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Strom oder Strafe: Warum deutsche Autohersteller dringend mehr E-Autos verkaufen müssen

strom oder strafe: warum deutsche autohersteller dringend mehr e-autos verkaufen müssen

Die Nachfrage nach Elektroautos sinkt: Geht das so weiter, werden zum Jahresende kaum mehr als 300.000 neue Elektroautos verkauft sein.

Mit der Energiewende im automobilen Individualverkehr scheint es hierzulande vorerst nicht zu klappen. Nachdem einst schon Kanzlerin Merkel mit ihrem Ziel gescheitert war, bis 2020 eine Million Elektroautos auf deutsche Straßen zu bekommen, sind die Neuwagenkäufer der Nation nun kaum folgsamer. Zwar gibt es im Mutterland von Otto- und Dieselmotor inzwischen 1,5 Millionen Autos ohne Tank und Auspuff, doch sieht das neue Regierungsziel bis 2030 das Zehnfache vor.

Tatsächlich sollen dann 15 Millionen Elektroautos in Deutschland zugelassen sein. Sieben Jahre bleiben dafür noch, weshalb jährlich etwa zwei Millionen Batterie-Pkw verkauft werden müssten. Doch das mutet illusorisch an, da im vergangenen Jahr insgesamt nur 2,8 Millionen neue Autos verkauft wurden und davon kaum mehr als eine halbe Million elektrisch fuhr. Zudem ging die Nachfrage nach Elektroautos in den ersten Monaten dieses Jahres crashartig zurück. Im Mai lagen die Zulassungszahlen gar um knapp ein Drittel unter denen des Vorjahresmonats. Geht das so weiter, werden zum Jahresende kaum mehr als 300.000 neue Elektroautos verkauft sein.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Einerseits beklagt der potenzielle Konsument weiterhin fehlende Ladesäulen, fürchtet steigende Strompreise und ist neuerdings auch noch tief verunsichert, weil ihn immer neue Diskussionen über ein Comeback des Verbrenners glauben lassen, die Transformation zur Elektromobilität könnte doch wieder abgeblasen werden. Und dann sind da natürlich die hohen Fahrzeugpreise. 2023 wurden hierzulande im Schnitt 52.700 Euro für einen fabrikneuen Strom-Pkw ausgegeben. Und das nicht, weil die Kundschaft besonders hohe Ansprüche hatte, sondern weil günstige Angebote fehlten. Da war die Förderprämie freilich als Entlastung willkommen. Doch diese wurde bekanntermaßen zum Jahresende gestrichen.

Dass das für den Absatz wenig förderlich war, steht außer Frage. Allerdings wurde die Kaufprämie immerhin acht Jahre lang gezahlt. Zehn Milliarden Euro sind geflossen, auch um die Autoindustrie bei der Transformation zu unterstützen. Die Hersteller hatten somit genug Zeit, günstige Modelle zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Die von fetten Margen verwöhnte Branche begann die Elektrifizierung jedoch am teuren Ende ihrer jeweiligen Modellpalette, wo sich am meisten verdienen ließ. Insofern kann man die Automobilindustrie nach acht Jahren Förderung nun auch mal sich selbst überlassen, zumal die Branche die Stromer selbst dringend benötigt, um ihre mehr oder weniger strengen Emissionsvorgaben zu erfüllen.

Dabei geht es um die durchschnittlichen CO₂-Emissionen der neu in der EU zugelassenen Autos der verschiedenen Hersteller. Seit 2021 beträgt der Grenzwert dafür in Europa 118 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer. Das ist der Durchschnittswert. Wer schwere Autos baut, ist da freilich im Nachteil, bekommt aber statt eines Anreizes, leichtere Autos zu bauen, einen Bonus zum Ausgleich für das CO₂-lastige Gerät. Für BMW lag das Ziel im vergangenen Jahr bei 129 Gramm, ebenfalls 129 waren es bei Mercedes, 123 bei Volkswagen.

