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Zwischen Polen und ehemaliger Tschechoslowakei - Motorradtour durch Hohe Tatra und Riesengebirge

Entlang der Grenzen zwischen Polen und der ehemaligen Tschechoslowakei locken die Berge von Riesengebirge und Tatra. Einstmals durch den Eisernen Vorhang verbaut, ist der Osten Mitteleuropas schon länger und vor allem durch EU-Mitgliedschaften näher herangerückt. Sehr nah sogar. Und trotzdem ein aufregendes Gebiet für Entdecker geblieben.

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Zwischen Polen und ehemaliger Tschechoslowakei – Motorradtour durch Hohe Tatra und Riesengebirge

Der erste Eindruck prägt. Das gilt nicht nur für Begegnungen mit Menschen, sondern auch für fremde Länder. Vor allem wenn es noch Grenzkontrollen gibt, was ja in Europa dank des Schengen-Abkommens echt selten geworden ist. Umso mehr ­erschrecken uns die dreistündige Wartezeit und die anschließende schikanöse Abfertigung am slowakischen Grenzposten von Uschhorod. Wie vor 35 Jahren bei der Einreise in die DDR. Ein Full-Size-Zöllner deutlich jenseits seines thermischen Gleichgewichts fragt uns unwirsch, wo wir Tabak und Alkohol aus der Ukraine versteckt haben, wie viel Benzin in den Tanks unserer Enduros schwappt und wie schnell meine Ténéré fährt. Papiere werden kopiert, Gepäckrollen und Alukisten durchsucht. Willkommen im alten Ostblock und beim EU-Mitglied Slowakei. Der erste Eindruck sitzt. Mal sehen, ob das Land ­diese Scharte auswetzen kann.

Verkehrsfreie Bergstraßen und Slums in der Slowakei

Es gibt sich zumindest Mühe. Zwischen grünen Hügeln mäandert die ruhige Straße westwärts. Bummeltempo, Witterung aufnehmen mit dem neuen Land. Vorbei am Stausee Sempliner Weite, durch die Kleinstadt Michalovce, die wir schon vergessen haben, bevor wir am Ortsschild vorbei sind. Kaum noch rollende Spuren der sozialistischen Zeit, keine Ladas, Trabbis, nur selten ein alter Skoda oder eine Jawa.

Bald tauchen wir ein in die Baumplantagen des slowakischen Erzgebirges. Der dichte Wald vereitelt die Aussicht, aber die fast verkehrsfreien kleinen Bergstraßen sind ein perfektes Revier zum entspannten Motorradwandern. Das Land sammelt eifrig Pluspunkte. Bis wir durch die Kleinstadt Jasov kommen. Eigentlich ganz nett, aber dann schockieren am Stadtrand zwei dreistöckige Plattenbauruinen: Die Fenster sind Vergangenheit, Türen und Zargen wurden aus den Wänden gebrochen, Müllberge schwelen qualmend und stinkend vor sich hin, nackte Kinder spielen in ausgeschlachteten Autowracks, und Frauen waschen ihre Wäsche im vorbeifließenden Bach. Solche Slums hätte ich in Lagos, Manila oder Kalkutta erwartet, niemals aber in einem EU-Land. Schrecklich.

Hohe Tatra ist kleinstes Hochgebirge der Welt

Es dauert, bis wir diese Bilder verdrängen können. Erst als sich die Silhouette der Hohen Tatra überraschend groß und mächtig aus dem Nachmittagsdunst pellt, ist unsere Reiselust schlagartig zurück. Die Hohe Tatra ist das kleinste Hochgebirge der Welt, kaum 30 Kilometer lang, aber 20 Berge gipfeln höher als 2.500 Meter. Besonders aus der Ferne wirkt die Phalanx dieser Berge gewaltig. Am Fuß der schroffen Lomnitzspitze finden wir einen riesigen Campingplatz mit bester Aussicht.

