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INTERVIEW - VW-Markenchef Thomas Schäfer: «Einfach aus China heraus zu chinesischen Preisen nach Europa zu exportieren – das wird nicht funktionieren»

interview - vw-markenchef thomas schäfer: «einfach aus china heraus zu chinesischen preisen nach europa zu exportieren – das wird nicht funktionieren»

«Ich finde die Polemik rund um das Verbrenner-Aus nicht hilfreich», sagt Thomas Schäfer, Leiter der Markengruppe Core (VW, VW Nutzfahrzeuge, Skoda und Seat/Cupra) von Volkswagen. Sumaya Hisham / Reuters

Herr Schäfer, die Perspektiven für den Verbrennungsmotor, also Benzin und Diesel, sind heute besser als auch schon, oder?

Es mag sein, dass der hohe Strompreis und ein Rückgang bei der staatlichen Förderung temporär für eine Renaissance der Verbrenner-Antriebsformen sorgen. Am Ziel des Ausstiegs aus dem Verbrennungsmotor zugunsten der Elektromobilität ändert das aber nichts. Das ist eine grosse Transformation, und die verläuft eben nicht linear.

Halten Sie es für denkbar, dass das Verbrenner-Aus von 2035 in der EU nach dem Sieg des rechten Lagers bei den Europawahlen noch weiter nach hinten geschoben wird – so wie das verschiedene Politiker fordern –, oder war das nur Wahlkampfgeplänkel?

Das halte ich nicht für die relevante Frage. Und ich finde die Polemik rund um das Verbrenner-Aus nicht hilfreich. Ganz ehrlich: Der eigentliche Punkt ist doch, wie wir die Mobilitätswende schaffen und damit, die CO2-Emissionen im Verkehrssektor deutlich zu reduzieren, auf die wir alle – Politik, Industrie und Gesellschaft – uns verpflichtet haben. Und was wir etwa für die Ladeinfrastruktur, erschwingliche Einstiegsmodelle und einen niedrigen Strompreis unternehmen, damit diese Wende gelingen kann. Das ist zentral in den nächsten Jahren.

2023 waren gut 8 Prozent der verkauften Autos im Volkswagen-Konzern reine Elektrofahrzeuge. Ihre Ansage war einmal, dass dieser Anteil bis 2030, also in sechs Jahren, auf 80 Prozent steigt. Ist das nicht etwas sehr optimistisch?

Grundsätzlich ist das bei der Marke Volkswagen immer noch unser Ziel. Tatsache ist allerdings, dass wir 2023 erhebliche Einschränkungen bei der Beschaffung von Halbleitern hatten. Derzeit sehen wir verschiedene Faktoren im Markt, die für eine geringere Nachfrage bei Elektroautos sorgen. Deswegen läuft es vielleicht nicht genau auf diesen Anteil hinaus. Wir tun als Volkswagen jedenfalls alles, damit der Hochlauf schnell vonstattengeht. Wesentlich dafür ist, dass wir Autos in allen Preisklassen anbieten können, also besonders Einstiegsmodelle für 25 000 Euro oder weniger. Ob es dann diese 80 Prozent sind, werden wir sehen. Am Ende des Jahrzehnts wird aber der Grossteil unserer Auslieferungen in jedem Fall vollelektrisch fahren.

Gerade in Deutschland war die Streichung von diesen Fördermassnahmen ein Grund für den Rückgang der E-Auto-Verkäufe. Finden Sie, der Staat sollte hier wieder stärker finanziell nachhelfen?

Zunächst einmal ist es bei solchen Massnahmen für die Käufer wichtig, dass damit eine Verlässlichkeit verbunden ist und Zusagen nicht abrupt verändert werden. Wenn sich die Förderkulisse von einem Tag auf den anderen ändert, verunsichert das die Kundschaft und die langfristig planende Industrie. Wenn der Umstieg auf die E-Mobilität gelingen soll, brauchen wir Verlässlichkeit. Da muss jeder seinen Beitrag leisten. Dazu gehört auch die Politik – in welcher Form auch immer.

