Cadillac

Cadillac nimmt neuen Anlauf mit Elektroautos

Zehn Jahre nach dem Rückzug wagt General Motors einen Neuanfang in Europa, mit Cadillac und zwei Elektroautos. Ein Selbstläufer wird es nicht.

Der August war kein guter Monat für Cadillac in Deutschland. Ganze sechs Fahrzeuge der Luxusmarke wurden von General Motors in dem Monat hierzulande abgesetzt. Beziehungsweise von den Händlern, die seit dem Rückzug von General Motors aus Europa vor zehn Jahren die Autos auf eigene Faust importiert haben. Neu zugelassen wurden fünf große SUVs vom Typ Escalade, dazu ein Exemplar des kompakten Modells XT4. Angetrieben werden bei Allradler von mehr oder minder starken Verbrennungskraftmaschinen.

Das soll sich nun ändern. Nicht nur, was den Vertrieb und die Stückzahlen anbetrifft, sondern auch, was die Antriebe anbetrifft. General Motors nimmt den Vertrieb in Deutschland und einigen anderen Märkten in Europa wieder in die eigenen Hände. Und Cadillac bietet künftig ausschließlich Elektroautos an. Den Anfang macht der vollelektrische, fünf Meter lange Cadillac Lyriq, im kommenden Jahr folgt ein mit 4,80 Metern Länge etwas kompakterer SUV namens Optiq nach. „Damit zeigen wir, dass wir langfristig in diesen Markt investieren“, erklärte Jean-Pierre Diermaz, der Marketingchef der neugegründeten General Motors Germany GmbH mit Sitz in Frankfurt.

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„Mainhattan“-Shuttle Mit einer Länge von fünf und einer Höhe von 1,60 Metern ist der Cadillac Lyriq ein imposantes Fahrzeug, mit dem man sich auch im Bankenviertel von Frankfurt sehen lassen kann. Vor allem auf Gewerbekunden hat es die GM-Tochter abgesehen.

Im Herzen von „Mainhattan“, in bester Lage am Goetheplatz, hat GM vergangene Woche auch sein erstes „Cadillac City Experience Center“ in Deutschland in Betrieb genommen – ähnliche „Erlebnisräume“ hat das Unternehmen bereits an der Bahnhofstraße in Zürich sowie in der Nähe der Pariser Oper eröffnet. Weitere Showräume sind in Hamburg, Köln und Berlin geplant – als erste Anlaufstelle für all diejenigen, die eine Alternative zu den Premium-Stromern von Audi, BMW, Mercedes oder Volvo suchen – und sich nicht auf einen Stromer aus China einlassen mögen.

„Progressive Menschen kaufen E-Autos“

Als Neuling oder Rückkehrer muss man sich schon etwas Besonderes einfallen lassen, um das Interesse der Autokäufer in neue Bahnen zu lenken. Tesla hat dazu in Großstadtlagen seine „Stores“ eröffnet, Polestar seine „Spaces“ und Nio seine „Houses“. Es sind Flagship-Stores, in denen man sich nicht nur über die Autos informieren, sondern auch in die Markenwelt eintauchen kann. Und, so Dierzmaz, „Cadillac will in Europa nicht nur Autos verkaufen, sondern ein starke New-Luxury-Marke aufbauen, die Anerkennung findet“. In den USA klappe das hervorragend: Autos der Marke stünden bei Lady Gaga und anderen Größen des Show- und Filmgeschäfts schon lange in der Garage. Und auch die neuen Stromer fänden großen Anklang. „Entgegen dem stagnierenden Trend bei E-Autos sind die Zuwächse bei elektrifizierten Premium- und Luxus-SUV bemerkenswert. Die kaufkräftige Kundschaft ist weniger preissensibel und im Bereich E-Autos auch eher bereit für einen Markenwechsel.“ Mit einem Wort: „Progressive Menschen kaufen Elektroautos.“

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Ganz klassisch Der Innenraum des Lyriq ist mit feinem Nappaleder ausgekleidet. Auch die zahlreichen Chrom-Elemente stehen ihm gut.