Bislang wurden die Vorgaben geschafft, von BMW, Mercedes und VW sogar teils deutlich unterboten. Doch schon im kommenden Jahr gelten schärfere Vorgaben. Ab 2025 wird die durchschnittliche Obergrenze von 94 Gramm CO₂ pro Kilometer zu erfüllen sein, ab 2030 sind es 49,5 Gramm und ab 2035 null Gramm CO₂. Das ist der Wert, aus dem ein angebliches Verbrenner-Verbot abgeleitet wurde. Das es aber nicht gibt. Tatsächlich könnte jeder Motor weiterhin verkauft werden, wenn sich mit ihm die Emissionsvorgaben erfüllen ließen. Zu schaffen ist das derzeit real aber eben nur per Elektrifizierung. „Sie ist der wirksamste Hebel zur Dekarbonisierung individueller Mobilität“, heißt es etwa bei VW. Also: Je mehr Elektroautos ein Autobauer verkauft, desto besser sieht die CO₂-Bilanz am Jahresende aus.

In diese Rechnung grätscht nun jedoch der sich dem E-Mobil verweigernde Kunde und löst in den Vertriebs- und Finanzabteilungen der Automobilhersteller den Alarmzustand aus. Denn wenn nicht genug Elektroautos verkauft werden, können auch die Emissionswerte nicht erreicht werden. Und das wird teuer. Für jedes Gramm, um das der Grenzwert gerissen wird, ist für jeden im jeweiligen Jahr neu zugelassenen Pkw ein Bußgeld von 95 Euro fällig. Hätte etwa Volkswagen im vergangenen Jahr sein Ziel um nur ein Gramm verfehlt, wären dafür mehr als 350 Millionen Euro fällig geworden.

Dass auch deshalb derzeit in der Autoindustrie die Nerven blank liegen, weiß Stefan Bratzel. „In den Unternehmen werden im Moment alle Möglichkeiten durchgerechnet“, sagt der Chef des Center of Automotive Management (CAM) an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach und ist sicher: „Wenn die Bestellungen für Elektroautos in der zweiten Jahreshälfte nicht nach oben gehen, haben die Hersteller ein gewaltiges Problem.“ Laut Bratzels Analyse müssten die Hersteller in Europa im nächsten Jahr auf einen Elektroauto-Anteil von 15 bis 20 Prozent kommen. Ab 2030 müsste die Rate auf wenigstens 40 Prozent wachsen. „Sonst werden sie die Grenzwerte nicht erreichen“, sagt der Automobilwirtschaftsforscher.

Davon sind die Hersteller nun allerdings zum Teil weit entfernt. Volkswagen hatte im vergangenen Jahr in Europa zwar noch eine E-Auto-Quote von 13 Prozent erreicht, doch schrumpfte diese im ersten Quartal dieses Jahres auf magere 8,2 Prozent. BMW will keine Zahlen für Europa nennen und verweist auf einen weltweiten E-Auto-Anteil von 13,9 Prozent im vergangenen Jahr. Bei Mercedes liegt der Anteil weltweit bei 10,3 Prozent.

Bratzel geht davon aus, dass bei den Herstellern nun alle Register gezogen werden, um Strafzahlungen zu vermeiden. „Niemand will sich die Blöße geben, bei den Klimazielen zu versagen“, sagt er. Am nächsten läge es freilich, auf Margen auch im Verbrennergeschäft zu verzichten und die E-Auto-Preise zu senken. Der CAM-Chef rechnet aber eher damit, dass Elektrofahrzeuge über die eigenen Flotten in den Markt gedrückt werden und parallel der Absatz der teilelektrifizierten Plug-in-Hybridfahrzeuge gepusht wird, um zumindest kurzfristig zu Erfolg zu kommen.

Damit könnten die Grenzwerte vorläufig tatsächlich erreicht werden, doch würde dies kaum den Klimaschutz nach vorn bringen. Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI hatte vor zwei Jahren zusammen mit der Forschungsorganisation International Council on Clean Transportation (ICCT) die reale Nutzung von etwa 9000 Plug-in-Hybriden in Europa untersucht und schließlich ein ernüchterndes Ergebnis vorgelegt: Im Mittel fielen demnach die realen Kraftstoffverbräuche und damit die CO₂-Emissionen der Fahrzeuge bei privaten Haltern in Deutschland und anderen europäischen Ländern etwa dreimal so hoch aus wie im offiziellen Testzyklus.

Die Werte bei Dienstwagen waren sogar etwa fünfmal so hoch. Langfristig, so das Resümee der Forscher, ließen sich mit den hohen realen Emissionen von Plug-in-Hybriden die Klimaziele Deutschlands und der Europäischen Union nicht erreichen.

Aber übergangsweise wohl schon. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres lagen die Zulassungszahlen von Plug-in-Hybriden in Deutschland jedenfalls um 17,5 Prozent über denen des gleichen Vorjahreszeitraums.

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