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Autokauf: Feilschen um Neuwagen war einmal

Viele Automarken verkaufen ihre Neuwagen künftig direkt, die Autohändler sind nur noch Vermittler. Dadurch könnten viele Händler pleitegehen. Und die Preise steigen.

autokauf: feilschen um neuwagen war einmal

Für viele Autohändler brechen neue Zeiten an – und auch für die Kunden ändert sich einiges.

Die Zeiten, in denen in Autohäusern um den Preis eines neuen Wagens gefeilscht wurde, gehen zu Ende. Die meisten großen europäischen Autoproduzenten stellen ihr Vertriebssystem um. Künftig werden Neuwagen nach dem Agenturmodell verkauft. Was bedeutet das für die Branche und was für die Kundinnen und Kunden? Die wichtigsten Fragen und Antworten

Wie funktioniert das Agenturmodell?

Im Agentursystem verkauft nicht mehr ein Händler oder eine Händlerin das Auto, sondern der Hersteller. Der Händler ist lediglich Agent. Er vermittelt den Verkauf und bekommt für Beratung, Probefahrt und Auslieferung eine Provision. Der Agent vertreibt das Auto auf fremde Rechnung und fremden Namen, nämlich in dem des Herstellers. Der bestimmt den Preis, hat aber auch alle Gewährleistungspflichten gegenüber dem Kunden.

Der Hersteller ist im echten Agenturmodell auch dafür zuständig, den Gebrauchtwagen als Teil der Zahlung zu verrechnen, wenn das Teil des Deals ist. Außerdem ist es in seiner Verantwortung, Vorführwagen anzuschaffen und später wieder zu verkaufen. Einige Hersteller nutzen in der Praxis ein unechtes Agenturmodell. Dann zahlt der Händler die Vorführwagen und die Autos in der Ausstellungshalle selbst.

Was haben die Autohersteller davon?

“Im Agenturmodell ist der Einfluss der Automobilhersteller auf die Händler wesentlich höher”, sagt Stefan Reindl, Direktor des Instituts für Automobilwirtschaft in Geislingen. Agenten sind ähnlich Angestellten weisungsgebunden. Das macht die Hersteller mächtig und die Händler schwach.

Die Hersteller bekommen so den direkten Kundenkontakt, sagt Reindl. So könnten sie den Käufern zusätzliche Funktionen im Fahrzeug anbieten, zum Beispiel Fahrassistenten. Die werden gegen Aufpreis freigeschaltet.

Außerdem können die Autokonzerne im Agentursystem den Preis für Neuwagen selbst festlegen. Ein Ziel der Hersteller seien weniger Rabatte, sagt Arthur Kipferler, Partner in der Berylls Group, einer auf die Autoindustrie spezialisierten Beratung.

Welche Marken stellen aufs Agenturmodell um?

Nach und nach übernehmen immer mehr Hersteller den Verkauf von Neuwagen. Mercedes-Benz praktiziert seit vielen Jahren ein unechtes Agenturmodell. VW macht dasselbe für Privat- und kleine Gewerbekunden seit dem Verkaufsbeginn des ID.3 im Jahr 2019 in Deutschland und Österreich. Bei Großkunden habe sich das Verkaufsmodell bereits seit Jahren bewährt, begründet VW.

Aktuell laufen bei VW Gespräche mit den Handelspartnern, das Agenturmodell auf alle vollelektrischen Fahrzeuge der Volumenmarken im Konzern auszuweiten, darunter Audi und Škoda, sowie auf weitere europäische Märkte. “Konkrete Einführungszeitpunkte können wir aktuell nicht nennen”, teilt ein Sprecher von VW auf Anfrage mit. Der Chef des Volkswagen- und Audi-Partnerverbands, Dirk Weddingen von Knapp, wollte zu den laufenden Verhandlungen keine Angaben machen. Dem Spiegel sagte er im November 2022 zum Agenturmodell: “Der VW-Konzern hat weder die IT-Systeme noch die Kompetenzen, den Handel selbst zu führen.”

Der Autokonzern Stellantis wird in diesem Jahr in den Benelux-Staaten und Österreich mit einigen seiner Marken auf das Agenturmodell umsteigen. Darunter sind Alfa Romeo, Fiat und Opel. Nach einer Testphase wird der große Rest Europas folgen. BMW startet 2024 mit der Marke Mini in Europa und verkauft ab 2026 alle BMW-Modelle nach dem Modell der Agentur.

Was bedeutet das Agenturmodell für Händler?

