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Kia EV6 GT im Test: Brachiale Wildkatze aus Südkorea

Während der neue Hyundai Ioniq 5N ein wenig mehr den Tuner-Prollo mimt, versucht bei Schwestermarke Kia der ähnlich leistungsstarke Kia EV6 GT auf eine elegantere Art hohe Elektro-Performance zu bieten. Wir durften uns den 430 kW (585 PS) leistende und damit stärkste Fahrzeug der Marke mit der Tigernase eine Woche lang näher ansehen.

Zuerst ein paar Eckdaten zum Testwagen: Vorgefahren ist der Kia EV6 GT in der ihm außerordentlich gut stehenden Farbe Runway Red Metallic. An Bord hat er serienmäßig den 77 kWh großen Akku, der auch aus anderen Elektroautos von Hyundai, Kia und Genesis bekannt ist. Dank Allradantrieb beschleunigt der GT in 3,5 Sekunden von 0 auf 100 Stundenkilometer, stolze 260 Stundenkilometer sind in der Spitze möglich. 740 Newtonmeter maximales Drehmoment sind ein weiteres Indiz für seine Sportlichkeit.

Mit knapp 4,70 Metern Länge, 1,89 Metern Breite ohne Spiegel sowie 1,55 Meter Höhe ist der Kia EV6 weder Limousine noch wirklich SUV, gehört also der Crossover-Welt dazwischen an. Es handelt sich um eine reinrassige Elektroplattform, die zudem mit 800-Volt-Technologie arbeitet, was besonders schnelles Laden ermöglicht.

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Daniel Krenzer

Folgende Dinge sind uns am Kia EV6 GT während der Testzeit besonders aufgefallen:

Die Pluspunkte des Kia EV6 GT

Die Optik: Optisch ist der EV6 auch in der Standardvariante schon ein wenig ein Sonderling. Elegant-sportliche Linienführung trifft auf eine gewisse Pummeligkeit, das Lichtdesign am Heck ist sicher ebenfalls nicht jedermanns Sache. Die GT-Variante in Rot mit den neonfarbenen Bremsen und den zusätzlichen Spoiler-Elementen schaut aber für unseren Geschmack richtig schick aus. Es ist dem Elektroauto zwar anzusehen, dass es vermutlich nicht zu den langsamsten Modellen gehört, trotzdem wirkt es nicht übertrieben sportlich, was ja schnell auch mal zu besagter prolliger Wirkung führen kann. Im Vergleich zu einem aber bereits extravagant wirkenden Porsche Taycan strahlt der Kia EV6 GT bei all seinem guten Aussehen dennoch eine sympathische Bescheidenheit aus.

Auch im Innenraum ist die Mischung aus Sport- und Komfortwagen optisch gut umgesetzt. So dominieren dezente Grautöne ein auf Praxistauglichkeit getrimmtes Interieur, die Sportsitze und neonfarbene Ziernähte setzen aber dennoch ihre auffälligen Akzente. Ein bisschen plump wirkt lediglich das Lenkrad, doch beim GT gibt es hier mit dem ebenfalls neonfarbenen GT-Knopf wieder einen Akzent, den wir ähnlich auch schon aus dem Genesis GV60 kennen.

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Die Sportlichkeit: Im Eco- und Normal-Modus fährt sich der Kia EV6 GT sehr ähnlich zu seinem “normalmotorisierten” Allradbruder: durchaus flott und agil, aber weitestgehend zivilisiert. Im Sport-Modus zeigt der GT aber bereits, dass mit knapp 600 PS bei ihm deutlich mehr zu holen ist. Die Assistenzsysteme sorgen dafür, dass auch bei sehr flotten Kurvenfahrten das Fahrzeug gut im Griff bleibt. Die Beschleunigung ist zwar bereits enorm, pustet aber zumindest dem Elektroautos gewohnten Fahrer noch nicht wirklich den Kopf durch. Bis hier hin ist der Kia EV6 GT ein sehr performantes, hervorragend kontrollierbares und sportliches Elektroauto.

Doch drückt man den “GT”-Knopf, dann erwacht das Biest. Nun nimmt der Wagen zum einen noch einmal deutlich stärker Tempo auf, wenn das Gaspedal durchgedrückt wird. Doch auch das EPS wird deaktiviert. Während der Ampelstart zuvor noch dank gut abgestimmter Assistenz schnurstracks und sehr schnell geradeaus vonstatten ging, schubbelt das Fahrzeug nun gierig mit dem Heck und prügelt sich voran und die Organe der Mitfahrenden in den Sitz – und wer es beherrscht und auf entsprechendem Terrain unterwegs ist, kann nun driften, was das Zeug hält und bis die Reifen Slicks sind. Unser Ding ist das nicht, aber auch so macht der ein oder andere GT-Zwischensprint mächtig Freude. Denn dann ist die Performance des Fahrzeuges sehr mit dem Taycan zu vergleichen, zumindest mit dem 4S.

