“Zero to hero”, also von einem negativen zu einem positiven Ergebnis zu wechseln, hat für 2024er-Ausgabe die IAA Transportation eine tiefere Bedeutung Foto: SP-X/Mario Hommen
Die Logistikbranche muss in den kommenden Jahren ihren Anteil an den CO2-Emissionen massiv senken. Auf der Branchenmesse IAA Transportation zeigen entsprechend viele Fahrzeug- und Lkw-Hersteller ihre neuesten Modelle mit E-Antrieb. Große Zugmaschinen mit Riesenakkus oder Brennstoffzellen stehen im Rampenlicht der Neuheiten-Show. Doch mit einer Elektrifizierung der Lkw-Flotten ist es längst nicht getan. Auf der Traditionsmesse, die so deutlich wie nie zuvor ihren Schwerpunkt auf Dekarbonisierung setzt, finden sich in der Zuliefer- und Dienstleister-Branche zahlreiche Beispiele, wie sich zusätzlich oder auf alternative Weise die Effizienz steigern, Verbräuche senken und Emissionen sogar ganz vermeiden lassen.
Dass es auch Branchenriesen wie Michelin mit der Nachhaltigkeit ernst ist, zeigt der Besuch auf dem Messestand des Reifenexperten. 2022 setzen die Franzosen ihre Neuheitenbühne noch wie ein großes Forum verschwenderisch in Szene. Zwei Jahre später erlebt man eine radikale Abkehr vom Branchenstandard, denn statt auf großen Freiflächen präsentieren sich die jüngsten Reifen-Exponate, die weniger ressourcenintensiv als bisher hergestellt werden und für Verbrauchssenkungen bei den Fahrzeugen sorgen sollen, in einem aus Gerüstbau-Elementen aufgebauten Stand. Das Gerüst hat Michelin geliehen, nach der Messe soll es wieder auf Baustellen zum Einsatz kommen. Holztreppen und Bildschirme wurden ebenfalls gemietet. Das für einige Standelemente verwendete Holz soll recycelt werden. Zudem haben die Franzosen auf einen Standboden verzichtet.
Vernetzung und Software gelten in der Branche längst als ein zentraler Schlüssel, um Fahrzeuge fit für eine (klimafreundlichere) Zukunft zu machen. Software wird auch bei der Entwicklung künftiger E-Lkw ein Schwerpunkt sein. Als wichtiger Entwicklungspartner für OEMs macht Bosch auf der IAA großen Wirbel um sein Angebotsportfolio für das künftig Software Defined Vehicle (SDV), welches es auch Herstellern von Lastfahrzeugen erlauben soll, schnell und ohne umfassende Entwicklungsexpertise den Umstieg auf zum Beispiel batterieelektrisch angetriebene Modelle zu realisieren. Dazu bietet Bosch modulare Softwarebausteine als Basis. Auf diesen Stacks können Kunden ihre eigenen Codes entwickeln, welche ihren Fahrzeugen einen differenzierenden Charakter verleihen. Der ETAS AI Vehicle Application Generator soll es zudem den OEMs und sogar Fahrzeugnutzern erlauben, neue und abgesicherte Fahrzeugfunktionen per natürlicher Sprache ohne Vorkenntnisse zu erstellen. Darüber hinaus bietet Bosch auch Hardware wie E-Achsen, Leistungselektronik, Brennstoffzellentechnik uvm., mit denen OEMs ihren nächsten „Software definded“ E-Lkw auch antriebstechnisch kuratieren können.
Beim Zulieferer Schaeffler werden ebenfalls E-Achsen, Brennstoffzellen, 800-Volt-Leistungselektronik sowie für diese Applikationen passende Fahrwerkskomponenten präsentiert. Trotz der Elektro-Euphorie sieht das Unternehmen aus dem badischen Bühl in der Nutzfahrzeugbranche das Ende des Verbrenners in noch weiter Ferne. Damit der Verbrennungsmotor künftig jedoch weniger CO2 emittiert und effizienter arbeiten kann, hat Schaeffler das variable Ventiltriebsystem iFlexAir entwickelt, das sich in Diesel-, Erdgas- und Wasserstoffverbrennungsmotoren einsetzen lässt. Ein Diesel soll mit dieser Technik bis zu 5 Prozent weniger CO2 ausstoßen, der Wasserstoffantrieb seine Effizienz um 6 Prozent steigern. Ein NOx-Sensor vom Konzernpartner Vitesco soll zudem eine zuverlässige Überwachung der Stickoxid-Emissionen im Abgas gewährleisten und damit die Einhaltung künftiger Emissionsstandards wie Euro 7 erlauben.
