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Brandbrief des Renault-Chefs: Jetzt geht es um die Zukunft der Autoindustrie

brandbrief des renault-chefs: jetzt geht es um die zukunft der autoindustrie

Besorgt um die Autobranche in Europa und Frankreich: Renault-Chef De Meo bei der Präsentation des neuen Elektromodells R5 beim Autosalon in Genf.

Für die Transformation und gleichzeitig die Rettung der europäischen Autoindustrie präsentiert Luca De Meo, Chef von Renault und gleichzeitig Präsident des europäischen Autoindustrieverbandes Acea, einen „Brief an Europa“ mit Vorschlägen wie einer Champions League der Autohersteller um grüne Bonuspunkte, von Subventionen und Steuererleichterungen begünstigte grüne Wirtschaftszonen, einer Partnerschaft öffentlicher und privater Unternehmen nach dem Vorbild von Airbus oder der Schaffung einer neuen Kategorie billiger Kleinstwagen nach japanischem Vorbild.

Mit seinem 19 Seiten langen Memorandum will der Renault-Chef die europäische Öffentlichkeit bewegen, noch bevor der heiße Wahlkampf für die Europawahlen Anfang Juni beginnt. Europas Autoindustrie habe sich mit Investitionen von 250 Milliarden Euro für die Energiewende engagiert, doch erfordere dieses Engagement auch einen klaren und stabilen Rahmen.

Die Autobranche alleine beschäftige in Europa 13 Millionen Menschen, sie sorge für 8 Prozent des europäischen BIP, habe zuletzt einen jährlichen Exportüberschuss von 102 Milliarden Euro erwirtschaftet und 59 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung ausgegeben, ein Viertel aller Aufwendungen der Industrie. Schließlich sorge die Autobranche in Europa auch für jährliche Steuereinnahmen von 392 Milliarden Euro, ein Fünftel der gesamten Steuereinnahmen in der EU.

Symptome der Schwäche

„Es sind jedoch mehr und mehr Symptome einer Schwächung zu beobachten, die, wenn nichts dagegen unternommen wird, durchaus besorgniserregend ist“, schreibt De Meo. Zum einen konzentriere sich nun der Verkauf von neuen Autos in Asien, dort seien zuletzt 51,6 Prozent des gesamten Neuwagenabsatzes der Welt registriert worden.

Dort sei wiederum China ein Durchbruch bei der Elektrotechnologie gelungen. Mit 8,5 Millionen elektrifizierten Autos (batterieelektrisch und Plug-in-Hybrid), die im chinesischen Binnenmarkt verkauft wurden, vereine das Land 60 Prozent des internationalen Gesamtabsatzes der elektrifizierten Autos auf sich. 2023 seien 35 Prozent aller weltweit exportierten Elektroautos aus China gekommen. Europas Import aus China habe sich seit 2017 verfünffacht.

Für die traditionellen Autohersteller sieht De Meo Herausforderungen und Chancen. Die Wertschöpfungskette und die Entwicklungszeiten für neue Autos von vier bis fünf Jahren hätten sich 140 Jahre lang kaum verändert, während Chinas Autohersteller nun in eineinhalb bis zwei Jahren neue Autos entwickelten und bei Leistung und Kosten von Elektroautos einen Vorsprung von einer Generation hätten.

120.000 neue Stellen in der Transformation

De Meo sieht andererseits die Möglichkeit, das Geschäftsvolumen der Autohersteller auszuweiten, wenn Softwareentwicklung und Recycling einbezogen würden. Allerdings seien in Europa erst einmal 500.000 Arbeitsplätze im Bereich der Verbrennungsmotoren von einer Umstellung der Antriebstechnik betroffen. 120.000 neue Arbeitsplätze könnten entstehen, und darüber hinaus müssten 800.000 Beschäftigte für den Bedarf der Batteriehersteller qualifiziert werden.

Der Wettbewerb der Autobranchen verschiedener Kontinente ist für den aus Italien stammenden Renault-Chef im Moment aber sehr unausgewogen: „Die Amerikaner fördern, die Chinesen planen, die Europäer regulieren“, so fasst De Meo die Lage zusammen. Derzeit sei es teurer, in Europa zu produzieren. Für ein Kompaktauto der Golf-Klasse betrage der Kostenvorteil der Chinesen zwischen 6000 und 7000 Euro, etwa ein Viertel des gesamten Kaufpreises.

