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Mehr Klimaresilienz durch Sponge Cities

mehr klimaresilienz durch sponge cities

Temperaturen weit über 30 Grad, teils wochenlang kein Regen. Hinter Deutschland liegt eine Hitzewelle. Die Folgen des Klimawandels kann zwar auch die Schwammstadt nicht auflösen, aber sie kann sie abmildern.

Von Corina Kolbe

Wochenlange brütende Hitze, gefolgt von Gewittern mit sturzbachartigem Starkregen, der im Nu ganze Landstriche überflutet – die Folgen des Klimawandels sind längst nicht mehr nur in fernen Weltregionen zu beobachten.

Auch Deutschland, Österreich und die Schweiz sind immer häufiger mit Extremwetterlagen konfrontiert. Die gewaltigen Niederschlagsmengen, die erst kürzlich in Mittel- und Osteuropa Flüsse und Kanäle über ihre Ufer treten ließen, haben den Katastrophenschutz vielerorts an sein Limit gebracht. Wegen der hohen Pegelstände von Elbe und Oder wurde auch in Sachsen und Brandenburg Alarm geschlagen. Experten warnen davor, dass sich nicht nur die Frequenz, sondern auch das Ausmaß solcher Ereignisse rasch weiter steigern werden.

Umso dringlicher erscheint die Aufgabe, vor allem Städte mit einem hohen Grad an Verdichtung und Flächenversiegelung besser auf bevorstehende Herausforderungen vorzubereiten. Erwartbare Klimafolgen können zwar nicht völlig verhindert, jedoch immerhin deutlich abgemildert werden. Das Konzept der klimaresilienten Schwammstadt, das den Ausbau einer grünen Infrastruktur zur gezielten Bewirtschaftung von Regenwasser vorsieht, hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten zunehmend Beachtung gefunden. Fachinstitutionen haben auf Grundlage wissenschaftlicher Forschungen Handlungsempfehlungen erarbeitet, die in Städten und Kommunen in ganz Deutschland inzwischen kontinuierlich umgesetzt werden.

Der Begriff der Schwammstadt wurde bereits um die letzte Jahrtausendwende in China, einer der weltweit am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften, geprägt. Das Land mit rund 1,4 Milliarden Einwohnern muss einerseits mit schwindenden Wasserressourcen und zum anderen mit wachsenden Flutrisiken umgehen. Nach verheerenden Überschwemmungen in der Metropole Peking 2012 wurde der Hochwasserschutz zu einer der prioritären Staatsaufgaben erklärt. 2015 und 2016 entstanden auf diese Weise 30 Pilotprojekte für „sponge cities“, unter anderem in Peking, Shenzhen und Shanghai. Wie ein Schwamm sollen Städte überschüssiges Wasser aufnehmen und verzögert wieder abgeben. Inzwischen gilt China mit rund 60 Schwammstädten als Vorreiter bei solchen urbanen Transformationsprozessen. Unter anderem wurden grüne Felsenriffe oder Regengärten zur Speicherung von Wasser angelegt.

Neue Realität zwang zum Umdenken

Dieses Konzept verbreitet sich seit etwa 20 Jahren zusehends auch in Europa. Im Zuge der industriellen Entwicklung orientierte sich die Stadtplanung einst vor allem an wirtschaftlicher Effizienz. Flüsse wurden künstlich begradigt und Gebiete, die Wasser aufnehmen konnten, überbaut. Doch die neue Realität zwang zum Umdenken. Die Entsiegelung von Asphalt- und Betonböden, neue Versickerungsflächen, Parkanlagen und Gebäudebegrünung sowie Reservoirs für Regenwasser haben sich inzwischen als überzeugende Lösungen erwiesen, um die bestehende Kanalisation zu entlasten und das Klima zu verbessern. Überschüssiges Wasser wird von Stadtbäumen und durch andere Grünflächen als Wasserdampf abgegeben. Die daraus resultierende Verdunstungskühle macht heiße Sommer in Städten für Mensch und Tier erträglicher.

