein schneller Blick in den Rückspiegel fürs Panorama genügen. Soll ich jetzt auf die B 500 einschwenken? Das würde mir ein paar Minuten sparen. Ach Quatsch, ich bin ja schon fast da. Und die paar Minuten werden es auch nicht rausreißen. Also ab ins Hexenloch!

Nein, Zeit kann man auf den fünf Kilometern durch das enge Hexenloch nicht gewinnen. Aber Atmosphäre! Kaum Tageslicht dringt in das Tal, in dem man sogar einem entgegenkommenden Traktor ausweichen müsste. Über dunkle Felsen gurgelt der Heubach und ich bin froh, dass es noch nicht ganz so dunkel ist, als ich bei Neukirch das Hexenloch hinter mir lasse. Denn der Sunset ist für den Brend eingeplant. Noch zwölf Kilometer. Schaffe ich das noch rechtzeitig?

Die Sonne blinzelt nur noch milde durch die Baumreihen. Die Ténéré schiebt auf den letzten Metern zum Treffpunkt auf dem Brend noch mal mächtig an. Knirschend rollt die Yamaha auf den Parkplatz vor dem Brendturm und ich halte neben einer weißen BMW HP2. Diana ist also schon da und hat das Motorrad mitgebracht, das mich auf mehreren Etappen des Deutschland-Marathons begleitet hat. Aber wo ist sie?

Ein kleiner Fußweg führt zu einer abfallenden Wiese. Die letzten Sonnenstrahlen polieren den Himmel und streifen eine Holzliege. Auf ihr sind würziger Käse, pralle Tomaten, Oliven und Heidelbeerwein drapiert. Mit zwei Flaschen Bier in der Hand und einem Lachen im Gesicht kommt mir Diana entgegen. Es gibt eben Menschen, die sollte man nicht warten lassen.

Oberprechtal, Schiltach und Alpirsbach

Man kann es ja versuchen. Aber den Schwarzwald wird man, wenn man einmal drin ist, so schnell nicht wieder los. Mit dem neuen Morgen driften wir über Oberprechtal und seine fulminante Bergstrecke nach Schiltach und Alpirsbach. Und da ist sie wieder. Diese Gemütlichkeit, die einen am Weiterfahren hindern will. Pittoreske Fachwerkhäuser, denen die Jahrhunderte ins Gebälk geschrieben sind. Rumpeliges Kopfsteinpflaster, das die Drehzahl freiwillig auf Standgasniveau sinken lässt. Man muss sich schon richtig schlechtes Wetter vorstellen, um nicht auf den Gedanken zu verfallen, hier länger als nur auf einen Eisbecher bleiben zu wollen.

Fast ist es eine Wohltat, den Wald erst gegen die Alb und diese anschließend gegen die Hohenloher Ebene zu tauschen. Die Kurvenspektakel klingen aus, weitläufige Landstraßen schicken die Kupplungshand in einen temporären Ruhestand. Der Blick reicht wieder weiter als nur bis zur nächsten Talwand oder dem nächsten Baumstamm. Oder doch nur bis zur nächsten Holzwand? Was ist das denn für ein Palisadenzaun?

In Lorch haben wir gerade die Rems überquert, als die Straße im Anstieg nach Alfdorf mitten durch ein römisches Kastell führt. Nun gut, Kastell wäre übertrieben, und es ist auch nur ein Nachbau. Aber mit einem Mal verbreitet sich wieder dieses Aroma des Überraschenden, Unerwarteten. Ein Gefühl, das über den gesamten Deutschland-Marathon, durch alle Bundesländer, erhalten geblieben ist. Eigentlich sind Überraschungen ja nicht mehr ganz zeitgemäß. Planen, im Voraus zu buchen und Erwartungen erfüllt zu bekommen sind die Größen des Jetzt. Aber diese freudige Spannung, das Staunen und das Glücksgefühl, etwas für sich selbst entdeckt zu haben, liegen vermutlich in einem anderen Feld, kommt es mir in den Sinn, als wir schließlich schon durch den Odenwald brummen.

Was ist eigentlich aus der Jugendliebe geworden? Irgendwann war das Studium rum, sie zog zurück Richtung Schwebebahn. Und einem glücklichen, gemeinsamen Leben hätte nichts mehr im Weg gestanden. Wenn nicht … ihr ahnt es schon. Lockstoffe. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass mich die XBR nie im Stich gelassen hat.

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