China habe nach einer Studie der Pariser Technischen Hochschule Ecole Polytechnique bis 2022 seine Autoindustrie mit 110 bis 160 Milliarden Euro subventioniert. Die USA hätten mit dem Inflation Reduction Act insgesamt 387 Milliarden Euro an Investitionsförderung vor allem für Elektroautos an die Wirtschaft vergeben und dabei Steuergutschriften von 40 Milliarden Dollar für die Entwicklung grüner Fertigungstechnologien zur Verfügung gestellt. In Europa gebe es so etwas nicht. Doch in Europa seien die Lohnkosten um 40 Prozent höher als in China, die Energie koste in Europa drei Mal soviel wie in China, doppelt so viel wie in den USA.

Europa konzentriert sich aufs Regulieren

„Europa reguliert, was das Zeug hält“, ist dagegen die Beschreibung der Antwort der EU auf diese Herausforderung. Bis 2030 würden durchschnittlich acht bis zehn neue Regelungen der EU-Kommission auf den Weg gebracht, ohne dass dabei an Zeitpläne und an die Lasten für die Unternehmen gedacht werde. Diese erdrückende Regelungsflut solle Europa zu einem Champion des Umweltschutzes machen, mit der Hoffnung, dass sie für den ganzen Planeten ein Faktor des sozialen Fortschritts werde. „Doch leider schwenken die anderen Blöcke nur zögerlich auf diesen Weg ein, und dies wiederum beeinträchtigt die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen“, lautet die Folgerung von De Meo.

Der Renault-Chef und Acea-Präsident empfiehlt als Konsequenz seiner Analyse eine europäische Industriestrategie mit der Autoindustrie als einer der Pfeiler. „Nach chinesischem Vorbild sollte europaweit ein in seinen Umrissen stabiler, aber inhaltlich entwicklungsfähiger Regelungsrahmen geschaffen werden. Von entscheidender Bedeutung ist es, in den Schlüsseltechnologien günstige Bedingungen für die Entstehung neuer europäischer Akteure wie Airbus zu schaffen“, schreibt De Meo.

Das bisherige System einer Anhäufung von Vorschriften, Terminvorgaben und Strafandrohungen müsse ein Ende finden, die Regeln für die kommenden sechs Jahre müssten überdacht werden. Vorgeschlagen wird eine „zentrale Instanz, die alle Regelungen, deren direkte und indirekte Auswirkungen und deren Wechselwirkung mit anderen Regelungen kontrolliert und evaluiert, bevor sie den industriellen Akteuren auferlegt werden.“

Defensive gegenüber den USA und China

Es gehe für Europa zuerst um einen „defensiven Ansatz“ gegenüber China und den USA, bevor es wieder zur Eroberung der Weltmärkte aufbrechen könne. Schließlich müsse für genug grüne Energie, für eine Rückkehr zur Rohstoffproduktion und Kapazitäten für elektronische Bauteile gesorgt werden. Schließlich müsse Europa aufhören, der Industrie technologische Entscheidungen zu diktieren.

Der Renault-Chef liefert schließlich vielerlei praktische Ideen. Dazu gehört die Zusammenarbeit mit den 200 größten Städten Europas, deren Bürgermeister zum Beispiel nur Kleinwagen und Kleintransporter mit Elektro- oder Wasserstoffantrieb kostenfrei in die Städte einfahren lassen sollten. „Grüne Wirtschaftszonen“ könnten Subventionen und Steuererleichterungen für bestimmte Investitionen bieten.

Europa solle europäische Kleinwagen zu einem erschwinglichen Preis fördern. Zur beschleunigten Erneuerung des Autobestands stellt sich De Meo vor, dass die europäischen Staaten in einen „europäischen Marshallplan“ einzahlen, mit dem dann nach Vorbild des Covid-Wiederaufbaufonds Geld in Europa umverteilt würde, damit in allen Ländern der Kauf von Elektroautos mit Umweltbonus gefördert würde. Die EU müsse einen schnelleren Ausbau der Ladeinfrastruktur fördern – notwendig seien nicht wie derzeit 2000 neue Ladesäulen in der Woche, sondern 14.000.

Es gehe um mehr Souveränität Europas bei der Versorgung mit kritischen Rohstoffen und mehr Wettbewerbsfähigkeit bei Halbleitern. Schließlich wünscht sich De Meo eine gemeinsame Entwicklung eines „software-defined-vehicle“, einer Software-Plattform für Elektroautos über die gesamte Autobranche hinweg. Zudem sollten die europäischen Länder mit ihrer Forschungsförderung einen „europäischen Champion“ entstehen lassen, der sich Lösungen für die Digitalisierung industrieller Abläufe, Cloud-Infrastrukturen oder Künstliche Intelligenz kümmern soll und damit allen Herstellern unabhängig von amerikanischen Riesen technische Möglichkeiten liefern soll.

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