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BMW M1000RR: Wie die BMW-Elektronik in der WSBK 2024 zum Joker wurde

Vor einem Jahr befand sich BMW in einer schwierigen Lage: Bei den Herstellern lagen die Münchner nur wenige Punkte vor Schlusslicht Honda und in der Fahrerwertung war Scott Redding als Zwölfter der bestplatzierte BMW-Pilot. Stand heute sieht das Bild ganz anders aus: Toprak Razgatlioglu befindet sich auf WM-Kurs, obwohl er verletzungsbedingt sechs Rennen auslassen musste. Und auch bei den Herstellern hat BMW noch Chancen, den Titel einzufahren.

Es ist offensichtlich, dass die Leistungsexplosion bei BMW zu einem großen Teil auf die Verpflichtung Toprak Razgatlioglu zurückzuführen ist. Klar ist aber auch, dass die BMW M1000RR deutlich weniger empfindliche Schwankungen von Strecke zu Strecke zeigt. Waren Barcelona oder Aragon in der Vergangenheit eher schwierige Strecken, so wirkt das Paket in diesem Jahr deutlich unempfindlicher.

Wir haben uns exklusiv mit BMW-Technikdirektor Chris Gonschor unterhalten und hinterfragt, warum die BMW M1000RR in diesem Jahr deutlich bessere Ergebnisse ermöglicht, obwohl das Homologationsmodell unverändert blieb.

BMW nutzt den Spielraum bei der Aerodynamik für mehr Agilität

“Zum Glück gibt es auch in einer seriennahen Meisterschaft viele Möglichkeiten, Dinge zu ändern”, beginnt Gonschor im Exklusiv-Interview mit Motorsport-Total.com. “Natürlich gibt es homologierte Teile, bei denen wir keinen Spielraum haben. Die Motorinnereien und der Hauptrahmen sind klar definiert. Doch in einer so hart umkämpften Meisterschaft muss man jedes Bauteil aufs Neue hinterfragen.”

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Toprak Razgatlioglu; Chris Gonschor

Technikdirektor Chris Gonschor mit BMW-Speerspitze Toprak Razgatlioglu

Foto: BMW Motorrad

“Die Federung und die Elektronik sind komplett frei. Die Aerodynamik ist auch frei. Das hat sich in den zurückliegenden zwei oder drei Jahren zu einem Steckenpferd von uns entwickelt”, erklärt Gonschor und präzisiert: “Die Silhouette des Motorrads ist vorgegeben, doch das Reglement ermöglicht 15 Millimeter Freiheitsgrad. Somit können wir die Aerodynamik im Rahmen der Anmutung des Serienfahrzeugs gestalten.”

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BMW M1000RR

Die 2024er-Verkleidung ist schmaler als die der 2023er-Version

Foto: Motorsport Images

Schaut man sich die 2024er-Version der BMW M1000RR in der Superbike-WM genauer an, dann erkennt man, dass die Verkleidung schmaler ist als im Vorjahr. BMW nutzte den Spielraum im Reglement und reduzierte an einigen Stellen die Maße.

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Chris Gonschor

Chris Gonschor freut sich über die Fortschritte bei der Aerodynamik

“Vereinfacht gesagt haben wir die letztjährige Verkleidung in der Breite reduziert. Durch die Flächenreduktion könnte man vermuten, dass wir auf Grund des verbesserten Luftwiderstands schneller geworden sind. Doch die Aerodynamik im Motorradbereich ist sehr komplex. Das zeigen auch andere Meisterschaften”, verweist Gonschor auf die MotoGP.

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Toprak Razgatlioglu

Auf den Geraden zählt die BMW zu den schnellsten Bikes im Feld

Das Thema Aerodynamik ist mittlerweile auch in der Superbike-WM zu einem wichtigen Bereich geworden. “Man muss die Luft, die auf das Motorrad trifft, sinnvoll ableiten. Nur schmaler werden wäre also zu einfach. Doch es war unser Ziel, das Fahrzeug kompakter zu machen, um die Agilität zu steigern. Wir konnten aerodynamisch gegensteuern, um das Motorrad agiler zu machen”, verrät der BMW-Ingenieur.

Hauseigene BMW-Elektronik: Neue Struktur deckt die Vorteile auf

Im Vergleich zu den anderen vier Herstellern hat BMW einen Joker: die hauseigene Elektronik. “Die Elektronik ist komplett frei. Demzufolge können wir die Maximalanzahl an Sensoren gut und intelligent nutzen”, freut sich Gonschor über die Freiheiten auf diesem Gebiet.