Doch während der Porsche – auch durch seine überragende Lenkung – sich selbst bei wildester Fahrt sehr seriös anfühlt, hat man beim Kia immer wieder das Gefühl, dass das Fahrzeug gerne noch etwas mehr nach vorne gehen würde, als es die Situation gerade zulässt. Trotzdem bleibt er dabei gut kontrollierbar, solange der Fahrer sich nicht vom Auto zur Unvernunft überreden lässt. Doch bei allem fahrerischen Können gilt es natürlich immer, auch an die anderen Verkehrsteilnehmer zu denken. Die können von einem wilden Biest mit freudig wedelndem Heck sonst schnell mal eingeschüchtert werden – oder animiert zu einem illegalen Kräftemessen. Letztendlich also ist der GT-Modus etwas für die Rennstrecke und nicht für den normalen Straßenverkehr.

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Das Raumangebot: Trotz seiner Sportlichkeit bringt der Kia EV6 GT einige Tugenden mit sich, die für ein Alltagsfahrzeug relevant sind. So ist das Platzangebot in dem Elektroauto durchaus familientauglich – und dank Eco- und Normal-Modus lässt er sich ja auch bei weniger beschleunigungsaffinen Mitfahrern moderat bewegen. In den Kofferraum passen immerhin 480 Liter, 20 weitere Liter sind im recht überschaubaren Frunk zu finden. Für ein nicht zu langes Ladekabel reicht das aber allemal – wobei wir persönlich dafür lieber den Kofferraum öffnen als die Motorhaube. Bei umgeklappter Sitzbank “schluckt” der Kia auch in der GT-Variante bis zu 1260 Liter.

Der Platz ist in beiden Sitzreihen absolut in Ordnung, auch auf der Rückbank können Erwachsene selbst mit langen Beinen ordentlich sitzen. Vorsicht ist jedoch wie bei den meisten asiatischen Modellen auf der Rückbank für größere Personen ab etwa 1,80 Meter geboten. Die Beulengefahr ist hoch, mit 1,90 Metern war hinten aber ein aufrechtes Sitzen noch gut möglich.

1,8 Tonnen gebremste Anhängelast sind übrigens ebenfalls erlaubt – sowie 750 Kilo ungebremst. Die Stützlast mit 100 Kilo ermöglicht den Fahrradtransport, aufs Dach gehen auch nochmal 80 Kilo.

Der Komfort: Zwar übernimmt das Fahrzeug im GT-Modus als wildes Biest gerne einmal gefühlt beinahe selbst die Kontrolle, doch im entspannten Reisemodus sorgen die vielen Assistenten für eine angenehme Reise. Das Head-up-Display mit Augmented-Reality-Elementen ist ebenso hilfreich wie Totwinkelwarner, Abstandstempomat und die sehr gute Rundum-Kamera. Der Spurwechselassistent ist zwar eine nette Spielerei, doch gefühlt dauert er viel zu lange, sodass er vom Fahrer zumeist ohnehin überstimmt wird. Zudem gibt es in den Türen und in und unter der Mittelkonsole einiges an Stauraum und Halterungen, was längere Fahrten ebenfalls erleichtert. Und anders als bei vielen anderen sehr sportlichen Fahrzeugen lässt es sich aus einem Crossover auch bequem ein- und aussteigen.

Die Ladeperformance: Wer den EV6 GT artgerecht hält, der verliert mitunter schnell viel Strom aus dem Akku, doch das Biest “trinkt” Energie ähnlich gierig, wie es selbige auf die Straße prügelt. Dank 800-Volt-Technik sind maximal 233 kW DC-Ladeleistung möglich, 230 kW konnten wir im Test bestätigen – und das bis zu einem Akkustand von nahezu 60 Prozent, ehe der Wert dann auf immer noch sehr flotte 190 kW sinkt. Bei etwa 80 bis 85 Prozent fährt das System die Ladeleistung dann – wie von allen 800-Volt-Modellen der Hyundai-Gruppe gewohnt – zunächst auf ein Minimum zurück, um nach kurzer Abkühlungsphase dann noch einmal mit zweistelligen Ladeleistungen weiterzumachen. Wer die Länge seiner Ladestopps optimieren will, der beendet das Laden genau dann, wenn diese Abkühlphase beginnt. Unter optimalen Bedingungen (wozu die aktivierte Batteriekonditionierung zählt) dauert das Nachladen von 10 bis 80 Prozent so kaum mehr als eine Viertelstunde.