Welches Land macht aus Ihrer Sicht diesbezüglich die beste Politik?

Es gibt die unterschiedlichsten Fördermassnahmen. Nicht alle funktionieren überall gleich gut. In Prag können Elektroautos überall zu jeder Zeit kostenlos parkieren. Andere Länder setzen Anreize mit tieferen Zöllen und Steuern für Elektrofahrzeuge, kombiniert mit einem Aufbau der Ladeinfrastruktur und günstigem Strom, wie zum Beispiel Norwegen, wo Sie ohne Sorgen bis auf die Lofoten fahren können.

Wann werden Elektroautos günstiger und für den Normalverbraucher erschwinglich?

Ein Problem ist, dass der Kostenanteil für die Batterie bei der Wertschöpfung eines E-Autos heute noch sehr hoch ist und rund 40 Prozent eines Fahrzeugs ausmacht. Deswegen ist die Herstellung von kleinen E-Autos wirtschaftlich bisher kaum möglich. Mit der Umstellung auf kostengünstigere Batterien und wettbewerbsfähige Kostenstrukturen können wir das verbessern. VW wird 2025 die Serienversion des ID. 2all vorstellen, die dann 2026 auf den Markt kommt und unter 25 000 Euro kostet. Davon bringen wir dann noch einen Ableger, ein kleines Elektro-SUV. 2027 folgt die Weltpremiere eines noch günstigeren Einstiegsstromers, das wird ein vollwertiger kleiner VW für rund 20 000 Euro.

Warum heissen diese neuen Modelle nicht wie die über Jahrzehnte aufgebauten Namen – also zum Beispiel Polo oder Golf? Ist das marketingtechnisch nicht ein Fehler?

Es gibt bei uns ikonische Namen, die es auch in der Zukunft geben wird. Golf ist einer davon, die Bezeichnung GTI auch.

Aber der Polo, der Passat, der Touran und weitere werden sterben?

Nicht unbedingt. Wir schauen uns jeden Produktnamen an und überlegen, ob es sinnvoll ist, ihn in die elektrische Zukunft zu führen. So ein Name muss ja auch zu dem jeweiligen Auto passen und dem entsprechen, was die Kunden damit verbinden. Die «ID.»-Bezeichnung hat sich etabliert und wird von den Kunden gut verstanden, gerade wenn wir parallel Verbrenner und E-Autos im Sortiment haben. Ob wir die unterschiedlichen Bezeichnungen in einer rein elektrischen Zukunft dann noch brauchen, werden wir sehen.

Im wichtigen Markt China hat VW noch Nachholbedarf. Hat man da etwas verschlafen?

So würde ich das nicht sagen. Wir hatten unsere Fahrzeuge nach europäischem Muster konzipiert und bepreist und uns damit an einigen Stellen ein wenig aus dem Markt navigiert.

Das heisst, die Autos waren schlicht zu teuer.

Wir haben in den letzten zwölf Monaten erheblich an den Kosten gearbeitet und ebenso an der Produktsubstanz. Der chinesische Markt ist sehr umkämpft, und es gibt viele Mitspieler. Doch dass der VW ID.3 inzwischen aus einer schwierigen Situation in seinem Segment im Jahr 2023 und auch im Monat Mai 2024 auf Platz 1 der meistverkauften Autos in China aufgestiegen ist, zeigt, dass für uns noch mehr drinliegt. Zudem kooperieren wir mit dem chinesischen Hersteller Xpeng, wir entwickeln gemeinsam zwei elektrische Modelle und starten mit einem grossen SUV für den chinesischen Markt. Entscheidend ist, dass wir aus der Vergangenheit gelernt haben: Wir entwickeln in China für China – und zwar in chinesischem Tempo.

interview - vw-markenchef thomas schäfer: «einfach aus china heraus zu chinesischen preisen nach europa zu exportieren – das wird nicht funktionieren»

Beschaffungsprobleme bei Halbleitern hatten 2023 einen negativen Einfluss auf die Produktion von Elektroautos bei VW (Bild: Werk Zwickau, Sachsen). Eibner/Imago

Wenn sich dereinst E-Autos auch in Europa im grossen Stil durchsetzen, werden dann früher oder später die Chinesen den Markt mit ihren günstigen Fahrzeugen überschwemmen?

