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Wie die Briten ihre LKW-Krise gelöst haben – zumindest vorläufig

wie die briten ihre lkw-krise gelöst haben – zumindest vorläufig

01.10.2021, Großbritannien, Ashford: Autofahrer stehen Schlange, um zu tanken. Wegen eines Mangels an Lastwagenfahrern war damals der Sprit knapp.

Vor zwei Jahren malten einige Medien ein dramatisches Bild. Ein „Königreich der leeren Regale“ sei Großbritannien, in Supermärkten bekämen die Kunden fast nichts mehr. Das war zwar weit überzeichnet. Aber tatsächlich kämpften viele Märkte 2021 mit einem Mangel an Lastwagenfahrern, sodass in einzelnen Regalen für manche Produkte Lücken aufkamen. Wochen später führte eine Panikwelle an Tankstellen zu tagelang ausverkauftem Benzin. Es fehlten Treibstofftransporteure. Zu Weihnachten kam die Sorge auf, ob die Briten auf den traditionellen Festbraten verzichten müssten. Supermarktketten versuchten mit Prämien und höheren Lohnversprechen neue Fahrer anzuheuern.

Der Verband der Transporteure RHA sprach von bis zu 100.000 fehlenden Lkw-Lenkern. Ein Teil davon ging auf das Konto des britischen EU-Austritts und der Pandemieumstände. Etwa 15.000 osteuropäische Fahrer hatten deswegen der Insel den Rücken gekehrt. Andere waren wegen geänderter Steuerregeln in den Ruhestand gegangen. Am stärksten war indes der Effekt, dass während der Corona-Zeit kaum Nachwuchs ausgebildet wurde. Mehr als 40.000 Fahrprüfungen fielen wegen Corona aus.

Zwei Jahre später hat sich das Bild gewandelt. „Es gibt keinen Zweifel, die akute Krise ist gelöst“, sagt James Clifford, Geschäftsführer von HGVC, einer der größten Ketten von Fahrschulen des Landes. Mehrere Faktoren haben dabei geholfen, vor allem eine nationale Kampagne zur Ausbildung einer Post-Brexit-Armee von Lkw-Fahrern und, zweitens, deutlich höhere Löhne. Der Staat förderte die Ausbildungsoffensive mit 35 Millionen Pfund für Fahrertrainings sowie bis zu 70-prozentigen Zuschüssen für Un­ternehmen, die Mitarbeiter fortbilden. Die Regierung übernimmt damit weitgehend die Kosten für die Führerscheine, die zwischen 3500 Pfund und 5000 Pfund liegen.

„Dramatischer“ Anstieg der Löhne

Entscheidend für das höhere Interesse jüngerer Leute an dem anstrengenden Beruf sind aber die gestiegenen Löhne. „Die Fahrer waren zuvor unterbezahlt, jetzt haben sie einen dramatischen An­stieg ihrer Löhne um 30 bis 40 Prozent erhalten“, erzählt Clifford. „Für die Fahrer in Britannien, gegenwärtig etwa 275.000, hat der Brexit einige Vorteile gebracht: höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und mehr Festanstellungen“, sagt Clifford. Für die Unternehmen indes bedeutet dies kräftig gestiegene Kosten, die sie an die Verbraucher weitergeben. Ein gewisser Teil der hohen Inflation bei Lebensmittelpreisen liegt an hö­heren Transportkosten.

Dass nun alles in Butter sei, will der Verband der Logistikbranche nicht be­haupten. „Wir haben noch immer einen Mangel an Fahrern, auch wenn er im Moment nachgelassen hat“, sagt ein Sprecher des Verbands Road Haulage Association (RHA). „Die Regierung hat gute Fortschritte gemacht, der Branche zu helfen, aber wir haben in unserer Industrie noch immer gewaltige Probleme anzugehen: die Kosten, die Räumlichkeiten und Toiletten an den Fernstraßen und den Weg zum Net-Zero-Ziel“, fügt er hinzu.

Alter der Fahrer „eine Zeitbombe“

Theoretisch gebe es nun eine strukturelle Lücke von weniger als 50.000 Fahrern, schätzt die RHA. Wenn die Wirtschaft wieder stärker wachse, könnten die Fahrerengpässe zurückkommen, fürchten manche. Zu den Problemen zählt wie auch in anderen Ländern die Überalterung. Im Durchschnitt sind die Fahrer 55 Jahre alt, sagt Clifford. „Das ist eine Zeitbombe.“

Auch viele andere Branchen klagen über Personalmangel, etwa die Landwirtschaft, die vor dem Brexit viele osteuropäische Saisonkräfte einstellte, oder der Gesundheitsdienst NHS. Der Streit, wie mit den Personalengpässen umgegangen werden soll, köchelt in der Politik weiter. Die Nettoeinwanderung nach Großbritannien steuert unterdessen auf neue Höchststände zu, wohl auf mehr als 600.000 im vergangenen Jahr. Innenministerin Suella Braverman will diese Zahlen reduzieren. Sie mahnte diese Woche bei einer „National Conservatism“-Konferenz, Britannien sei weiterhin zu abhängig von ausländischen Arbeitskräften. Das Land könne und müsse eigene Fahrer, Erntehelfer und Bauarbeiter ausbilden. Um die Immigrantenzahl zu reduzieren, will Braverman auch bei Studentenvisa Einschnitte vornehmen. Das dürfte den nächsten Streit in der Regierung auslösen.

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