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Die Minuspunkte des Kia EV6 GT

Die Sportlichkeit: Ein solches Biest ist nicht für die Käfighaltung gemacht, es braucht auch immer mal Freilauf. Wer aber den Kia EV6 GT regelmäßig ausfährt, der muss mit dem entsprechenden Energieverbrauch leben. Die gute Nachricht vorweg: Der sportliche Kia lässt sich locker mit weniger als 20 kWh bewegen. Doch Spaß macht das vor allem dann nicht, wenn man weiß, was in dem Wagen steckt. Davon konnten wir uns bei einer sonntäglichen Ausfahrt bei schönem Wetter und nahezu leerer Autobahn überzeugen. Nach knapp 100 Kilometern wildem Ritt – ohne spürbare Verzögerung zog der EV6 GT dabei mit 240 Stundenkilometern auch einen kilometerlangen Anstieg hinauf – zeigte der Bordcomputer mehr als 47 kWh Durchschnittsverbrauch. Das hatten wir nicht mal mit dem Taycan geschafft, was aber auch an den Rahmenbedingungen lag.

Keine Frage, das ist ein Extrembeispiel (und zudem eigentlich nicht zur Nachahmung empfohlen). Aber das Biest wollte es so. Wer es zumindest ab und an mal von der Leine lässt, der wird sich kombiniert bei Verbrauchswerten von 30 bis 35 kWh einpendeln – und muss folglich im Schnitt gut alle 200 Kilometer nachladen. Bei unserer Extremfahrt wären es sogar nur 160 Kilometer gewesen. Wer es aber gediegen angehen lässt, der schafft auch mal 450 Kilometer am Stück – und hat wie gesagt extrem schnell wieder nachgeladen.

Der Ladeanschluss: Die Positionierung des Ladeanschlusses befindet sich beim Kia EV6 rechts hinten, aber nicht seitlich am Fahrzeug, sondern am Heck. Das ist schön unauffällig und an sich clever gelöst, an manchen Ladestationen ist es aber mitunter schwierig, den Wagen in eine passende Position zu bringen. Das gilt vor allem an Ladestationen, die eigentlich netterweise so platziert sind, dass sie sich beim Parken eher mittig am Fahrzeug befinden. Der Weg zum Heck ist dann aber ein weiter, sodass das Kabel mitunter beim Laden gut gespannt ist. Zudem ist nicht jeder ein Freund des Rückwärts-Einparkens, was bei typischen Ladestationen mit angeschlagenem Kabel aber oft notwendig ist. Für AC-Säulen lässt sich da mit einem langen Kabel aber gut aushelfen.

Die Vordersitze: Der sportliche Kia EV6 GT hat passenderweise auch sehr sportliche Sitze. Wer sich für das Fahrzeug interessiert, sollte aber vorher unserer Erfahrung nach unbedingt einmal probegesessen haben, denn die Sportsitze fallen im Kia sehr eng aus – auch an den Beinen. Wir mussten das Fahrzeug zwischendrin drei Tage lang wegen starker Knieprobleme stehen lassen. Sicher belegbar ist das natürlich nicht, aber wir hatten am Testende das Gefühl, dass der Sitz im Kia daran einen großen Anteil hatte.

Als 1,90 Meter großer Fahrer mit langen Beinen geht es im Fußraum immer mal enger zu und meistens ist das kein Problem. Da die Beine aber aufgrund der Sitzform sehr mittig gehalten wurden, hat das offenbar das rechte Knie ungewohnt stark belastet. Das ließ sich zwar an den letzten Tagen dadurch umgehen, dass wir den Oberschenkel statt in der Sitzmulde auf dem rechten und erhöhten Sitzrand abgelegt haben, bequem ist das wiederum aber nicht. Bis 1,80 Meter Körpergröße ist es sicher kein Problem, auf den Sportsitzen länger unterwegs zu sein. Doch jeder platziert sich selbst ein wenig anders, hier empfehlen wir also sicherheitshalber ein ausgiebiges Probesitzen.

kia ev6 gt im test: brachiale wildkatze aus südkorea

Fazit

Der Kia EV6 GT kann ein flottes, aber zivilisiertes Familienauto sein. Eigentlich wohnt in ihm aber ein Biest, das seinen Freilauf einfordert. Wer beim Verbrauch niemals eine 3 oder gar eine 4 vorne stehen sehen möchte, sollte lieber zum “normalen” Kia EV6 greifen. Wer aber eine Rennstrecke in seiner Nähe weiß, die brachiale Beschleunigung liebt oder ab und an mal den Fahrer eines anderen sportlichen Fahrzeuges beim Herausbeschleunigen aus der Baustelle verdutzt hinter sich zurücklassen möchte, ohne dabei in einer zu prollig daherkommenden Kiste unterwegs zu sein, der kann dies mit dem wilden Koreaner für vergleichsweise preiswerte knapp 70.000 Euro haben.

Transparenz-Hinweis: Das Fahrzeug wurde uns von Kia eine Woche lang kostenlos zur Verfügung gestellt. An unserer hier niedergeschriebenen ehrlichen Meinung ändert dieser Umstand nichts.

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