Diese Befürchtung teile ich nicht. Ich habe Respekt vor den chinesischen Konkurrenten. Dass diese irgendwann nach Europa drängen würden, war klar. Aber das auch nachhaltig zu schaffen, ist nochmals ein Riesenschritt. Mit dem Verbrennungsmotor hat es nicht funktioniert, nun versuchen sie es mit Elektroautos. Doch wenn sie hier wirklich erfolgreich sein wollen, werden sie hier auch produzieren müssen. Einfach aus China heraus Produkte in Europa zu chinesischen Preisen anzubieten – das wird nicht funktionieren. Um eine Marke aufzubauen, braucht es mindestens vier bis fünf verschiedene Modelle. Zudem müssen Sie ein Netz von Händlern und Standorten für Service und Unterhalt aufbauen. Ganz zu schweigen von den Sicherheitsvorschriften und den unterschiedlichen Regulierungen in 27 Ländern der EU. Da sage ich: Das ist ein Kraftakt, den man erst einmal stemmen muss.

Müsste die europäische Politik darauf hinwirken, dass der Import von chinesischen Fahrzeugen erschwert wird?

Wände hochzuziehen, ist keine Lösung. Wir brauchen den freien und fairen Handel. Wir müssen aus eigener Kraft fähig sein, in Europa starke und wirtschaftliche Produkte herzustellen. Konkurrenz fördert dabei Innovation, und die kommt letztlich unseren Kunden zugute. Dazu kommt, dass bei einem kleinen Auto vielleicht 10 bis 11 Arbeitsstunden drinstecken. Da ist der Unterschied bei den Personalkosten zu China kaum spürbar – oder er wird gar von den Logistikkosten, die anfallen, um die Autos nach Europa zu bringen, wieder aufgefressen.

VW hat eine Steigerung der Margen angekündigt. Geht das mit den günstigen Elektrofahrzeugen?

Im Bereich Eintrittsmobilität um die 20 000 Euro ein Auto anzubieten, das sicher ist und einen hochwertigen Innenraum und eine vernünftige Reichweite hat: Das ist die Champions League. Wir haben in den letzten zwölf Monaten viel daran gearbeitet. Doch damit das wirtschaftlich ist, braucht es grosse Stückzahlen. Da hilft es uns, dass wir in der Markengruppe Core mit starken Volumenmarken auftreten können und dass wir mit der VW-Konzerntochter PowerCo künftig selber effizient Batteriezellen herstellen können.

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Mit dem Elektrofahrzeug ID.7 Tourer will VW auch Tesla Konkurrenz machen. Krisztian Bocsi / Bloomberg

Sie hatten eine Kooperation mit Renault für ein günstiges E-Auto. Warum haben Sie diese aufgegeben?

Es ist normal in der Industrie, dass man auch Projekte mit Partnern prüft. Wir haben unterschiedliche Konzepte intensiv geprüft und uns dann aber entschieden, das in der Markengruppe Core selber zu machen.

Ausser dem Preis und der Reichweite schreckt doch auch die Frage der Ladestationen Käufer ab. Wenn ich kein Einfamilienhaus oder eine Wohnung mit einer Ladestation in der Tiefgarage habe, kaufe ich kein Elektroauto.

