Motorrad

1.000 km Autobahn, 17 h Fähre, ein perfekter Tag - Motorradtour nach und in Westgriechenland

Die zeitaufwendige Anreise mit dem Motorrad nach Westgriechenland lohnt sich in mehrfacher Hinsicht. Wenig befahrene Bergstraßen und schön schroffe Landschaften sorgen für höchsten Fahrgenuss. Dazu gibt es antike Kulturschätze an jeder Ecke.

1.000 km autobahn, 17 h fähre, ein perfekter tag - motorradtour nach und in westgriechenland

1.000 km Autobahn, 17 h Fähre, ein perfekter Tag – Motorradtour nach und in Westgriechenland

Es gibt Sachen, die verlernt man nicht. Schwimmen. Fahrradfahren. Übernachtungsplätze suchen und finden. Das Zielpendel schlug nach Griechenland aus, und die fünf Motorradfahrer, die sich freimachen, stochern jetzt über eine Piste oberhalb von Arta. Der Weg schabt an Felswänden entlang, Scheinwerferkegel zappeln über Steine und Abgründe. Man könnte Sorge haben, in diesem Terrain eine Stelle zum Campieren zu finden. Aber die Routine der Jahre und das Vertrauen auf ein eingespieltes Team bescheren uns eine flauschige Wiese mit Blick zum ockerfarbenen Horizont. Dickes Grinsen in allen Gesichtern: Wir sind wieder einmal unterwegs. Endlich! Eine fast vergessene Vorfreude macht sich breit und lässt nicht ahnen, dass es gleich morgen einen Dämpfer geben wird.

Die MacGyvers der Reisegesellschaft

Am nächsten Tag, mittags im Nirgendwo: Guidos Hinterreifen wird von einem Nagel durchstanzt. Die MacGyvers unserer Reisegesellschaft wittern Morgenluft. Endlich wieder eine Gelegenheit, das sonst unnötig mitgeschleppte Brimborium einer Anwendung zuzuführen. Schnell sind alle Utensilien der fernreiseerprobten Abenteurer zutage gefördert. Luftpumpe, Montiereisen aus der Weltraumforschung, Flickenset für alle Anwendungen. “Äh, wer hat denn die Vulkanisiermasse?” Vier Gesichter, die wortlos “Öh, ich nicht” ausdrücken, lassen den Aktionismus kurz einbrechen. Jetzt hilft nur noch ein Raumschiff-Enterprise-Manöver weiter: Außenteam zusammenstellen! Die komplette Hinterradfelge landet auf dem Sozius meiner Ténéré. Klaus begleitet mich auf der Africa Twin. Soll ja schon vorgekommen sein, dass selbst die Pannenhilfe eine Panne hat. Aber jetzt drängt eine andere Frage: In welche Richtung sollen wir fahren? Reifenhändler gibt es hier in den Ausläufern des Pindos-Gebirges vermutlich so selten wie Pinguine in Holland. Die Befragung des Online-Orakels liefert immerhin die nächste Tankstelle: 16 Kilometer.

Manchmal ist man gut und manchmal hat man Glück: Vor der Tankstelle türmt sich ein Reifenstapel! Im Schatten des großen Garagentors schlummern nagelneue Montier- und Wuchtanlagen. Besser als bestellt. “How can we help you?” Die Freundlichkeit der tatenhungrigen Werkstattchefin ist dem Zustand ihrer Gerätschaften mehr als angemessen. “Tja, wir haben einen platten Reifen…” “No problem”, grinst sie, und ihre herbeigeeilte Kollegin beeilt sich, den gewonnenen Gesamteindruck noch zu verstärken: “Coffee?” Ein Anflug von schlechtem Gewissen macht sich zwischen Klaus und mir breit. Können wir hier einfach einen griechischen Kaffee und noch einen trinken, während die Freunde 16 Kilometer entfernt auf Erlösung warten? Die Freunde, die – wie wir – monatelang bei mittelmäßigem Wetter, Homeoffice und anderen einschränkenden Lebensbedingungen vor sich hin darbten und nun ihren angeblassten Teint unter der süßen Sonne Griechenlands aufbessern können. Es könnte uns allen trotz Plattfuß schlechter gehen. Denen mit Greek Coffee geht es noch etwas weniger schlecht.

Offroad-Strecke Adventure Country Track

Die Rückkehr des Außenteams beflügelt die Fahrlaune. Tief eingeschnittene Flusstäler zwingen der Straße lustvolle Serpentinen auf. Tiefgrüne Wälder wechseln mit lichtüberfluteten Hängen, auf denen sich aber immer mehr Schatten breitmachen. Abendessenszeit. Aber wo? Der nächste Ort ist Karpenisi. Keine schlechte Wahl, denn unweit von dort beginnt unser Einstieg in den sogenannten Adventure Country Track, eine Offroad-Strecke, die durch weite Teile Westgriechenlands führt. Mit frisch gefüllten Tanks und Mägen biegen wir nach Süden auf eine Piste ein.