Und erkunden anderntags die Hohe Tatra, soweit es mit den Motorrädern möglich ist. Denn nicht ein einziger Pass überquert das steile Gebirge. In die engen und wilden Täler, wo noch Luchse und etwa 50 Bären leben, geht es allenfalls per pedes weiter. Gut so. Das touristische Herz der Tatra schlägt in Tatranská Lomnica – eine eigenartige architektonische Mixtur unterschiedlicher Epochen: vom altehrwürdigen “Grandhotel Praha”, erbaut vor 110 Jahren im Art-nouveau-Stil der Belle Époque, über ruinöse Bauten der kommunistischen Ära bis hin zu protzigen Villen, rustikalen Blockhäusern und hässlichen Betonhotels der Neuzeit. Trotzdem ist Lomnica jenseits des winterlichen Skizirkusses ganz nett geblieben mit hübschen Cafés und kleinen Läden, die im Sommer vor allem Outdoor-Ausrüstung anbieten.

Nur die Berge wirken von hier nicht mehr wirklich groß, wir sind zu nah dran. Klar könnten wir mit der Seilbahn auf den Gipfel der Lomnitzspitze schweben, immerhin 2.633 Meter hoch. Aber wir wollen viel lieber Motorrad fahren. Also gehen wir auf Abstand zu den Bergen, um sie besser zu sehen, kurven über kleine Straßen in die dicht bewaldete Niedere Tatra, vorbei an der riesigen Ruine der Zipser Burg und über eine staubige Piste entlang des Grenzflusses Poprad hinein nach Polen. Kontrollen gibt es hier nicht mehr, zurück zum Anfangsthema: So einfach kann heute ein Länderwechsel in Europa sein!

Polen wirkt sofort sympathisch

Hier der erste Eindruck: Polen wirkt sofort sympathisch, schöne alte Holzhäuser in gemütlichen Dörfern, hohe Wiesen wiegen sich im warmen Wind, und auf den Nebenstraßen nach Zakopane ist kaum Verkehr. Im Süden wächst die Hohe Tatra in den blauen Himmel, sieht von hier viel unspektakulärer aus als von der anderen Seite, weil die Berge sanft gerundet statt steil zerklüftet sind. Der Feierabendverkehr von Zakopane nervt zwar, aber die alte Stadt hat sich trotz Massentourismus ihren Charme bewahren können. Man lebt gut von den drei Millionen jährlichen Besuchern, die vor allem im Winter die Skimetropole Polens fluten.

Oberhalb von Zakopane üben wir uns in Annäherungsversuchen an die Tatra, finden ein paar kleine Wege, wo wir freie Sicht haben. Bis zur Grenze des Nationalparks wird eifrig und scheinbar planlos gebaut: Hotels, Pensionen, feine Villen – alle gesegnet mit bester Aussicht, solange niemand anderes ein noch größeres Haus davor baut. Zwei Stunden später sind wir aber zurück in der Slowakei, die Grenzposten bei Chochołów sind abermals verlassen. Na also, geht doch! Wieder ein Pluspunkt. Und dann diese feine Landstraße nach Liptovský Mikuláš, Zweitausend-Meter-Pässe, bester Teer, flüssige Kurven, kaum Verkehr. So muss das sein. Am Horizont die sanften Berge der Niederen Tatra, deren höchster, der Dumbier, immerhin 2.045 Meter misst. Eine ruhige Landschaft, der jedes Spektakel abgeht. Das überlässt sie der Hohen Tatra. Am großen Stausee von Liptovský, dem Liptauer Meer, finden wir den freundlichen und gepflegten Campingplatz Mara mit bester Aussicht in die Tatra. Es gibt leckere Pizza und kühles Staropramen-Bier für kaum zehn Euro. Unser letzter Abend in der Slowakei, morgen geht es weiter nach Tschechien. Tatsächlich hat das Land den ersten Eindruck, der uns bei der Einreise zunächst erschreckte, nachhaltig revidiert. Na also.