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BMW verwendet eine eigene Elektronik, während die Konkurrenz auf Magneti Marelli setzt

Foto: Circuitpics.de

In der Vergangenheit war die eigene Elektronik nicht immer ein Vorteil. Die Vielzahl an Parametern hatte oft zur Folge, dass BMW zu viel Zeit benötigte, um eine gute Abstimmung zu erarbeiten. Dank des neuen Testteams kommt BMW jetzt deutlich besser vorbereitet zu den Rennwochenenden.

“Man kann nie genügend Daten sammeln. Jetzt verfügen wir über die Struktur, um die Daten auch richtig zu nutzen, damit wir unsere eigene Motorsteuerung auch maximal ausnutzen können”, bestätigt Gonschor. “Wir haben bei unserer eigenen Elektronik unendliche Freiheitsgrade, die man nutzen kann. Doch dafür ist Zeit notwendig, die man an einem Rennwochenende nicht immer zur Verfügung hat.”

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Technikdirektor Chris Gonschor lobt den Beitrag des WSBK-Testteams

“Da es in der Vergangenheit das Testteam nicht gab, musste man die Arbeit am Rennwochenende erledigen. Durch Grundlagenarbeit konnte man die Trainings nicht optimal nutzen. Und in einer so hart umkämpften Meisterschaft muss ich im FT1 ab Runde eins optimal arbeiten. Das ist der Punkt, warum wir jetzt alle Vorzüge unserer eigenen Motorsteuerung nutzen können. Jetzt gelingt es uns, die vielen Variablen besser zu nutzen”, beschreibt der BMW-Technikdirektor.

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Sylvain Guintoli

Ex-MotoGP-Pilot Sylvain Guintoli ist einer der BMW-Testfahrer

Doch BMW kommt nicht nur besser vorbereitet zu den Rennen. Auch vor Ort gibt es eine stärkere Struktur, die laufende Verbesserung ermöglicht. “Wir haben das Backoffice an der Strecke intensiviert. Im Truck sitzen Ingenieure, die dafür sorgen, die Daten schneller zu verifizieren. Zudem befinden sich die Münchener Kollegen auf Standby. Es ist noch nicht ganz Formel-1-Niveau, doch die Kollegen stehen für zusätzliche Datenanalysen bereit”, berichtet Gonschor grinsend.

Verbesserungen an der Hardware: BMW nutzt alle Möglichkeiten

Das Reglement der Superbike-WM bietet bei wichtigen Bauteilen, wie dem Rahmen, keinen großen Spielraum. BMW legte den Fokus auf die Bereiche, bei denen die Hersteller nicht an das Serienfahrzeug gebunden sind.

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Kalex-Schwinge an BMW M1000RR

BMW experimentierte mit einer Kalex-Schwinge, verwendet aktuell aber eine eigene Lösung

Foto: WorldSBK.com

“Auch wenn der Hauptrahmen vorgegeben ist, kann man über die Vorder- und Hinterradführung viel machen. Die Gabelbrücken sind frei, genau wie die Umlenkung des Federbeins und die Schwinge. Es gibt fast nichts, an dem man nicht arbeiten kann. Somit gibt es viele Hausaufgaben”, erklärt Gonschor.

Bei den bisherigen Rennen wurde deutlich, dass die 2024er-Version der BMW M1000RR von Strecke zu Strecke deutlich konstanter funktioniert. “Es hat sich bezüglich der Performance ausbalanciert und harmonisiert”, bestätigt Gonschor, der in diesem Atemzug aber auch auf die Situation in den zurückliegenden Jahren hinweist: “Wir hatten ein leicht verfälschtes Bild. Mit den Verletzungen von ‘Mickey’ hatten wir Pech. Wir konnten nie alle vier Fahrer auf dem gleichen Niveau agieren lassen.”

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Sven Blusch; Chris Gonschor

Starkes Duo: Rennleiter Sven Blusch und Technikdirektor Chris Gonschor

“Dank der Stärkung der Mannschaft in München und der starken Entwicklungsunterstützung aus der Zentrale wurde die Zusammenarbeit mit dem Rennteam verbessert. Es fiel uns leichter, das Puzzle richtig zusammenzubringen”, freut sich Gonschor und betont die Bedeutung des Testteams: “Bis zum vergangenen Jahr gehörte es zu unserer täglichen Arbeit, Neuerungen an den Rennwochenenden zu testen.”

Nach zehn von zwölf Rennwochenenden führt BMW-Pilot Razgatlioglu die Meisterschaft klar an. Beim zurückliegenden Event in Aragon baute der Türke seine Führung von 13 auf 39 Zähler aus und hat damit bereits in Estoril die Chance, den Titel vorzeitig sicherzustellen. Bei den Herstellern liegt BMW 42 Punkte hinter Ducati. Den Vizetitel haben die Münchner bereits sicher, denn Kawasaki auf Position drei liegt 208 Punkte zurück.

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