Klar ist die Infrastruktur ein Thema. Da sind einige Länder weiter als andere. Die Modernisierung wird vorwärtsgehen. Aber das Wichtigste ist ein schlaues Steuerungssystem, das mir als Fahrer sagt: Das ist dein aktueller Ladezustand, und auf deiner Reise von Wolfsburg nach Zürich ist da und da eine Ladesäule frei. Wenn das nicht funktioniert, wird es schwierig. Mit unserem E-Routenplaner haben wir da eine der besten Lösungen am Markt.

Aber wie bekommt man eine genügende Zahl von Ladepunkten auch für die breite Bevölkerung hin?

Da ist natürlich auch die Politik gefragt. Sie kann nicht mehr Elektromobilität einfordern und gleichzeitig sagen, das Ladethema gehe sie nichts an. Eigentlich müssten wir überproportional viele öffentliche Ladepunkte installieren. Natürlich an den Tankstellen, aber auch am Strassenrand, zum Beispiel bei Strassenlaternen. Da wird noch viel passieren.

Stichwort Zukunft der Mobilität: Welche spektakulären Entwicklungen werden wir einst im Alltag sehen?

Insbesondere China macht in Sachen vertikale Mobilität Tempo, also elektrische Fluggeräte für urbane Taxidienste, die ein Viertel oder ein Fünftel eines normalen Helikopters kosten. Aber bis das grossflächig eingesetzt wird, dürfte es noch eine ganze Weile dauern, ganz zu schweigen von der Regulierung.

Wie sieht es mit dem autonomen Fahren aus?

Da sehe ich, vereinfacht gesagt, zwei Formen. Das eine ist das voll autonome, fahrerlose Fahren. Das wird in erster Linie für den kommerziellen Bereich ein Thema sein. Die Technologie ist sehr stabil und funktioniert gut, ist aber noch sehr teuer. Auch wir testen in Hamburg, München und in Austin, Texas, voll autonome Systeme mit Taxis im Strassenalltag. Das funktioniert erstaunlich gut. Im Privatbereich sehe ich diese Technologie aber weniger.

Verändert sich dort nichts?

Wir sehen im Privatverkehr in den nächsten Jahren sicher eine bessere Unterstützung beim assistierten Fahren, also etwa beim Autobahnfahren oder beim Fahren im Stau ohne Hände am Steuer. Für sehr komplexe Fahrsituationen in der Innenstadt mit Fahrrädern und Fussgängern werden wir das bei Privatautos eher nicht sehen. Parkieren könnte auch ein Thema sein, also entweder dass externe Systeme das Fahrzeug parkieren oder dass sich Autos autonom einen freien Parkplatz suchen.

Bei Volkswagen wurde in den letzten Monaten vermehrt von Restrukturierungen gesprochen. Muss man die Ära des 2022 abgetretenen VW-Konzernchefs Herbert Diess neu bewerten?

Als ich vor zwei Jahren in Wolfsburg angefangen habe, haben wir uns intensiv mit der DNA der Marke beschäftigt: Was ist der Kern von VW? Wer wollen wir sein? Sind wir schon dort, oder wie kommen wir dahin? Diese Analyse hat einen gewissen Nachholbedarf gezeigt, darum stellen wir uns neu auf. Etwa bei den Produkten, im Design, mit noch stärkerem Qualitätsfokus. Um uns das leisten zu können, müssen wir sparen, aber an den Punkten, die der Kunde nicht spürt. Zum Beispiel bei Doppelarbeit in der Administration oder bei Prozessen, die nicht mehr zeitgemäss sind. Mit diesen Ergebnisverbesserungsvorgaben wollen wir bis 2026 nachhaltig zehn Milliarden Euro generieren. So stellen wir sicher, dass wir in unsere Zukunft investieren können, etwa in den nächsten Golf, der rein elektrisch werden wird, oder in digitale Technologien mit echtem Mehrwert für die Kunden. Das ist eine Riesenchance.

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