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Auf einmal soll Deutschland doch keine Million E-Ladepunkte mehr brauchen

Bis 2030 sollen in Deutschland 15 Millionen Elektroautos unterwegs sein, die an einer Million Stationen laden können. Doch die Energiebranche will von diesem Ziel nun nichts mehr wissen. Wohl auch, weil es praktisch nicht erreichbar ist. Stattdessen soll ein anderes Erfolgskriterium gelten.

auf einmal soll deutschland doch keine million e-ladepunkte mehr brauchen

Bislang gibt es gerade mal rund 80.000 öffentliche Ladepunkte in Deutschland – nicht einmal ein Zehntel der geforderten Menge in sieben Jahren Getty Images/Tetra images RF

Die Energieversorger wollen das Ziel aufgeben, bis 2030 in Deutschland eine Million öffentliche Ladepunkte für Elektroautos zu schaffen. „Das Zählen von Ladepunkten ist heute deutlich überholt“, sagte die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) Kerstin Andreae. Vielmehr solle man künftig die Ladeleistung als Erfolgskriterium heranziehen, die angibt, wie leistungsstark alle Ladesäulen zusammen sind.

Allerdings hilft einem E-Auto-Besitzer in einer Region mit wenigen oder gar keinen Lademöglichkeiten eine leistungsstarke Ladesäule in einer anderen Region des Landes nicht viel. Die Bundesregierung hatte das Ziel von einer Million öffentlichen Ladepunkten erst unlängst bestätigt.

Ein Grund für das Abrücken der Energie-Lobby von dem Ziel dürfte sein, dass es so gut wie unmöglich ist, es noch zu erreichen. Bislang gibt es gerade mal rund 80.000 öffentliche Ladepunkte in Deutschland – nicht einmal ein Zehntel der geforderten Menge in sieben Jahren.

Die geplanten europäischen Vorgaben zur Ladeleistung, die in der geplanten Verordnung über die Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (AFIR) geregelt werden soll, erfülle man hingegen schon, heißt es beim BDEW. Demnach müssten pro voll elektrischem Fahrzeug 1,3 Kilowatt (kW) Ladeleistung verfügbar sein. Angesichts des aktuellen Fahrzeugbestands käme man für Deutschland so auf 2,02 Gigawatt Gesamtladeleistung, derzeit verfüge man schon über 2,47 Gigawatt, heißt es beim Energie-Lobbyverband.

Doch der geforderte Paradigmenwechsel ruft sofort heftige Kritik des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) hervor, der für den Verkauf von Elektroautos auf eine funktionierende und flächendeckende Ladeinfrastruktur angewiesen ist. „Die unambitionierten Zielwerte des AFIR-Entwurfs können und dürfen nicht Deutschlands Maßstab sein“, sagte eine Sprecherin. „Dem Anspruch eines Leitmarktes für E-Mobilität wird Deutschland mit diesen Zahlen nicht gerecht.“

Schon jetzt halte auch die Ladeleistung nicht mit beim Hochlauf der Elektromobilität in Deutschland. „Gerade einmal 1,3 kW entfielen am 1. Januar 2023 auf einen E-Pkw, am 1. Januar 2020 war es mit 3,5 kW noch gut die zweieinhalbfache Ladeleistung gewesen“, sagte die VDA-Sprecherin. Also auch an dem von der Energiebranche vorgeschlagenen neuen Erfolgsmaßstab gemessen, verschlechtert sich die Lade-Situation für die einzelnen Elektroautofahrer in den vergangenen Jahren.

„Aus gutem Grund hat die Bundesregierung also das Ziel von 1 Million öffentlichen Ladepunkten in ihrem Koalitionsvertrag nochmals ausdrücklich bestätigt“, sagte die VDA-Sprecherin. „Dieses Ziel muss mit aller Kraft verfolgt werden und auch das Stromnetz entsprechend ausgebaut werden. Hier gibt es erheblichen Nachholbedarf.“

Tatsächlich steckt hinter dem Versuch, die Zielvorgaben beim Ausbau der Ladeinfrastruktur zu ändern, auch der Versuch Geld beim Netzausbau zu sparen. Schließlich müsste der Strom für eine Million zusätzliche Ladesäulen in den Netzen transportiert werden. „Die Stromnetze müssen endlich fit für die Zukunft gemacht werden“, sagte die VDA-Sprecherin. „Wie im Koalitionsausschuss verständigt, muss der vorausschauende Ausbau der Stromnetze daher endlich auch gesetzlich verankert werden.“

Bislang werden die Netze nicht entsprechend einer realistischen Prognose für die kommenden Jahre, sondern nur für den jeweils aktuellen Zustand ausgebaut. Dass in den kommenden Jahren mit weiteren Ladestationen und Wärmepumpen zahlreiche neue Großverbraucher an die Netze gehen werden, wird nicht berücksichtigt. Das soll sich ändern.

Strom drosseln zu Spitzenzeiten – über die Regeln wird gerungen

Bei den Stromnetzbetreibern setzt man hingegen eher auf die Möglichkeit, das Laden von E-Autos und den Betrieb von Wärmepumpen zu Spitzenzeiten zu drosseln. Um die genauen Regeln für die sogenannte „Spitzenglättung“ wird derzeit von den Lobby-Gruppen gerungen. Die zuständige Bundesnetzagentur will bis zum Ende des Jahres verbindliche Vorgaben machen.

Bislang steigt die Zahl der Elektroautos in Deutschland zwar weiter stark an. Um das Ziel von 15 Millionen E-Autos in 2030 zu erreichen, müsste es aber zu einer weiteren erheblichen Steigerung kommen. Die Autobauer befürchten jedoch, dass die Drosselungsüberlegungen oder fehlende Ladeinfrastruktur die Elektromobilität sogar wieder ausbremsen könnten.

„Statt also den Bedarf zu bezweifeln, sollten alle Beteiligten für mehr Tempo sorgen und insbesondere auch den Netzausbau entschlossener als bisher vorantreiben“, fordert deshalb die VDA-Sprecherin. „Der Ladeinfrastrukturausbau darf nicht daran scheitern, dass die Netze nicht die notwendigen Kapazitäten bereitstellen können.“

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