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Chery iCar: Ein Stromkasten nicht nur fürs Gelände

Erste Ausfahrt mit dem iCar 03, als Jaecoo 6 nach Europa kommen wird. Gebaut wird der Elektro-SUV nicht von Apple, sondern von Chery in China.

Bei den harten Jungs ist Kubismus angesagt. Bildungsbürger werden jetzt sofort den Zeigefinger nach oben recken und erklären, dass es sich dabei um eine kunstgeschichtliche Epoche zu Anfang des 20. Jahrhunderts handelt, bei dem Objekte auf geometrische Gebilde wie Kugel, Kegel oder Pyramiden reduziert wurden. Zu den bedeutendsten Vertretern dieser Kunstrichtung zählen Pablo Picasso, Georges Braque und Juan Gris.

Knapp 120 Jahre später entdecken die Automobildesigner diese Stilrichtung wieder. Beispiele gefällig?  Ein Blick auf den Land Rover Defender, den Hyundai Santa Fe oder den neuen Toyota Cruiser genügt.

chery icar: ein stromkasten nicht nur fürs gelände

Elektrischer Zauberwürfel Der Buchstabe „i“ im Logo des iCar steht für „Intellekt“ und „interaktiv“, nach Darstellung des Herstellers auch für grenzenlose Vorstellungskraft und das Streben nach Freiheit. Aber erst einmal ist es nur ein Kompakt-SUV.

Bald ergänzt ein weiterer Würfel auf Rädern die Runde. Und zwar einer mit Elektroantrieb. Das Chery iCar 03 kommt aus China und nicht, wie der Name vermuten lässt, von Apple aus Kalifornien. Wir sind von dem kantigen Auftritt des 4,40 Meter langen Vehikels jedenfalls spontan begeistert. Noch mehr von den Verkaufspreisen, die uns ein freundlicher Autohändler in Wuhu mitteilt, nur einen Steinwurf weit von der Chery-Konzernzentrale gelegen. Los geht es bei ihm bei 109.800 Yuan (umgerechnet 14.000 Euro) für die Standard-Version mit Hinterradantrieb. Und für die Topversion mit Allradantrieb werden 169.800 Euro aufgerufen – das sind umgerechnet knapp 22.000 Euro.

Allradgetriebene Top-Version in China für 22.000 Euro

Allen, die jetzt gleich wieder aufheulen und sich über die unverschämten Preise der hiesigen Autobauer aufregen, sei gesagt: So günstig wie in seinem Heimatland wird der Geländestromer in Europa sicherlich nicht angeboten – die Anpassungen des Modells an die gesetzlichen Zulassungsbestimmungen der EU und der teure Homologationsprozess dürften die Preise in die Höhe treiben. Und vermutlich auch die EU-Strafsteuer in Höhe von 30 Prozent, die voraussichtlich ab Herbst für Elektroautos aus China erhoben wird, weil die Herstellung dort vom Staat angeblich so stark gefördert wird, dass westliche Anbieter nicht mehr mithalten können. Lassen wir uns überraschen.

chery icar: ein stromkasten nicht nur fürs gelände

Einer wie alle Bei der Gestaltung des Innenraum orientierten sich die Designer von Chery wie ihre Kollegen bei anderen chinesischen Automarken sichtlich an Tesla. Der Fahrschalter in der Mittelkonsole ist aus Glas gefräst und sieht wie ein Kristall aus.

Für die erste Ausfahrt mit dem Stromkasten haben uns für die Top-Version entschieden. Das bedeutet Allradantrieb, bei dem der elektrische Frontantrieb mit 135 kW (184 PS) Leistung um eine zweite, 70 kW (95 PS) starke E-Maschine ergänzt wird. In Summe bringt das iCar also 205 kW und ein maximales Drehmoment von 385 Newtonmetern auf die Räder. Das reicht, um den knapp 1,9 Tonnen schweren Würfel in 6,5 Sekunden von auf 100 km/h zu beschleunigen. Dass der Spaß bei 150 km/h endet, trübt den positiven Eindruck nur marginal.