Für Autohändler und -händlerinnen hat das Agentursystem Vor- und Nachteile. Sie müssen sich nicht mehr mit Preisnachlässen überbieten, um Kundinnen und Kunden anzulocken. Und sie müssen die Neuwagen nicht mehr vorfinanzieren. Dadurch entfällt das Risiko, dass Händler auf Modellen sitzen bleiben, die sich nicht gut verkaufen.

Finanziell sind sie jedoch vollkommen von den Provisionen der Hersteller abhängig. Sind die zu niedrig, können sie bankrott gehen. In den Verhandlungen um die Höhe von Provisionen geht es daher ums pure Überleben. Branchenexperte Reindl geht davon aus, dass von den heute rund 14.500 Betrieben der Markenhändler 2.500 bis 3.000 im Jahr 2030 nicht mehr bestehen werden, weil ihnen das Geschäft mit Neuwagen entzogen wird und die Provision der Hersteller zu gering ist.

Die Verantwortlichen der Händlervereinigungen von BMW, VW und Opel schweigen aktuell über den Stand der Gespräche. Teilweise mussten sie sogar Unterlassungsvereinbarungen unterschreiben, damit nichts nach außen gelangt.

Berater Kipferler sieht kein großes Problem für die Händler durch die Umstellung des Neuwagengeschäfts auf das Agenturmodell, weil sie den Neuwagenverkauf ja nicht verlören, sondern sich nur ihre Rolle ändere. In einem gut geführten Händlersystem sei der Unterschied eher klein. “Viele Händler wollen ihre Marke oder Marken weiter vertreten, weil sie viel investiert haben”, sagt Kipferler. Ihr Geschäftssystem passten sie nun eben den neuen Bedingungen an.

Händler, die keine Agenten werden wollen, können aus dem Markenhandel aussteigen und unabhängige Autohändler werden. Ansgar Klein, Vorstand im Bundesverband freier Kfz-Händler, hält diesen Schritt aber nur dann für eine gute Idee, wenn die bisherigen Markenhändler bereit sind, ihre Arbeitsweise anzupassen. “Vertragshändler sind betreuten Autohandel gewöhnt, im freien Handel sind sie auf sich selbst gestellt”, sagt Klein. Das sei die Herausforderung, an der ehemalige Vertragshändler immer wieder scheiterten, wenn sie das stützende Korsett des Herstellers ablegen.

Der freie Autohandel lebt bei den Neuwagen von der Überproduktion an Fahrzeugen. Die steige durch das Agenturmodell eher, erwartet Klein, weil das alte Vertriebsmodell besser funktioniere als das neue.

Wie wirkt sich das für Autokäufer aus?

Das Agentursystem hat immerhin einen Vorteil für die Kundinnen und Kunden: vollkommene Preistransparenz. Man muss nicht mehr von Händler zu Händler gehen, um das günstigste Angebot zu finden. Außerdem kann man sich aufwendige Preisverhandlungen sparen.

Im herkömmlichen Autohandel können Käuferinnen und Käufer auf zweierlei Arten etwas für sich herausholen: Entweder sie handeln einen hohen Rabatt für das neue Auto heraus oder einen guten Preis für ihren Gebrauchten, der in Zahlung gegeben und mit dem Neuwagen verrechnet wird. “Im Agenturmodell fällt das Feilschen weg, und Inzahlungnahme ist eher zur Ausnahme geworden”, sagt Berater Kipferler.

Bedeutet das, dass Autos im Schnitt teurer werden? Nicht unbedingt. Rabatte kann es weiterhin geben, nur eben von den Herstellern bestimmt. Etwa wenn sie einen üppigen Lagerbestand abbauen wollen. Die Marke Tesla, die nur online verkauft, ist ein Beispiel dafür, dass sich Neuwagenpreise innerhalb kurzer Zeit stark unterscheiden können. Zum Ende eines Quartals gewährt Tesla oft Preisnachlässe, um die Stückzahlen an verkauften Fahrzeugen in die Höhe zu treiben und damit das Unternehmensergebnis zu verbessern. “Wer einen Tesla kaufen und nicht bis zu den Sonderangeboten am Quartalsende warten will, zahlt eben spürbar mehr für das Auto als Preis für seine Ungeduld”, sagt Kipferler.

Letztendlich können Kundinnen und Kunden wohl nur bei Gebrauchtwagen noch Einfluss auf den Preis nehmen. Vorausgesetzt, sie sind gut im Verhandeln und das Angebot ist groß. Bei der derzeitigen Knappheit an Gebrauchtwagen ist aber auch das schwierig.

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