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Viele Elektroautos sind Ladenhüter. Das bringt auch Schweizer Firmen in Bedrängnis

viele elektroautos sind ladenhüter. das bringt auch schweizer firmen in bedrängnis

Bei Volkswagen im ostdeutschen Zwickau hatten Produktionsmitarbeiter auch schon mehr zu tun. Krisztian Bocsi / Bloomberg

Die Situation in der europäischen Autoindustrie ist vertrackt. Eigentlich hatte sich die Branche darauf eingestellt, im grossen Stil Elektroautos zu verkaufen und damit ältere Modelle mit Verbrennungsmotor Schritt für Schritt abzulösen. Doch die Nachfrage nach E-Autos lässt weiterhin zu wünschen übrig.

«Die Leute warten ab»

«Der Markt zieht nicht. Die Leute warten ab», sagt Anja Schulze, die als Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Zürich lehrt und zugleich das Swiss Center for Automotive Research leitet.

Nach Einschätzung der Branchenexpertin könnte die Flaute im Geschäft mit E-Autos noch eine Weile anhalten. Die Marktsituation sei extrem unübersichtlich. Wer könne zurzeit schon abschätzen, wie lange sich Autos mit Verbrennungsmotor noch halten würden, sagt Schulze. «Die Beharrungskräfte bei vielen Herstellern sind gross, denn sie haben mit dem Verbrenner jahrzehntelang gutes Geld verdient.»

Ein weiterer grosser Unsicherheitsfaktor sind die Schutzzölle, welche die EU auf dem Import von Elektroautos aus China erheben will. «Was macht das mit den Preisen?», fragt sich nicht nur Schulze. Werden E-Autos damit noch teurer?

In Deutschland laufen grosse Kostenprogramme

Angesichts all dieser Fragezeichen ist es nicht erstaunlich, dass in weiten Teilen der Autobranche die Stimmung gedrückt ist. Die schwache Nachfrage zwingt Hersteller, zunehmend über die Bücher zu gehen und ihre Strukturen anzupassen.

In Deutschland kündigten bereits im vergangenen Jahr Hersteller wie Volkswagen (VW) sowie grosse Zulieferer wie Continental, Bosch und ZF weitreichende Kostensenkungsmassnahmen an. Über mehrere Jahre werden Tausende Stellen abgebaut.

Auch Ferienjobs für Studenten sind rar geworden

Die Beschäftigungssituation in der deutschen Autoindustrie scheint sich seither nicht erholt zu haben – im Gegenteil. Das Wertschriftenhaus Stifel lässt seine Praktikanten jedes Jahr pro forma Bewerbungen für Sommerjobs in Autofabriken schreiben, um einen Eindruck von der Stimmungslage in der Branche zu erhalten.

Diesen Sommer seien Jobs bei Porsche und VW sowie bei den Zulieferern Bosch, ZF und Schaeffler kaum oder gar nicht verfügbar, hält der Broker in einem Marktkommentar fest. Einzig bei Mercedes fänden Studenten, die traditionell in grosser Zahl in deutschen Autofabriken während der Ferienzeit aushelfen würden, viele Beschäftigungsmöglichkeiten. Laut Stifel wurden vor einem Jahr branchenweit deutlich mehr Ferienjobs angeboten.

Mit Verzögerung trifft die Schwäche der Automobilindustrie in Deutschland auch Unternehmen in der Schweiz. Hierzulande gibt es zwar keine Autofabriken, doch manche Zulieferer beliefern vor allem Hersteller im süddeutschen Raum mit Komponenten. Dazu gesellt sich eine grosse Zahl spezialisierter Maschinenproduzenten, die bedeutende Teile ihres Umsatzes mit Kunden aus der Autobranche erwirtschaften.

Verlagerung vom Berner Seeland nach Tschechien

Die verhaltene Nachfrage nach Autos zwingt auch diese Unternehmen, ihre Kostenstrukturen anzupassen. So gab Ende Mai der Berner Autozulieferer Feintool bekannt, an seinem Stammsitz in Lyss die Grossserienfertigung aufzugeben. Die entsprechenden Tätigkeiten will das Unternehmen in Tschechien konzentrieren, wo es ebenfalls über ein Produktionswerk verfügt.

Feintool begründete den Schritt mit dem «anspruchsvollen Marktumfeld» sowie hohen Arbeits- und Energiekosten, die gegen eine Weiterführung in der Schweiz sprächen. Insgesamt stehen laut dem Unternehmen 70 von 200 Stellen in Lyss zur Disposition.

Am Dienstag verkündete der Luzerner Maschinenhersteller Komax einschneidende Sparmassnahmen. Die Firma, deren Maschinen für die Produktion von Kabelbäumen eingesetzt werden, erlitt in den ersten fünf Monaten dieses Jahres einen Einbruch bei den Bestellungen und beim Umsatz. Beide Kennziffern gaben im Vergleich zur Vorjahresperiode um 20 Prozent nach.

Kurzarbeit nicht nur für Produktionsmitarbeiter

Weil es viel zu wenig Arbeit gibt, wurden die Produktionsmitarbeiter am Stammsitz in Dierikon im Mai auf Kurzarbeit gesetzt. Per 1. Juli sollen der Grossteil der dort Beschäftigten, also beispielsweise auch Angestellte in der Entwicklung und in der Verwaltung, sowie die Mitarbeiter im Werk in Cham ebenfalls ihre Arbeitszeiten reduzieren. Komax beschäftigt an den beiden Standorten rund 750 Personen.

Zudem hat das Unternehmen mit weltweit 3400 Beschäftigten beschlossen, sein Werk im süddeutschen Jettingen sowie einen Standort in Bulgarien zu schliessen. Davon betroffen sind zusammen mit weiteren Mitarbeitern, denen jüngst gekündigt worden ist, 80 Personen.

Auch Komax spricht von einer «herausfordernden Marktsituation». Die Visibilität der Geschäftsentwicklung sei nach wie vor gering. Das Unternehmen erwartet, dass wegen der schlechten Auftragslage auch im Gesamtjahr der Umsatz rund einen Fünftel tiefer als im Vorjahr liegen wird. Das Betriebsergebnis (Ebit) dürfte zudem lediglich «leicht positiv» ausfallen.

Analytiker auf dem falschen Fuss erwischt

Ob unter dem Strich mit einem Verlust zu rechnen sei, wollte Komax auf Anfrage nicht kommentieren. Für eine solche Einschätzung sei es zu früh.

Heftige Reaktionen löste die Gewinnwarnung unter Marktbeobachtern aus. Analytiker der Zürcher Kantonalbank bezeichneten die nach unten korrigierten Prognosen als eine «weitere herbe Enttäuschung». Sie seien «meilenweit» von dem entfernt, was der Markt bis anhin im Durchschnitt erwartet habe. Analytiker hatten mit einem Umsatzrückgang von lediglich 7 Prozent sowie einem deutlich positiven Betriebsergebnis von knapp 60 Millionen Franken gerechnet.

Hoffnung auf Belebung im zweiten Semester

Trotz dem jüngsten Einbruch geht man bei Komax für das zweite Halbjahr von einer «leichten Verbesserung» der Marktentwicklung aus. Das Unternehmen beruft sich dabei auf die Tatsache, dass Kunden vermehrt Offerten einholen. Auch europäische Autohersteller versprechen sich vor allem dank neuen Modellen eine Belebung der Nachfrage in der zweiten Jahreshälfte. Vielleicht finden die vielen E-Autos, welche die Automobilbranche ihrer Kundschaft schmackhaft machen will, doch noch Abnehmer.

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