Zu den wichtigen Schwammstadt-Pionieren gehört auch Kopenhagen. Am 2. Juli 2011 gingen in der dänischen Hauptstadt solch gigantische Starkregenmassen nieder, dass von einem Jahrtausendphänomen gesprochen wurde. Tagelang war die Stadt überflutet. Bei Helfern wurden bald Krankheiten wie Leptospirose diagnostiziert, die offenbar durch im Wasser treibende tote Ratten übertragen wurde. Als in den nächsten Jahren weitere Starkregenereignisse folgten, entwarf die Stadt einen „Wolkenbruch“-Masterplan, der bis zum Jahr 2035 die klimagerechte Umwandlung von mehr als 300 öffentlichen Orten vorsieht. Dazu zählen etwa Parks, Spielplätze und auch Verkehrsflächen. Auf künstlich angelegten Flussbetten kann man in Trockenzeiten spazieren gehen. Um einen Kreisverkehr herum wurden Grünflächen angelegt, in denen Regenwasser einsickern kann. Bei Starkregen werden die Niederschläge über unterirdische Rohre auf Park- und Sportanlagen abgeleitet. Ein Pumpwerk, das Wasser schneller in Richtung Meer treiben kann, soll ab dem kommenden Jahr das Abflusssystem entlasten.

Tiefgreifende Transformation nötig

Der Landschaftsplaner Andreas Vetter, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Umweltbundesamtes (UBA) kommunale Maßnahmen zur Klimaanpassung bewertet, ist mit ähnlichen Projekten bestens vertraut. „Die große Herausforderung liegt darin, dass die Umgestaltung zu einer Schwammstadt eine tiefgreifende Transformation bedeutet. Bei der Entwicklung neu bebauter Flächen lassen sich naturbasierte Konzepte ideal umsetzen. Schwieriger wird es an den Stellen, wo sich schon ein größerer Gebäudebestand befindet“, sagt Vetter. „Insgesamt kann man aber gut berechnen, wie viel Wasser bei Starkregen auf der Fläche anfallen kann und welche Flächen benötigt werden, damit Überschüsse zwischengespeichert und versickert werden können.“

Es sei vor allem wichtig, die Gesamtwassermenge zu reduzieren, die in die Kanalisation einer Stadt einfließe, erklärt der Experte. Bei heftigen Niederschlägen ließen sich Überschwemmungen zwar nicht hundertprozentig vermeiden. Durch Zwischenspeicher wie Sickergruben und Zisternen im Boden könne aber eine größere Menge Wasser zurückgehalten werden. Auch Dachgärten seien gut dazu geeignet, Regen aufzufangen. Noch dazu könne eine solche Bepflanzung die Wohnqualität in Obergeschossen während heißer Sommer erheblich steigern. Manche Städte stellen für private Begrünungsmaßnahmen inzwischen finanzielle Mittel bereit, wie etwa Hamburg im Rahmen der Gründachförderung. Vetter sieht das als vielversprechenden Ansatz. „Die Idee der Schwammstadt kann nur funktionieren, wenn man öffentliche und private Flächen zusammen denkt. Was die Kommunen im öffentlichen Raum verändern können, reicht oft alleine nicht aus.“

Bei den Planungen für die Schwammstadt sollte man aber nicht nur urbane Räume, sondern auch die umliegenden Landschaften im Auge haben, meint Vetter. Denn auch dort könne aus den Städten abfließendes Wasser aufgefangen werden. Eine städteübergreifende Zusammenarbeit in Ballungsräumen kann zu größeren Fortschritten führen. „In manchen Regionen gehen die Gebiete der Kommunen direkt ineinander über. Gemeinsame Konzepte zur Nutzung von Regenwasser und Abwässern sind da äußerst sinnvoll.“ Zu diesem Zweck führte das Umweltbundesamt 2022 bereits eine Schwammstadt-Konferenz durch, auf der Vertreter von Kommunen und Fachleute aus der praxisnahen Forschung über Lösungsansätze diskutierten.

Kein ausreichender Hitzeschutz in Städten

Als Beispiel für eine gelungene Vernetzung verschiedener Akteure nennt Vetter auch den ökologischen Umbau des Emschersystems im Ruhrgebiet. Zwischen 1992 und Anfang September 2022 entstanden ein zentrales Abwasserklärsystem und unterirdische Abwasserkanäle. Zugleich wurden die Emscher und ihre Nebenflüsse renaturiert. 2021 gründeten 16 Städte der Emscher-Region und die Emschergenossenschaft/Lippeverband die Zukunftsinitiative Klima.Werk, um sich weiter für die Zukunft zu rüsten.

