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Krise der E-Mobilität: Flaute im Vorzeigewerk von VW

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Vom Hoffnungsträger zum Sorgenkind: Montage des kompakten VW ID.3

Es ist kurz nach halb zehn am Abend, als der Linienbus mit der Nummer 111 in die Straße vor dem Volkswagen-Werk Zwickau abbiegt. Im Licht der Straßenlaternen ziehen links die Hallen des Autozulieferers GKN Driveline vorbei. Davor: vier hüfthohe Holzkreuze, die Beschäftigte vor der Zufahrt in einen Grünstreifen gerammt haben. Es wirkt wie ein kleiner Friedhof – und das soll es auch: GKN verlagert seine Produktion von Zwickau nach Ungarn. Mehr als 800 Mitarbeiter bangen um ihre Stellen.

Für noch mehr Aufsehen in der Region sorgen die Schwierigkeiten von Volkswagen. Vor ein paar Jahren, als die Produktion von Elektroautos in dem Werk des Autokonzerns in Zwickau boomte, sei der Bus zur Nachtschicht voll gewesen, erzählt Busfahrer Thomas Floß. Heute nehmen nur eine Handvoll Arbeiter die letzte Verbindung des Tages vom Hauptbahnhof zum Vorort Mosel, wo sich die Hallen der VW-Fabrik wie ein eigener Stadtteil ausbreiten. Der Konzern hat nicht genug Aufträge und streicht die Nachtschicht. Etliche Stellen fallen weg, was bei den Leuten in der Gegend schlechte Erinnerungen weckt. Viele Ältere fühlten sich an die Zeit nach der Wende erinnert, und auch Jüngere hätten Angst, erzählt Floß, 44 Jahre alt, in breitem sächsischen Dialekt. Mit Krise und wegbrechender Industrie habe man hier im südwestlichen Sachsen „eine gewisse Erfahrung“.

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Thomas Floß

Noch vor zwei Jahren war Zwickau das Vorzeigewerk in der Transformation von VW. 1,2 Milliarden Euro investierte Europas größter Autokonzern, um an dem Standort binnen kurzer Zeit die Produktion sechs elektrischer Modelle anlaufen zu lassen, vom Kompaktwagen ID.3 und dem technisch verwandten ­Cupra Born bis zu den Stadtgeländewagen ID.4 und Audi Q4 E-Tron. Noch bevor Tesla in Grünheide loslegte, war Zwickau das erste Autowerk Europas, das ganz auf Elektroautos umgestellt worden war. Die Nachfrage war gut, es habe regelrecht „Euphorie“ geherrscht, sagt ein Mitarbeiter am Band.

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Blick auf das Werk in Zwickau: Viele befristet Beschäftigte müssen gehen, weil sich E-Autos nicht gut verkaufen.

Autozulieferer kämpfen ums Überleben

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Zu wenig Aufträge: In der Autofabrik in Zwickau kontrollieren Mitarbeiter die Qualität von Bauteilen aus dem Presswerk.

Doch inzwischen hat sich der Markt gedreht. Quasi über Nacht hat die Bundesregierung Kaufanreize für E-Autos gestrichen. Kunden finden die elektrischen Modelle zu teuer und das Ladenetz zu dünn. Viele wenden sich wieder dem Verbrenner zu.

Auf Zwickau schlägt die Trendwende voll durch. 360.000 Elektroautos kann die Fabrik eigentlich produzieren. Vergangenes Jahr liefen nur 247.000 Stück vom Band, und auch die Perspektive für das laufende Jahr sieht kaum besser aus. Rund 1800 befristet Beschäftigte von VW müssen jetzt damit rechnen, dass ihr Vertrag nicht verlängert wird, oder haben ihre Stelle schon verloren.

Gleichzeitig kämpfen viele Autozulieferer in Sachsen ums Überleben. Alles in allem arbeiteten im Freistaat rund 100.000 Menschen in der Autobranche, rechnet das Netzwerk Automobilzulieferer Sachsen vor, ein regionales Bündnis von Unternehmen. Viele Jobs hängen direkt oder indirekt an VW. Wenn sich die Lage nicht bessere, drohe der Region ein „Tsunami“, warnt Uwe Kunstmann, Betriebsratsvorsitzender von VW in Zwickau. Er bemüht sich aktuell um einen Termin im Kanzleramt, um auf die Probleme aufmerksam zu machen, zusammen mit seinen Kollegen aus dem VW-Werk im ostfriesischen Emden. Auch dort sorgt das Nachfragetief im E-Auto-Markt für Unterauslastung.