Mitbewerber Valeo verfügt wie Bosch und Schaeffler über Hardware-Bausteine sowie über die Software-Expertise für die Entwicklung von E-Fahrzeugen, die verstärkt Software in den Fokus rücken. Auf der IAA zeigen die Franzosen außerdem nachhaltige Transportfahrzeugtypen der vor wenigen Jahren gehypten und wieder etwas in Vergessenheit geratenen Mikromobilität. Dazu gehört ein dreirädriges E-Lastenrad von Vuf, welches den neuen E-Bike-Antrieb Cyclee von Valeo nutzt. Wie Benjamin Morliere, Leiter der E-Bike-Plattform bei Valeo, erläutert, wächst der E-Cargobike derzeit rasant. Und Valeo hat mit dem neuen Antriebssystem Cyclee das vielleicht beste Antriebsangebot speziell für diesen Fahrzeugtyp entwickelt. Der Mittelmotor, der in seinem Gehäuse eine Siebengang-Automatik integriert, stellt nämlich 130 Newtonmeter bereit und nimmt damit steileren Anstiegen auch bei schwerer Beladung ihren Schrecken. Auch dank Riemenantrieb bleibt das System sauber und wartungsarm. Weitere Highlights sind ein 1,2 kW großer Akku und ein bislang in der E-Bike-Branche einzigartiger Rückwärtsgang. Darüber hinaus bietet das Antriebssystem ein Phone-as-a-Key-System, das eine automatische Sperrung des Antriebs aktiviert, sobald sich der Nutzer über zwei Meter vom E-Bike entfernt. Das Dreirad von Vuf kann in seiner 1.500 Liter fassenden Ladebox bis zu 150 Kilogramm Gepäck schultern und dies bis zu 80 Kilometer weit emissionsfrei transportieren. In Deutschland sind die Lastenradbauer auf die smarte Valeo-Lösung bislang noch nicht aufgesprungen.
Gleiches gilt auch für ein 48-Volt-Antriebssystem, das Valeo in einem weiteren IAA-Exponat vorstellt. Der eAccess genannte E-Antrieb steckt in dem Dreirad Evig des schwedischen Herstellers Clean Motion – einem Kleintransporter für die letzten Meile. Der kann 2.500 Liter und 350 Kilogramm bis zu 200 Kilometer weit transportieren. Dank Solardach versorgt sich das Evig sogar autark mit Strom. Das Antriebssystem eAccess, das Motor, Steuereinheit, Inverter und Reducer in einer Einheit zusammenführt, wiegt nur 22 Kilogramm und bietet somit ein besonders gutes Leistungsgewicht. Der in der Spitze 13,5 kW/18 PS starke Antrieb macht das rund 16.000 Euro teure Dreirad Evig bis 60 km/h schnell.
Dass man mit Optimierungen bei der Aerodynamik deutliche Einsparungen erzielen kann, ist natürlich nicht neu, wie ein Besuch auf den Stand von Kuda Aero Spoiler zeigt. Doch das Potenzial ist weiterhin imposant. Für viele Transporter- und Lkw-Klassen bieten die Niedersachsen Aerodynamikpakete an. Interessant sind diese vor allem für Sprinter mit Kofferaufbau, bei denen ein Spoiler von Kuda den Übergang von Fahrerkabine und dem Laderaum glättet und die dort entstehenden Verwirbelungen reduziert. Ab rund 750 Euro soll ein solcher Spoiler zu haben sein, der unter idealen Bedingungen den Spritverbrauch um bis zu 20 Prozent senkt, so Kuda. Fährt ein derart optimierter Sprinter 100.000 Kilometer im Jahr, kann sich die Investition in den Spoiler nach einem halben Jahr bereits amortisieren, denn in dieser Zeit lassen sich mehrere tausend Liter Diesel einsparen. Eine Investition in klimafreundlichere Lösungen kann sich bereits kurzfristig lohnen.
Der Artikel “IAA Transportation 2024 – Nachhaltig auch im Detail” wurde am 20.09.2024 in der Kategorie E-Bikes von Mario Hommen/SP-X mit den Stichwörtern IAA Transportation 2024 , E-Bikes, veröffentlicht.
Michelin hat sich mit seinem IAA-Stand vom Branchenstandard abgekoppelt. Nachhaltigkeit hat bei den Franzosen bereits hier eine Relevanz Foto: Michelin
Auf geliehenen Bildschirmen präsentiert Michelin Factsheets zu den ökologischen Vorteilen seiner Fleetmanagement-Software Foto: SP-X/Mario Hommen
Bei Valeo werden auch wieder nachhaltige Lösungen aus der Welt der Microp Mobility gezeigt Foto: SP-X/Mario Hommen
Neben einem E-Lastenrad mit dem besonders starken Cyclee-Antriebssystem zeigt Valeo außerdem Leichtbau-Elektrotransporter wie das schwedische Dreirad Evig Foto: SP-X/Mario Hommen
Aerodynamik war auf der IAA eher ein Randthema. Dabei zeigt das Beispiel Kuda, wie enorm die Effizienzgewinnen seien können, wenn man auf wenig Luftwiderstand achtet Foto: SP-X/Mario Hommen