Wir wirbeln Staubfähnlein auf, die im Rückspiegel tanzen. Und sputen uns, noch rechtzeitig vor der endgültigen Dunkelheit einen Schlafplatz zu finden. Die Spuren von Waldarbeiten weisen den Weg auf eine von hohen Kiefern umrandete Lichtung. Unbekannter- und freundlicherweise haben sie eine Feuerstelle angelegt, an der noch jede Menge Scheite liegen. Lagerfeuerromantik mit noch kühlem Dosenbier und der Wonne, heute nicht alles falsch gemacht zu haben. Aber das kann sich ändern. Ob es an einer nicht sorgsam zusammengestellten Karte, einer unvollständigen GPS-Software oder daran liegt, dass wir den ACT-Track verlassen haben: Wir sind auf dem Holzweg nach Ano Chora. Das deutete sich vorhin schon an. Ein Baum, der den Fahrweg fast vollständig versperrte, hätte ein Indiz sein können. Aber das kollektive “Weiter so!” bescherte uns freudvolle Abenteuerchen. Holprige Bachquerungen, an denen der ein oder andere Moto-Gaul scheute, flitschige Graspassagen, die schon länger kein Fahrzeug passiert hatte. Aber jetzt ist am Ufer des Evinos endgültig Feierabend. Die GPS-Geräte wollen weiter. Wir würden auch wollen. Aber selbst wenn uns die Querung der Stromschnellen in Romaniacs-Rallye-Manier gelänge, ist die gegenüberliegende Felswand ein Gulliver-Hindernis. Was tun? Ein erfrischendes Bad in den Stromschnellen nehmen. Den Tag einfach hingleiten lassen. Klaus’ Africa-Twin um ihr Bordbistro erleichtern. Ano Chora wird morgen in Reichweite kommen.

Umweg nach Ano Chora

Der Umweg dorthin ist stattlich. Eigentlich trennen uns nur zehn Kilometer von Ano Chora. Tatsächlich spulen wir fast 50 Kilometer bis zu dem heimeligen Bergdorf ab. Da wir gestern unsere Vorräte aufgebraucht hatten und das Frühstück in das Kapitel “Mager” fiel, ist der Appetit auf eine ordentliche Mahlzeit so angeschwollen, dass die Wirtin der Taverne in Ano Chora unseren Wünschen mit Bergen von Speiseplatten Rechnung trägt. Vielleicht liegt es aber einfach an Ralf, der die Sprachbarriere bei der Bestellung gestikulierend zu überwinden suchte und dabei so abgemagert wirkte, dass sie sich zu besonders üppiger Gastlichkeit motivieren ließ. Auf der Rio-Antirrio-Brücke wechseln wir auf den Peloponnes. Wie eine gutmütige Riesenspinne streckt sie ihre Beine über die Einfahrt zum Golf von Korinth. Und hier wird alles anders. Nicht nur weil wir uns wieder der ACT-Piste zuwenden. Die Knöpfe, mit denen man die Erlebnisdichte und Ereignisfreude einstellt, sind jetzt alle auf Anschlag. Meine Güte, wie oft war ich schon in der Gegend, und wie oft bin ich an diesen Stellen schon vorbeigefahren. Nichts ahnend! Pralle Mohnblumen markieren den Weg auf einer Art Himmelsleiter. Auch wenn wir der weißen Spinne schon den Rücken gekehrt hatten, taucht sie jetzt tief unter uns wieder auf. Drohnenfoto? Unnötig. Wir sind hoch über der Einfahrt in den Golf von Korinth. Sehr hoch. Hierher verirren sich wohl die wenigsten Reisenden. Ein Gehöft, das unsere Piste durchquert, legt lebhaftes Zeugnis davon ab. Die Hofhunde waren offenbar monatelang nicht ausgelastet und spielen “Essen auf Rädern” mit uns. Bei Guido, der vorausfährt, wird nur geprobt, bei mir als Zweitem steigt die Risikofreude. Dann kommen noch drei Spielfiguren. Und, keine Frage, die letzte Figur hat die intensivsten Spielerlebnisse.

1.000 km Autobahn, die 17 Stunden Fährfahrt

Dem ACT-Track folgen wir nicht stoisch, verlassen ihn immer wieder nach Gutdünken. Schnelle Etappen wechseln mit wüstenartigen Verwitterungslandschaften, steilen Geröllhalden. Die sind nicht schwer zu fahren. Nur eine Kehre ist so eng, dass man sie weit außen anfahren muss, um sie in einem Rutsch zu nehmen. Wenn das nicht gelingt, sind ballettartige Balance-Übungen gefragt. Ich breite den Mantel der Pietät über den beiden Unglücklichen aus, die minutenlang zerrend an ihren Karren standen. Die drei anderen hätten in aller Freundschaft helfen können. Nur hätten sie dann ebenfalls dort drehen müssen. Eine Lose-lose-Situation. Aber die Versöhnung folgt hinter Kalavryta. Neun mild geschotterte Kehren bringen uns wieder auf Himmelsniveau. Kann das wirklich wahr sein? Wir stehen mit offenen Mündern auf der Fluke eines erstarrten grünen Wals, sein riesiger Rücken mit einer fein gezogenen Fahrspur voraus. So zumindest wirkt dieser Berggrat auf uns. Dazu, wie bei einer Modelleisenbahnlandschaft, sind Bäumchen in ein angejahrtes Billardtuch eingesteckt, das sich über alle umliegenden Hügel spannt.

Wenn es nur diesen einen Tag auf dieser Reise gäbe: Seinetwegen haben sich die über 1.000 Kilometer Autobahn bis Ancona, die 17 Stunden Fährfahrt, der Plattfuß und alles andere gelohnt. Die Rückfahrt ist schon eingeläutet. Wir halten für einen Zwischenstopp in Kato Vasiliki. Das offene Meer plätschert an den Kiesstrand. Im Hintergrund leuchten die weißen Spinnenbeine vor blauem Himmel. Fünf Hände halten fünf Freddo-Cappuccino-Gläser wie Sektkelche Richtung offenes Meer. Prost Griechenland!

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