Riesengebirge in Tschechien

Wir legen Kurs West an, kurven 500 Kilometer über wunderbare Nebenstraßen und reisen ohne Kontrolle in Tschechien ein. Bald schon ist das Riesengebirge zu sehen. Der erste Kaffee-Stopp am Marktplatz von Hostinné. Was für ein schöner Ort! Der zentrale quadratische Platz ist gesäumt von 500 Jahre alten Bürgerhäusern, oft garniert mit großzügigen schneeweißen Arkaden samt Gewölbedecken. Urgemütlich. Vom Turm des Rathauses blicken zwei finstere steinerne Riesen über den Marktplatz. Sehen aus wie Rübezahl.

Rübezahl? Ja sicher, der war doch dieser legendäre Berggeist, welcher mal als launischer Waldschrat, randalierender Riese oder als Freund der Armen und Entrechteten, also quasi als Robin Hood der Berge, auftauchte. Wie so oft bei Legenden lassen sich auch bei Rübezahl die historischen Spuren kaum verfolgen. Klar ist lediglich, dass er noch heute in den finsteren Wäldern des Riesengebirges leben soll. Die Menschen hier lieben ihren Geist, und sei es nur wegen der Rübezahlfiguren, -kostüme und sonstigen Devotionalien, die von Touris aus den zahlreichen Andenkenläden geräumt werden.

Jenseits von Trutnov schwingt die Ténéré nordwärts in die Berge. Die hohen kahlen Kuppen um die Schneekoppe, mit 1.602 Metern der höchste Berg des Landes, verstecken sich in dunklen Wolken. Es wird kälter und feuchter, je näher wir der polnischen Grenze kommen. Einzelne rustikale Holzhäuser, traditionell in Rot oder Schwarz mit senkrechten weißen Streifen, ducken sich auf den Bergwiesen unter den drohenden Wolken. Jenseits der 1.000-Meter-Marke wechseln wir hinüber nach Polen und rollen talwärts nach Karpacz. Endlich taucht auch eine Tankstelle auf, nach 630 Kilometern geht der Ténéré so langsam der Saft aus.

Die Quelle der Elbe

22 Liter gurgeln in das Spritfass; das wird wieder für ein paar Tage reichen. Und tauchen sodann wieder ab in das Gewirr der Wege in der polnischen Provinz. Kleine Dörfer mit stilvollen Holzhäusern, rumpelige, fast verkehrsfreie Alleen, kreisende Störche, es riecht nach Kohlefeuer und frischem Heu. Mohnblumen und blühender Raps, blauer Himmel und dunkle Wolken überm Riesengebirge. Perfekte Bedingungen, um einfach nur spazieren zu fahren. Wir lassen uns treiben und auf Wege locken, die noch niemals Asphalt gesehen haben. Verirren ist kaum möglich, die Berge im Süden sind immer präsent.

Und wechseln schließlich erneut die Länder, versuchen die Annäherung an die Berge von der tschechischen Seite aus. Der Nationalpark Riesengebirge, auf Tschechisch Krkonoše, ist Wanderern vorbehalten. Die Yamaha muss draußen bleiben. Trotzdem lockt uns ein Ziel, die Quelle der Elbe. Also Wanderschuhe schnüren und auf in die Berge! Durch dichten Fichtenwald im Elbgrund schnaufen wir hoch zum malerischen Elbfall und weiter bis auf 1.400 Meter Höhe. Ganz schön kalt hier, sieht ein wenig aus wie auf einem schwedischen Fjäll. “Pramen Labe” steht auf einem Schild, die Quelle der Elbe. Aus einem nüchternen Betonring gluckst ein wenig Wasser. Frontalkollision mit der Realität: Meinem gespeicherten Klischeebild nach sehe ich die Elbe als großen, breiten Fluss – und das nun soll die Quelle dieser mächtigen Elbe sein? Nun, das kommt davon, wenn man zum Quellenstudium aufbricht.

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