Im Rahmen des Bosch Tech Day 2024 konnte COMPUTER BILD einen Blick auf die Entwicklung des automatisierten Fahrens werfen und den Stand der Technik auf der Straße erleben.
- Bosch und VW
- Daten nur noch mit KI bezwingbar
- Eigene Karten mit Radarsignaturen und Verhaltensregeln
- Probefahrt im “selbstfahrenden” Audi
- Level 3: “Diese Dekade.”
Dieser ID Buzz ist ein Entwicklungsfahrzeug von Bosch für automatisiertes Fahren. Foto: Bosch
Beim Entwicklungsfahrzeug ist die Integration der Sensoren natürlich noch nicht auf Serienstand. Foto: Bosch
Bosch und VW
Daten nur noch mit KI bezwingbar
Was damit möglich ist, demonstriert Bosch in einer Livedemo. Entwickler können gespeicherte Fotos abrufen, um das System besser auf die Gegebenheiten zu schulen. Per Textsuche spuckt die Software passende Ergebnisse heraus. Der Suchbergriff “Schranke” oder “Mensch mit Regenschirm” führte jeweils zu über 12 Millionen Treffern! Klar, dass diese Massen an Fotos nicht mehr von Menschen, sondern von der KI vertaggt werden. Allerdings ist es immer noch ein Job für Experten, der KI die “Vokabeln” beizubringen. Der Teufel steckt im Detail: Während ein auf die Straße laufender Mensch am Straßenrand ein guter Grund ist, die Fahrt zu verlangsamen, sollte der gleiche Mensch auf einem Wahlplakat natürlich keine Bremsung einleiten und ein Werbeplakat einer grünen Ampel darf kein Grund sein, die Kreuzung zu überfahren.
Eigene Karten mit Radarsignaturen und Verhaltensregeln
Die Kartendaten bestehen nicht nur aus Bildern der Videokamera, sondern auch aus einer Radarsignatur, die so einzigartig wie ein Fingerabdruck ist und eine präzise Positionsermittlung ermöglicht. Das funktioniert nicht nur unabhängig von GPS, sondern ist auch genauer und funktioniert sowohl im Tunnel als auch bei schlechtem Wetter und ist damit eine wichtige Ergänzung zu den optischen Systemen, von denen andere Hersteller behaupten, dass damit im Grunde alles möglich ist. Außerdem gibt es eine Verhaltenskarte. Wie schnell fahren Menschen an dieser Stelle üblicherweise? Durch die erhobenen Schwarmdaten lassen sich die Fahrspuren genau ableiten und auch Beschleunigungs- und Bremspunkte an Kurven, Ein- oder Ausfahrten werden registriert, sodass das automatisiert fahrende Auto nicht übermotiviert mit den zugelassenen 100 km/h in die Autobahnauffahrt reinhält, sodass die Passagiere an die Scheibe ditschen oder Schlimmeres.Ein Techniker skizziert ein griffiges Bild: Man kann auch ohne Verhaltenskarte, also ohne Schwarmdaten fahren. Aber das wäre ungefähr so, als würde man ohne Ortskenntnis in Paris fahren. Das ist möglich, aber es könnte ruppig und stressig werden.
Ein Schlüssel zum Erfolg sieht Bosch in der Geschwindigkeit und setzt auf ein System schneller, iterativer Schritte. Entwickler bekommen binnen zwei Stunden eine Rückmeldung, wie sich ihre Änderung auswirkt. Pro Woche gibt es 600 bis 700 neue Softwarestände, an denen 1.500 Leute parallel in der Cloud arbeiten.
Probefahrt im “selbstfahrenden” Audi
Der Audi Q8 verfügt über eine Basis-Setup mit Frontkamera, vier Top-View-Kameras und 6 Longrange-Radar-Sensoren, die allesamt noch etwas rustikal im Fahrzeug integriert sind. Mehr (etwa ein LIDAR-Sensor) ist natürlich möglich und förderlich, aber die Vision von Bosch ist es, Automatisiertes Fahren “zu demokratisieren”. Es soll also bezahlbar bleiben und nicht nur teuren Oberklassefahrzeugen vorbehalten bleiben. Auf dem Zusatzmonitor ist in Echtzeit zu sehen, wie der Audi die Umgebung qualifiziert. Was sind Menschen, was ist Straße, was sind Verkehrszeichen und was sind unbefahrbare Begrenzungen, was sind Verkehrsteilnehmer und wie bewegt sich alles zueinander.
Der große Zusatzmonitor zeigt den Testern, wie die Sensorik die Umgebung sieht und bewertet. Foto: Bosch
Als Entwicklungsfahrzeug kann der Audi mehr als bereits erhältliche Systeme. Die Mitfahrt gestaltet sich eher unspektakulär. Wenn man sich nicht darauf konzentrieren würde, dass der Mensch am Lenkrad nur die Fahrt überwacht, und abgesehen vom Blinken zum Spurwechsel weder das Lenkrad noch Gas oder Bremse berührt, könnte man vergessen, dass das Auto gerade allein seinen Weg durch die Stadt, Überland und auf der Autobahn findet. Das Abbremsen an der Ampel und das Halten der Spur fühlt sich an, wie bei einem defensiven Fahrer. Während die Leute auf der Autobahn an uns vorbei fahren, hält sich der Audi selbstverständlich an die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit und schert auch nur dann in den Verkehr ein, wenn die Lücke so groß ist, wie es von den Entwicklern programmiert wurde. Auf unserer halbstündigen Probefahrt im komplexen urbanen Umfeld hat der Fahrer kaum eingegriffen, aber genau diese Situationen sollen durch das Sammeln der Fahrdaten erfasst und dann später gemeistert werden. Auch kritische oder unklare Situationen, die nur alle 100.000 km vorkommen, müssen sicher bewältigt werden.Auch die Fahrer kommen durch vernetzte Services in den Genuss kurzer Wege. Dabei könnte ein vorausfahrendes Auto einen Unfall oder ein Schlagloch melden, vor dem man dann gewarnt wird. Das konnten wir auf der Teststrecke im Rahmen des Bosch Tech Day 2024 live erleben. Beim ersten Mal sind wir über eine Schwelle gefahren und eine Minute später, gab es bei der Anfahrt der gleichen Stelle schon eine Warnung.
Level 3: “Diese Dekade.”
Die verfügbaren Systeme kratzen heute in bestimmten Situationen an Level 3 (etwa ein Stauassistent bis 60 km/h auf der Autobahn). Für die unmittelbare Zukunft wird es hauptsächlich noch um Level 2+ gehen, also maximal einem Hands-free-Modus, bei dem der Fahrer aber noch in der Verantwortung bleibt und im Prinzip eingreifen kann. Mittlerweile bekommt man von Experten auf die Frage, wann es deckend Level 3 auf der Straße gibt die Antwort: “Diese Dekade.” Und bevor die ersten Tesla-Fahrer mit ihrem “Autopilot” kommen: Ja, aber nein.