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Ist es normal, wenn ich beim Autofahren ausraste? Oder ist das IED?

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Ist es normal, wenn ich beim Autofahren ausraste? Oder ist das IED?

Es ist schon wieder passiert. Ich habe mir selbst eine Diagnose gestellt ­­– Intermittent Explosive Disorder. Und das kam so: Wir schlichen mit dem Auto über den Tempelhofer Damm. Das reinste Vergnügen für Freunde des Bremsens und Gasgebens, des Auskuppelns und Einkuppelns. Gerade diskutierten wir über die Segnungen des öffentlichen Personennahverkehrs, als sich die Kolonne mal wieder für einige Meter in Bewegung setzte. Allerdings nicht auf unserer Spur, da sich der Fahrzeugführer vor uns via Smartphone in einem angeregten Meinungsaustausch zu befinden schien.

Ich versuchte, seine Konzentration auf das Verkehrsgeschehen zu lenken, hämmerte auf die Hupe, hörte mich rufen: „Schei…, äh, du Blockflötengesicht, worauf wartest du noch?“ Aus dem rückwärtigen Kindersitz kam die Frage, was ein Blockflötengesicht sei, verbunden mit der Ermahnung, dass das angedeutete Kaka-Wort unter allen Umständen vermieden werden müsse. Das hätte ich selbst gesagt.

„Schei…, äh, mmh, ja, stimmt!“ Ich versuchte, meiner Vorbildfunktion wieder gerecht zu werden, indem ich an eine gemeinsam geschaute Sendung im Bildungsfernsehen erinnerte, auf KiKA, glaube ich. Sie befasste sich mit der schmerzlindernden Wirkung lauten Fluchens. Die Moderatorin trug unter anderem einen Getränkekasten eine Treppe hinauf und war mit Kraftausdrücken deutlich schneller als ohne. Ich fragte: „Verstehst du, was ich meine?“ Von hinten: „Nein!“

Ehrlich gesagt, verstand ich mich selbst nicht, kam mir vor wie eine zeitgenössische Ausgabe von Dr. Jekyll und Mister Hyde. Das nette Ich wird zum ätzenden Ich, sobald der Autoschlüssel im Zündschloss steckt. Mir wurde sofort bewusst, dass das krankhaft sein musste. Bei nächstbester Gelegenheit tippte ich in eine Suchmaschine „Jekyll“, „Hyde“, „Aggression“ und stieß auf eine englischsprachige Internetseite namens emergency-room.org oder so. Sie eröffnete mir, dass ich an IED leide. Mit anderen Worten: Intermittent Explosive Disorder.

Die Fakten über diese Verhaltensstörung trafen alle auf mich zu. Nicht nur, dass Männer häufiger als Frauen von IED betroffen sind und dass sich nach einem Wutausbruch erst Erleichterung, dann Reue einstellt. Sondern auch, dass es zu Spannungen im Alltag kommen kann. Ängste und Phobien sind denkbar, Pyromanie oder Kleptomanie möglich, also ein bunter Strauß an selbst gestellten Folgediagnosen!

Die drei Eruptionen pro Jahr, die mindestens für IED erforderlich sind, schaffe ich locker, obwohl ich selten Auto fahre. Die Symptome passen ebenfalls: Reizbarkeit, Herzklopfen, Beschleunigung der Gedanken. Nur das Gefühl, ein Echo zu hören, blieb bisher aus.

„Die Spannung schmilzt weg, sobald es geschafft ist“, stand da noch. Ich ließ mir das extra von einem Übersetzungsprogramm bestätigen, weil ich mich fragte, was ich denn dank IED so alles schaffe. Dass ein angehupter Typ im Stau vor Schreck fast in sein Handy beißt, das er wie eine Leberwurststulle an den Mund hält?

Klar war: Heilung muss her. Ich verwarf die vorgeschlagenen Medikamente, die angeratene kognitive Verhaltenstherapie, und beschloss, nur noch fremdsprachig zu fluchen. „Pask, sa salvesti nägu, mida sa ootad?“ Das war das mit dem Blockflötengesicht auf Estnisch. Danke, liebes Übersetzungsprogramm.

Es gibt übrigens Leute, die mir die IED niemals abnehmen würden. Der Betreiber des Cafés in unserem Verlag zum Beispiel, der behauptet, ich sei zu nett für diese Welt. Ich sollte mit ihm mal Auto fahren. Pask, das wird ein Spaß!

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