AfD befeuert die Diskussion

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Thomas Edig

2035 soll der Verkauf von Autos mit einem Diesel- oder Benzinmotor in Europa enden. Doch längst diskutiert die Politik darüber, das Ziel zu verschieben. Mercedes-Chef Ola Källenius hat jüngst für Furore gesorgt, als er verkündete, die ambitionierten E-Auto-Pläne des Premiumherstellers aus Stuttgart zu kippen, weil sich das Geschäft nicht entwickelt wie erhofft. In Sachsen ist die Debatte zum echten Politikum geworden. Schon in den Jahren 2018 und 2019, als VW unter dem damaligen Konzernchef Herbert Diess beschlossen hatte, voll auf Elektroautos zu setzen, sei man in Zwickau skeptisch gewesen, ob der schnelle, komplette Umbau des Werks zu riskant sei, heißt es dort.

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Uwe Kunstmann

Jetzt kocht die Diskussion wieder hoch, auch befeuert durch die AfD, die vor der Landtagswahl im September in Umfragen auf rund 30 Prozent der Stimmen kommt. Sie hat das Thema für sich entdeckt und warnt: Der „politisch gewollte E-Auto-Hype­“ und die „hochsubventionierte, grüne Planwirtschaft“ scheiterten – auch auf Kosten der Beschäftigten in Sachsen.

Harter Spardruck

Busfahrer Floß, der seit Jahren auf der Route vom und zum Werk unterwegs ist, hat das Auf und Ab aus nächster Nähe erlebt. In einem ersten Schub hatte VW die Stammbelegschaft vom Jahr 2019 an um mehrere Hundert Beschäftigte auf rund 8000 Mitarbeiter ausgebaut. Hinzu kamen über die Jahre etwa 2500 Arbeiter mit befristeten Verträgen, von denen viele darauf hofften, bleiben zu können. Besonders stark war der Aufwind 2021/2022, als Corona durchgestanden schien und ein Zwischenhoch der Nachfrage die Produktion an den Anschlag brachte. An Haltestellen wie Pölbitz nördlich des Zentrums, wo Pendler aus der Straßenbahn umstiegen und zum VW-Werk weiterfuhren, sei der Bus rappelvoll geworden, sagt der Fahrer, der mit Fleecejacke und Hemd hinterm Steuer sitzt.

Seit sich der Wind gedreht hat, haben noch rund 700 befristet Beschäftigte eine Entfristung ergattert. Die Verträge von 270 Beschäftigten sind dagegen schon im September ausgelaufen. Bis Ende dieses Jahres werden 500 weitere den Standort verlassen. Über die Zukunft von 1000 Mitarbeitern wird noch verhandelt. „Bleibt die Nachfrage auf diesem Niveau, geht Volkswagen davon aus, die Verträge nicht verlängern zu können“, heißt es vom Unternehmen.

Zwickau steht, wie alle großen Standorte des VW-Konzerns, unter hartem Spardruck, auch weil der amtierende Vorstandsvorsitzende Oliver Blume seinen Konzernmarken Effizienzprogramme verordnet hat, die den Konzerngewinn schon dieses Jahr um 10 Milliarden Euro entlasten sollen. Allein das Ende der Nachtschicht in Zwickau bringe rund 40 Millionen Euro an Einsparungen, wird in Unternehmenskreisen vorgerechnet. Bessere Abläufe und Eingriffe in Teilen der Verwaltung und Produktion sollen die Effizienz weiter erhöhen.

In Zwickau können keine Verbrenner produziert werden

In Sachsen treffen die Sparprogramme einen wunden Punkt. Denn dort ist man stolz auf die Erfahrung im Automobilbau. Der Unternehmer August Horch hatte dort einst die Marke Horch und später Audi gegründet, das heute in Ingolstadt sitzt. In der DDR wurde dann der Trabant produziert, mehr als drei Millionen Mal lief das Auto mit dem Zweitaktmotor in Zwickau vom Band. In einer alten Backsteinhalle des VEB Sachsenring erinnert noch heute ein eigenes Museum an die Historie mit Modellen wie dem 1911er Audi Typ B oder der letzten Baureihe des Trabants, dem Modell 1.1. Auch die Buslinie 111 zum heutigen Werk vor den Toren der Stadt kommt auf ihrer Route Tag für Tag am Museum vorbei.

Nach der Wende sorgte VW mit Verbrennermodellen wie Polo, Golf oder Passat für Beschäftigung. Jetzt, so die Sorge, droht eine Zäsur: Dass der Standort zuletzt auf einen Schlag zur E-Auto-Fabrik wurde, halten selbst am VW-Stammsitz in Wolfsburg manche Planer aus heutiger Sicht für überstürzt. Verwiesen wird auf Tschechien, wo die VW-Tochtergesellschaft Škoda ihr elektrisches SUV Enyaq auf einer Linie mit Verbrennern baut und damit flexibel reagieren kann. Auch das VW-Werk im spanischen Pamplona plant eine gemischte Fertigung.

