Luca De Meo will mit seinem Memorandum die europäische Öffentlichkeit bewegen.
Für die Transformation und gleichzeitig die Rettung der europäischen Autoindustrie präsentiert Luca De Meo, Chef von Renault und gleichzeitig Präsident des europäischen Autoindustrieverbandes Acea, einen „Brief an Europa“ mit Vorschlägen wie einer Champions League der Autohersteller um grüne Bonuspunkte, von Subventionen und Steuererleichterungen begünstigten grünen Wirtschaftszonen, Partnerschaften öffentlicher und privater Unternehmen nach dem Vorbild von Airbus oder der Schaffung einer neuen Kategorie billiger Kleinstwagen nach japanischem Vorbild.
Die Autobranche allein beschäftige in Europa 13 Millionen Menschen, sie sorge für 8 Prozent des europäischen BIP, habe zuletzt einen jährlichen Exportüberschuss von 102 Milliarden Euro erwirtschaftet und 59 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung ausgegeben – ein Viertel aller Aufwendungen der Industrie. Schließlich sorge die Autobranche in Europa auch für jährliche Steuereinnahmen von 392 Milliarden Euro – ein Fünftel der gesamten Steuereinnahmen in der EU.
Unausgewogener Wettbewerb
„Es sind jedoch mehr und mehr Symptome einer Schwächung zu beobachten, die, wenn nichts dagegen unternommen wird, durchaus besorgniserregend ist“, schreibt De Meo. Zum einen konzentriere sich nun der Verkauf von neuen Autos auf Asien. Dort seien zuletzt 51,6 Prozent des gesamten Neuwagenabsatzes der Welt registriert worden. Und dort sei wiederum China ein Durchbruch in der Elektrotechnologie gelungen. Mit 8,5 Millionen elektrifizierten Autos (batterieelektrisch und Plug-in-Hybrid), die im chinesischen Binnenmarkt verkauft wurden, vereine das Land 60 Prozent des internationalen Gesamtabsatzes der elektrifizierten Autos auf sich. 2023 seien 35 Prozent aller auf der Welt exportierten Elektroautos aus China gekommen. Europas Import aus China habe sich seit 2017 verfünffacht.
Der Wettbewerb der Autobranchen auf verschiedenen Kontinenten ist für den aus Italien stammenden Renault-Chef im Moment aber sehr unausgewogen: „Die Amerikaner fördern, die Chinesen planen, die Europäer regulieren“, so fasst De Meo die Lage zusammen. Derzeit sei es teurer, in Europa zu produzieren. Für ein Kompaktauto der Golf-Klasse betrage der Kostenvorteil der Chinesen zwischen 6000 und 7000 Euro – etwa ein Viertel des gesamten Kaufpreises.
„Europa reguliert, was das Zeug hält“
China habe nach einer Studie der Pariser Technischen Hochschule École Polytechnique bis 2022 seine Autoindustrie mit 110 bis 160 Milliarden Euro subventioniert. Die USA hätten mit dem „Inflation Reduction Act“ insgesamt 387 Milliarden Euro an Investitionsförderung vor allem für Elektroautos an die Wirtschaft vergeben und dabei Steuergutschriften von 40 Milliarden Dollar für die Entwicklung grüner Fertigungstechnologien zur Verfügung gestellt. In Europa gebe es so etwas nicht. Doch hier seien die Lohnkosten um 40 Prozent höher als in China; die Energie koste in Europa dreimal soviel wie in China und doppelt so viel wie in den USA.
Der Renault-Chef und Acea-Präsident empfiehlt als Konsequenz seiner Analyse eine europäische Industriestrategie mit der Autoindustrie als einem der Pfeiler. „Nach chinesischem Vorbild sollte europaweit ein in seinen Umrissen stabiler, aber inhaltlich entwicklungsfähiger Regelungsrahmen geschaffen werden“, schreibt De Meo. Von entscheidender Bedeutung ist es, in den Schlüsseltechnologien günstige Bedingungen für die Entstehung neuer europäischer Akteure wie Airbus zu schaffen. Das bisherige System einer Anhäufung von Vorschriften, Terminvorgaben und Strafandrohungen müsse ein Ende finden. Die Regeln für die kommenden sechs Jahre müssten überdacht werden.
Ein „europäischer Marshallplan“?
Vorgeschlagen wird eine „zentrale Instanz, die alle Regelungen, deren direkte und indirekte Auswirkungen und Wechselwirkung mit anderen Regelungen kontrolliert und evaluiert, bevor sie den industriellen Akteuren auferlegt werden. Es gehe für Europa zuerst um einen „defensiven Ansatz“ gegenüber China und den USA, bevor es wieder zur Eroberung der Weltmärkte aufbrechen könne. Schließlich müsse für genug grüne Energie, für eine Rückkehr zur Rohstoffproduktion und Kapazitäten für elektronische Bauteile gesorgt werden. Schließlich müsse Europa aufhören, der Industrie technologische Entscheidungen zu diktieren.
Der Renault-Chef liefert schließlich vielerlei praktische Ideen. Dazu gehört die Zusammenarbeit mit den 200 größten Städten Europas, deren Bürgermeister zum Beispiel nur Kleinwagen und Kleintransporter mit Elektro- oder Wasserstoffantrieb kostenfrei in die Städte einfahren lassen sollten. „Grüne Wirtschaftszonen“ könnten Subventionen und Steuererleichterungen für bestimmte Investitionen bieten. Europa solle europäische Kleinwagen zu einem erschwinglichen Preis fördern.
Zur beschleunigten Erneuerung des Autobestands stellt sich De Meo vor, dass die europäischen Staaten in einen „europäischen Marshallplan“ einzahlen, mit dem nach Vorbild des Covid-Wiederaufbaufonds Geld in Europa umverteilt würde, damit in allen Ländern der Kauf von Elektroautos mit Umweltbonus gefördert würde. Die EU müsse einen schnelleren Ausbau der Ladeinfrastruktur fördern – notwendig seien nicht wie derzeit 2000 neue Ladesäulen in der Woche, sondern 14.000. Es gehe um mehr Souveränität Europas bei der Versorgung mit kritischen Rohstoffen und mehr Wettbewerbsfähigkeit bei Halbleitern. Schließlich wünscht sich De Meo eine gemeinsame Entwicklung eines „Software-Defined Vehicle“, einer Softwareplattform für Elektroautos über die gesamte Autobranche hinweg. Zudem sollten die europäischen Länder mit ihrer Forschungsförderung einen „europäischen Champion“ entstehen lassen, der sich um Lösungen für die Digitalisierung industrieller Abläufe, Cloud-Infrastrukturen oder Künstliche Intelligenz kümmern soll und damit allen Herstellern unabhängig von amerikanischen Riesen technische Möglichkeiten liefern soll.