Betrachtet man das gesamte Bundesgebiet, so zeigen sich markante Unterschiede. Der erste Hitze-Check der Deutschen Umwelthilfe kam in diesem Sommer zu dem Ergebnis, dass die meisten Städte die Menschen nicht ausreichend vor extrem hohen Temperaturen schützen. Bei dem Vergleich von 190 deutschen Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern schnitten Ludwigshafen, Heilbronn, Regensburg, Worms, Mainz, Ludwigsburg und Ingolstadt am schlechtesten ab. Dort sind besonders viele Flächen versiegelt, und der Anteil kühlender Grünflächen ist gering. Am anderen Ende der Skala stehen die Städte Detmold, Ratingen, Potsdam und Jena, die ein hohes Grünvolumen aufweisen.

Die Millionenmetropole Berlin ist im Gegensatz zu manch anderen Städten in einer günstigen Lage, weil das geografische Gefälle gering ist. Bei Regen bleibt das Wasser weitgehend auf der Fläche. Die Dynamik einer starken Fließbewegung, die die zerstörerische Kraft von Hochwasser weiter potenziert, bleibt hier aus. Mit der Regenwasseragentur gründeten das Land Berlin und die Berliner Wasserbetriebe 2018 eine Institution, die sich schwerpunktmäßig mit einem nachhaltigen Regenwassermanagement befasst.

Berlin schuf Fakten

Auf dem Weg zur Schwammstadt hat Berlin sogar schon viel früher Fakten geschaffen. Bereits Mitte der 1990er Jahre wurden das Wohngebiet in der Rummelsburger Bucht im Bezirk Lichtenberg und das Wissenschaftsquartier Adlershof in Treptow-Köpenick klimagerecht umgestaltet. In der Rummelsburger Bucht haben wannenförmige Versickerungsmulden, von denen aus Wasser in einen tieferliegenden Speicher abfließt, seither Überschwemmungen verhindern können. Zeitverzögert tritt das Wasser aus den Speichern in den Boden und das Grundwasser ein. Auch die Dach- und Fassadenbegrünung zeigt in dem Gebiet positive Auswirkungen. Unter anderem dient eine bis zu 80 Zentimeter dicke Schicht aus Pflanzen über den Tiefgaragen als Zwischenspeicher für Regenwasser. An heißen Tagen wird die Luft dadurch spürbar heruntergekühlt. Auf der Internationalen Gartenausstellung IGA in Berlin wurden 2017 außerdem so genannte Baum-Rigolen präsentiert. Versickerungsmulden wurden dazu mit Bäumen – im konkreten Fall Sumpfeichen – kombiniert, die Staunässe vertragen können. Bei kurz darauf auftretendem Starkregen zeigte sich, dass die Rigolen die gesamten Niederschläge aufnehmen konnten, während versiegelte Flächen in der Nähe überschwemmt wurden.

„Wir wollen horizontale Lösungsansätze weiter in der Fläche vielfältig umsetzen und innovativ entwickeln – vom smart bewirtschafteten Dachspeicher mit Begrünung bis zum Multi-Barrieren-Rigolensystem“, sagte Christoph Donner, Vorstandsvorsitzender der Berliner Wasserbetriebe, in einem Interview. „Doch auch vertikale Lösungsansätze, also an Hausfassaden, sind ein wichtiges Element, da sie prozentual einen hohen Flächeneffekt bringen. Wir müssen bewerten, was sie für den Erhalt einer lebenswerten Stadt bei klimabedingten Temperaturen bis zu 50 Grad Celsius mit neuen Lösungsansätzen im Bestand wie im Neubau beitragen können.“

Im westlichen Berliner Bezirk Spandau ist nun ein weiteres Städtebauprojekt nach dem Prinzip der Schwammstadt geplant. Das etwa 76 Hektar große Areal Siemensstadt Square, ehemals Industriestandort des Technologieunternehmens Siemens, soll bis 2035 zu einem modernen Wohn- und Geschäftsquartier umgestaltet werden. Der Entwurf sieht vor, dass Niederschlagswasser auf Grünflächen und begrünten Dächern aufgefangen wird, um den Druck auf die Kanalisation zu verringern. Bei Starkregen können außerdem Rückhaltebecken Überschwemmungen verhindern. Die Nutzung von Regenwasser in Gebäuden und zur Bewässerung von Pflanzen in Höfen und auf Freiflächen soll auch dazu beitragen, die kostbare Ressource Trinkwasser zu schonen.

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