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Zweites Leben ohne Zweitakter - Elektro-Umbausatz für Simson von Second Ride

Entwickelt an der Technischen Universität Berlin, soll der Elektro-Umbausatz von Second Ride für die Kleinkrafträder von Simson ab 2023 in Großserie produziert und verkauft werden.

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Zweites Leben ohne Zweitakter – Elektro-Umbausatz für Simson von Second Ride

Ab 2020 wurde an der Technischen Universität Berlin ein Elektro-Umbausatz für bereits vorhandene Kleinkrafträder mit Verbrennungsmotor entwickelt. Speziell für die Modelle S 50, S 51 und KR 51/2 (Schwalbe) von Simson. Diese Kleinkrafträder wurden bis zur Wende, also bis Anfang der 1990er Jahre in Suhl, Thüringen gefertigt. Mehrere hunderttausend Exemplare gibt es nach über 30 Jahren immer noch, Fans der Kult-Mokicks glauben sogar an Millionen aktive oder reaktivierbare Restbestände. Künftig soll der Umbausatz auch mit der 1er-Schwalbe Typ KR 51/1 kompatibel sein.

Die zwei Simson-Fans von der Uni

Zwei dieser Simson-Fans sind Carlo Schmid und Sebastian Marten. Die Beiden haben an der TU Berlin studiert, sind dort an der Entwicklung des Elektro-Umbausatzes beteiligt gewesen und haben inzwischen die Second Ride GmbH in Berlin gegründet. Die Idee dazu hatte Carlo vor zwei Jahren selbst, und er konnte das dann als Projektwerkstatt, also als Kurs an der TU Berlin anbieten. Das lief über drei Semester, und darauf folgte Anfang 2022 die Ausgründung. Dafür hat Carlo seinen Maschinenbau-Master abgebrochen. Sebastian hat bereits vier Jahre Berufserfahrung in der Automobilindustrie gesammelt und seinen Job aufgegeben, um Second Ride mit zu gründen.

Das gemeinsame Ziel der Beiden ist die Herstellung und der Vertrieb des Umbausatzes in großen Stückzahlen. Um das hierfür erforderliche Kapital einzusammeln, starteten sie im Sommer 2022 einen Crowdfunding-Aufruf. Das Ergebnis ist überwältigend: Schon nach wenigen Stunden war das Finanzierungsziel (80.000 Euro) erreicht.

Obendrauf gab’s reichlich konstruktive und wertvolle Rückmeldungen von Simson-Fahrern. Laut Schmid und Marten liegen über 100 Vorbestellungen vor. Das Projekt kann also realisiert werden. Im Herbst 2022 sollen 30 Vorserien-Kits gefertigt und in Testbetrieb genommen werden. Nebenher sollen Rahmenverträge mit Zulieferpartnern ausgehandelt werden. Ab März 2023 sollen die Elektro-Kits dann regulär ausgeliefert werden.

Umrüstung in wenigen Stunden möglich

Je nach technischen Vorkenntnissen und Schraubertalent sei der Umbau von Zweitakt- auf Elektromotor in minimal 30 Minuten, durchschnittlich zwei, drei Stunden oder zumindest an einem halben Tag durchführbar. Ein TÜV-Gutachten liege mittlerweile vor. Das Teilekit SR23 beinhaltet: alle vormontierten Module, Gutachten, Kette und Kleinteile, 12-Volt-Lampenset, Akku-Ladegerät und Zugang zur Second Ride Community. Komplettpreis: 2.990 Euro. Für 190 Euro Anzahlung werden bereits Reservierungen für 2023 angenommen. Über die gesetzliche Gewährleistung hinaus bietet Second Ride eine zweijährige Garantie an.

Der Antrieb

Das Antriebsmodul besteht aus Elektromotor, Steuergerät, Kabelbaum und weiterer Elektronik. Da Hochleistungsspannung anliegt, müssen die Kabel orangefarben ummantelt sein. Für den bürstenlosen Elektromotor werden 3 kW (4 PS) Nennleistung sowie 4 kW (5,4 PS) Spitzenleistung genannt. Logischerweise sind die Aufhängungspunkte am Rahmen identisch mit denen der originalen Zweitaktmotoren.

Die Akkus

Akku-Pack, Batterie-Management-System und weitere Elektronik befinden sich innerhalb der Sitzbank. Die gebogene Blechkonstruktion ist mit drei Zentimeter Verbundschaumstoff gepolstert. Bei den Akkuzellen handelt es sich um Markenprodukte von LG mit einer Gesamtkapazität von 1,9 kWh. 50 Kilometer Reichweite seien damit drin. Die bisher vorhandene Bordbatterie entfällt, wobei das Bordnetz von 6 Volt auf 12 Volt umgerüstet wird (wo noch nicht geschehen). Nebenbei erhöht das die passive Sicherheit, denn die Beleuchtung wird so deutlich heller.

Der E-“Gasgriff”

Drehgriff und Bowdenzug bleiben original. Dafür ist eigens ein Bowdenzugsensor entwickelt worden, in den die originale Vergaserkappe (aus dem Vergaser herausgeschraubt) mit Kolbenschieber und Vergasernadel passt. Der Hub des Kolbens wird dann in ein elektrisches Signal gewandelt und an den E-Motor gemeldet. Ein Detail, das bei den ersten Tests sehr gut ankommt und das zudem den Umbau stark vereinfacht, weil am Drehgriff nichts geändert werden muss. Und das Schalten durch drei oder vier Gänge entfällt komplett, dem E-Antrieb reicht ein Gang.

Bis zu 60 km/h

Neben dem immer noch riesigen Gebrauchtbestand spricht für die Kleinkrafträder von Simson auch die leichte Zugänglichkeit: Sie dürfen entweder ab 15 mit Führerscheinklasse AM oder ab 18 mit dem Pkw-Führerschein B gefahren werden. Die erste Zulassung des Second Ride-Kits gilt für die Ausführung mit 60 km/h Höchstgeschwindigkeit – wie bei den Originalen, denn hier kann formal die Kombination aus Bestandsschutz und Tauschmotor greifen. Relativ einfach könnte jedoch auch eine Leistungsvariante entsprechend der inzwischen gültigen Rechtslage, also begrenzt auf 45 km/h, nachgeschoben werden, wenn das erforderlich oder gewünscht wäre. Doch das Besondere an diesem Gesamtkonzept ist ja gerade die 60-km/h-Zulassung der Kult-Mokicks aus der ehemaligen DDR. Darüber hinaus loten die Berliner Tüftler sogar stärkere Leistungsvarianten aus, die dann in die nächsthöhere Kategorie Leichtkraftrad aufsteigen würden.

Teure Gebraucht-Ressourcen sparen

Nachhaltig ist das Ganze obendrein, denn ein vorhandenes Fahrzeug auf Elektro-Antrieb umzurüsten, verbraucht weniger Ressourcen, als ein neues Fahrzeug herzustellen. In diesem Fall werden, laut Second Ride, rund 50 Prozent Ressourcen gespart. Allerdings sind die Simson-Mokicks wegen ihres Kultstatus ziemlich teure Gebrauchtfahrzeuge. Über 1.000 Euro sind aktuell üblich, für besonders gut erhaltene oder restaurierte Exemplare werden teilweise sogar mehr als 4.000 Euro verlangt – und bezahlt. Andererseits: Die komplett neu konstruierte Elektro-Schwalbe von Govecs kostet über 5.000 Euro – und läuft nur 45 km/h. Von der neuen E-Schwalbe gibt es allerdings auch eine 90-km/h-Version – hier der Fahrbericht – für rund 7.000 Euro.

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