Akkuladung reicht für über 500 Kilometer

Die Power reicht auf alle Fälle aus. Das iCar 03 ist nicht nur das Gesicht im rundgelutschten Verkehrs-Einerlei, sondern kann zur Not auch kraftvoll antreten. Die Fahrmodi Eco, Normal, Sport und verschiedene Off-Road-Programme stellt man mit einem Drehknopf in der Mittelkonsole ein. Der erinnert ein bisschen an den BMW-i-Drive Controller, schaut aber dank des Kunststoffglases wie ein Kristall aus. In China darf es eben gerne ein bisschen auffälliger sein. Anders sieht es bei den Fahrmodi des iCars aus: Die unterscheiden sich kaum voneinander. Wir haben dennoch unseren Spaß und freuen uns über das 1,2 Quadratmeter große Panorama-Glasschiebedach.

chery icar: ein stromkasten nicht nur fürs gelände

Leicht aus der Ruhe zu bringen Schnelle Richtungswechsel mag das iCar 03 nicht – aufgrund einer weichen Fahrwerksabstimmung kommt es zu deutlichen Wankbewegungen. Auch könnte die Lenkung direkter und die Bremse besser dosierbar sein. Da gibt es noch einiges zu tun.

Unterwegs auf den chinesischen Straßen fällt die eher komfortable Abstimmung des Fahrwerks auf, die bei schnellen Richtungswechseln zu Wankbewegungen führt. Die Bremse könnte etwas besser dosierbar sein und die Lenkung direkter. Laut Datenblatt kommt die Energie aus einer CATL-Batterie mit einer Kapazität von 69,77 Kilowattstunden, was nach dem chinesischen Fahrzyklus CLTC für 501 Kilometer gut sein soll. Ganz so viele Kilometer werden es in der europäischen Verkehrsrealität wohl nicht sein.

Autonomes Fahren auf Level 2plus

Das reduzierte Interieur mit dem zentralen 15,6 Zoll Display und nur wenigen klassischen analogen Bedienelementen erinnert an Tesla. Fast alle Einstellungen werden über den Touchscreen vorgenommen. Lediglich in den Speichen des Volants finden sich zwei Drehknöpfe. Die Top-Version hat so allen Pipapo an Bord, den das Chery-Technik-Arsenal so hergibt. Ein Qualcomm 8155-Chipp sorgt für eine geschmeidige Bedienung des Infotainments. Auch sonst ist das iCar 03 mit allerlei technischen Gimmicks ausgestattet, die in Richtung autonomes Fahren auf Level 2 plus zielen.

chery icar: ein stromkasten nicht nur fürs gelände

Klare Kante Vom chinesischen Legespiel Tangram ist nicht nur das Logo des iCar inspiriert, sondern auch die Geometrie vieler Bauteile.

Aber auch in China wachsen die Bäume nicht bis in den Himmel. So ist auch das iCar 03, das vermutlich als Jaecoo 6 nach Europa kommt, zwar noch kein echtes Robo-Auto, kann aber schon eine ganze Menge selbst erledigen, wie man es von europäischen Fahrzeugen kennt. Sei es im Stau oder beim Einparken. Da die chinesischen Autofahrer bei Rotphasen der Ampel gerne mal am Handy-Display kleben, gibt das iCar 03 auch Bescheid, sobald das Verkehrssignal wieder auf Grün springt.

Bleibt zum Schluss noch die Frage, wann denn der Offroad-Kubus nach Europa kommt. In China ist das iCar erst vor rund zweieinhalb Monaten auf den Markt gekommen. In Deutschland wird es in diesem Jahr wohl nichts mehr werden, eher 2025. Bis dahin sollten auch die Rahmenbedingungen für den Import von Elektroautos klar sein.

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