Und denen wird im neuen Lyriq einiges geboten – an Platz und Komfort, an Ausstattung und auch Reichweite. Den großen Elektro-Cadillac gibt es im Unterschied etwa zu China hierzulande nur mit einem 388 kW oder 592 PS starken Allradantrieb, ein Lithium-Ionen-Akku mit einer Kapazität von 102 kWh soll Fahrten über 530 Kilometer ohne Ladepause ermöglichen. Für einen Preis von 80.500 Euro ist dabei praktisch alles an Bord, was man so braucht, um ganz entspannt ans Ziel zu kommen.

Laden mit maximal 190 kW

Unter anderem eine hochwertige Soundanlage von RKG mit 19 Lautsprechern und und ein 33 Zoll großes LED-Display mit einer Auflösung in 9K, das sich ähnlich wie im Audi Q6 e-tron von der Fahrerseite bis über die Mittelkonsole erstreckt. Und die elektrisch verstellbaren Sitze sind noch mit wohlriechendem Nappaleder statt mit Kunstleder aus recyceltem Plastikmüll bezogen. Aufpreispflichtig sind nur einige Metallic-Lackierung und der Dachträger. Ein Audi Q6 e-tron – um im Bild zu bleiben – kratzt da mit ähnlicher Ausstattung bereits an der Marke von 100.000 Euro.

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Eine halbe Stunde Pause Die Ladeklappe befindet sich vorne rechts und öffnet sich wie bei Audi elektrisch. Die Ladeleistung ist mit 190 kW am Schnelllader für ein 80.000 Euro teures Luxusautos allerdings bescheiden. Fotos: Rother

Vermisst haben wir nur ein Head-up-Display – laut Cadillac-Chefingenieur David Stutzman soll es zu einem späteren Zeitpunkt nachgereicht werden. Und im Unterschied zum Audi kommt der Lyriq auf einer 400-Volt-Plattform und mit einer maximalen Ladeleistung von nur 190 kW daher. Stutzman verteidigte die Entscheidung mit dem (kostenseitig) höheren Aufwand für das Thermomanagement bei einer 800-Architektur. Trotzdem sei die Ladeperformance des Fahrzeug sehr gut: In 30 Minuten soll der Akku wieder zu 80 Prozent gefüllt sein – wenn beim Start des Ladevorgangs noch ein Energievorrat von 20 Prozent vorhanden war.

Plug & Charge kommt später

Plug & Charge, musste er einräumen, beherrsche der Cadillac „noch“ nicht: Gestartet werden muss der Ladevorgang noch per Hand, mit Ladekarte oder Smartphone-App. Und auch das bidirektionale Laden – beim neuen, in den USA produzierten Volvo EX90 bereits Standard – stehe noch auf der To-do-Liste für die erste Modellpflege.

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Mit Ecken und Kanten Für das Design des Lyriq war die Französin Magalie Debellis verantwortlich. Sie wollte dem Elektroauto Ausdruck verleihen – das ist ihr gelungen, auch wenn das coupéhafte Heck des Cadillac etwas gewöhnungsbedürftig ist.

Dafür glänzt der Cadillac mit anderen Qualitäten. Über die olfaktorischen haben wir bereits gesprochen, die akustischen sind fast noch beeindruckender. Der Fahrgastraum ist exzellent gedämmt. Und die Abrollgeräusche der Reifen werden durch aktives Noise Cancelling weggebügelt – die Insassen können sich da voll und ganz dem Musikgenuss hingeben. Auch die Bremsen – zugeliefert von Brembo – wissen den immerhin 2,8 Tonnen schweren Stromer zu bändigen, sollten einmal unerwartete Hindernisse auftauchen und nicht sofort von den zahlreichen Assistenzsystemen erkannt werden.

Doch, mit dem lyrischen Cadillac kann man sich schnell anfreunden. Bestellt werden kann der nach Tesla-Art direkt übers Internet oder im Flagship-Store, aber auch auf klassische Art bei einem Händler. Wobei das Partnernetz noch etwas dünn ist: Die Marke führen derzeit neun Händler an zwölf Standorten in und um die deutschen Großstädte. Dirmaz bittet um Geduld: „Der Aufbau braucht Zeit“. Ja, aller Neuanfang ist schwer. Auch für Traditionsmarken.

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