Zwickau hänge dagegen auf Gedeih und Verderb davon ab, dass die Politik an ihren Plänen zur E-Mobilität festhalte, sagt ein Wolfsburger Produktionsmanager. „Das größte Risiko für den Standort ist, dass die CO2-Vorgaben der EU entschärft und das Verbrenner-Aus im Jahr 2035 gekippt werden.“ Dass VW ein Diesel- oder Benzinmodell in die Fabrik zurückbringe, sei wegen der hohen Umbaukosten nahezu ausgeschlossen.

Betriebsrat fordert neue Förderung

Das Management am Standort versucht nun, die Stimmung in der Belegschaft aufzubessern. Dass derzeit eine Renaissance des Verbrenners diskutiert werde, sei „das letzte Aufbäumen“ einer Technologie, deren Zeit ablaufe, beteuert Thomas Edig, Geschäftsführer für Personal und Organisation von VW in Sachsen. Er geht davon aus, dass der Markt für Elektroautos früher oder später wieder Fahrt aufnimmt, auch wenn derzeit schwer zu sagen sei, wann das passiere. Bestärkt sieht sich Zwickau auch dadurch, dass die VW-Führung in Wolfsburg zuletzt beteuert hat, am Schwenk des Konzerns zur Elektromobilität festzuhalten. Aus Sicht von Edig bekommt das Thema Stellenabbau zu viel Gewicht: Für die befristet Beschäftigten sei klar gewesen, dass ihre Verträge möglicherweise ausliefen. Und die Stammbelegschaft sei gegenüber der Zeit vor dem Umbau trotz allem gewachsen.

Betriebsratschef Kunstmann fordert, dass der Bund eine neue E-Auto-Förderung auflegt. Von der Konzernführung in Wolfsburg wünscht er sich schnell neue Kaufimpulse für Fahrzeuge wie den ID.3, etwa durch Sondereditionen oder aufgefrischtes Design. Hoffnungswert ist die „Scalable Systems Platform“, ein neuer Technikbaukasten des Konzerns für E-Fahrzeuge, den Zwickau von 2028 an in ein neues Modell verbauen soll – als erstes Werk im VW-Verbund.

Angst vor dem Abstieg sitzt tief

Vielen in der Belegschaft ist das zu vage. Immer wieder gibt es Kritik, die auch von der rechten Gewerkschaft Zentrum angeheizt wird. Sie war zuerst im Mercedes-Werk Untertürkheim in Erscheinung getreten. Bei VW in Sachsen haben ihre Statthalter der IG Metall zwei von 37 Stellen im Betriebsrat abgejagt, ein kleines Mandat, das aber reicht, um Stimmung zu machen. Die jüngste Betriebsratswahl haben die rechten Arbeitnehmervertreter wegen angeblicher Verfahrensfehler angefochten. Der Fall liegt vor dem Bundesarbeitsgericht.

In der Lokalpolitik ist man inzwischen ratlos, wie die Situation zu adressieren ist. Vom Bürgergespräch bis zum Treffen mit lokalen Unternehmen: Überall werde sie auf die Lage der Autobranche angesprochen, berichtet Oberbürgermeisterin Constance Arndt. Die 46 Jahre alte Politikerin war vor vier Jahren als Teil des Bündnisses Bürger für Zwickau ins Amt gekommen, das sich auf „Werte des respektvollen Zusammenlebens aller Menschen“ beruft und gegen Rassismus und Diskriminierung eintritt.

Die Wirtschaft in der Gegend sei robust, sagt sie und verweist auf die Arbeitslosenquote von 5,6 Prozent – weniger als der Bundesdurchschnitt. Wer eine Stelle suche, werde schnell fündig, das gelte auch für befristet Beschäftigte von VW. Dennoch sitze die Angst vor dem Abstieg tief. „Viele Leute fürchten ganz offensichtlich, dass sie den Wohlstand, den sie sich in den letzten Jahrzehnten aufgebaut haben, wieder verlieren.“ Von der Politik in Brüssel und Berlin wünscht sie sich vor allem eines: Planungssicherheit und einen klaren Kurs in Richtung E-Mobilität. Busfahrer Floß sieht es anders. Die Politik könne nicht einfach den E-Antrieb vorschreiben, sagt er. Dass das riskant sei, zeige sich in Zwickau gerade deutlich.

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