Kia EV9: Sie haben ein Haus gebaut
Fünf Meter lang – und sehr hoch
So hat Kia mit dem EV9 eine Art von Auto gebaut, die Land Rover gern im Sortiment hätte – als elektrischen Range-Rover-Luxusliner, den die Engländer erst einmal auf die Welt bringen müssen, ein kostspieliges Unterfangen. Und genau so wirkt der Kia – durch stattliche Proportionen mit über fünf Metern Länge und fast 1,8 m Höhe, mit hoch aufragender Fahrzeugfront und einem Designschliff, der an Straßenpräsenz nichts zu wünschen übrig lässt, sofern man es ertragen kann, ein bisschen aufzufallen (die Lackierung in strahlendem Ocean-Blue, die daran ihre Teilhabe hat, ist an die GT-Ausführung gekoppelt, die höchste Spielklasse der Baureihe mit Allrad und großer Batterie nebst 21-Zoll-Rädern).
Nun evozieren fahrende Reihenhäuser wie dieses nicht immer und überall ausschließlich Sympathie, weshalb es dem Designteam hoch anzurechnen ist, dass es beim EV9 zu einem verträglichen Ausdruck gefunden hat. Denn es ist nicht so, dass der Kia einen nach üblicher, schon reichlich fader Premium-Manier auftrumpfend anglotzen oder gar bedrohlich anfunkeln würde („Aus dem Weg, kleiner Mann!“). Man hat vielmehr zu einer originellen Formensprache gefunden, die dem Betrachter einen zweiten Blick abringt und zu interessanten Details lenkt – prominent die Beleuchtung mit ihren vielen, kunstvoll arrangierten Lichtquellen, aber auch der aerodynamische Feinschliff, der für die Effizienz des Fahrzeugs entscheidend ist.
Aus Sicht der feinen Marken Deutschlands oder Englands muss der Kia EV9 wie ein Palaststurm wirken. Viel Spaß beim Aufholen! |
Timo Völker |
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Design-Maestro am Steuer
Die auch dem EV6 (und Hyundai Ioniq 5/6) zugrunde liegende Elektro-Konzernplattform ist mit dem EV9 größenmäßig ausgereizt, das Hyundai-Pendant ist noch nicht erschienen. Darin untergebracht ist ein Hochvoltspeicher mit fast 100 kWh Kapazität, was der Reichweite einigermaßen die Sorge nimmt. Während über 500 Kilometer ausgerufen sind, kamen wir durchwegs auf etwas über 400 km, man kann sich’s ausrechnen anhand des Schnittverbrauchs von um die 25 kWh/100 km. Wichtig ist, dass beim Laden ordentlich was durch die Leitungen rauscht, und das ist die Stärke der 800-Volt-Architektur (auch so ein Asset, über das einstweilen nur sehr wenige verfügen).
Am 300-kW-Lader sind schnell 200 Kilowatt Ladeleistung erreicht (10 kW weniger als ausgewiesen). Bei solchem Durchsatz muss man nicht lang stehen; kaum Gelegenheit, die Vordersitze in ihrer Liegefunktion zu bedösen. Auf der Langstrecke steuert man am besten gleich die HPC-Inseln an (High Power Charging) und lässt die anderen links liegen, sofern es die Routenplanung erlaubt. Zu der trägt das Navi durchaus sinnstiftend bei, wobei man die Letztauswahl selbst vornehmen sollte, sonst landet man, wie wir, über Umwege in Einkaufszentren, zu denen man eigentlich nicht will.
Der Aufenthalt an Bord ist nicht nur wegen der schönen Ausstattung mit hoher Materialgüte und den verschwenderischen Platzverhältnissen eine feine Sache, es schlagen sich auch die Fahreigenschaften des Riesen dazu. Da gibt es nichts zu beanstanden, gerade auf richtig schlechten Straßen zeigen sich Unerschütterlichkeit und die Absenz von Dröhnen oder Vibrationen. Ein druckvoller, sich sanft entfaltender Antrieb, keine Angst vor einer bald erschöpften Batterie und ein Kostenfaktor, der für das Gebotene nicht zu erschrecken vermag: Aus Sicht der feinen Marken Deutschlands oder Englands muss das schon wie ein Palaststurm wirken. Viel Spaß beim Aufholen.