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Volvo PV 544 von 1963: Der alte Buckel-Volvo im Test von heute

Der Volvo PV 544 gibt sich und uns die Ehre, als “Alter im Test” nach Hockenheim zu reisen. Wer fragt, was das solle, es gebe gar kein passendes Jubiläum, kann uns – Ihr ahnt es, Freunde – mal den Buckel runterrutschen.

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Der Volvo PV 544 gibt sich und uns die Ehre, als „Alter im Test“ nach Hockenheim zu reisen. Wer fragt, was das solle, es gebe gar kein passendes Jubiläum, kann uns – Ihr ahnt es, Freunde – mal den Buckel runterrutschen.

Bedenkt man es genau, ist der neue Tag bereits acht Minuten und 20 Sekunden alt, bevor er beginnt. So lange ist sein erstes von der Sonne losgeschicktes Licht unterwegs, bis es nach 147.597.870 km hier ankommt, um durch die Baumwipfel zu glimmen. Es ist der 21.756. neue Morgen dieses Volvo Personvagn 544, Chassisnummer 377.609. Um zu erklären, warum kein anderes Land als Schweden ihn hervorbringen konnte, müssen wir erst die Sache mit den Eichen erzählen. Die geht so:

Mitte des 18. Jahrhunderts trachtet das Königreich nach langfristiger Vorherrschaft auf See. Um die durch den Besitz der besten Schiffe zu erlangen, lässt die Marine Wälder mit Eichen pflanzen – für Kriegsschiffe liefern die das beste Holz. Allerdings erst, wenn die Bäume ausgewachsen sind. Wofür nach sorgsamen Berechnungen der Admiralität ein Zeitraum von 300 Jahren einzukalkulieren ist.

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All diese Eichen wachsen noch immer in den schwedischen Himmel, wenngleich langsamer mit jedem weiteren Sommer, der übers Land zieht. Auch die Eilfertigkeit des Volvo PV 544 wirkt mit jedem Jahr bedächtiger, da die Welt immer hektischer rotiert. Und doch hält er sein Tempo, das lehrt: Die Welt dreht sich nicht langsamer, nur weil du dich selbst noch mehr eilst. Was eine schöne Weisheit wäre, einen Tag zu beginnen – nach dem neongrellen Start in der Tiefgarage, der Fahrt durch das stroboskopende Laternenlicht der Stadt und durch das Dunkel der Autobahn, das langsam vor dem ersten Licht der Sonne weicht.

Nur eben gerade nicht jetzt, denn mal wieder fehlen fünf Minuten, um pünktlich, und selbst damit zuletzt, an der Tanke in Hockenheim einzutreffen. An der warten Otto und Hans sicher schon und proben gemeinsam mahnende Blicke. Herrje, denkst du, dabei wusstest du doch, dass so ein Buckelvolvo mit eher hartnäckigen als überstürzten 68 PS Ziele stets durch Beharrlichkeit, nie mit Hast erreicht. Wie zweckmäßig wäre es gewesen, Reserven einzuplanen. Was genau das ist, was die Geschichte dieses Personvagn lehrt, die uns nun das kurze Stück durch den Beginn des Tages und zur Tankstelle bringt.

Buckel-Wahl

In den 1940ern bekommt Volvos Entwicklerteam um Helmer Petterson den Auftrag, ein Auto zu entwickeln, das sich Frau Lieschen Müller und Herr Otto Normalverbraucher leisten können. (In Schweden sind die zwei verheiratet, werden Herr och Fru Medel-Svensson genannt. Was man sich merken sollte für den Fall, dass man auf der WG-Einweihungsparty der Tochter – an sich nur auf der Suche nach einem Teller Chili – in der Küche unverschuldet in eine Gender-Diskussion gerät. Wie man da auftrumpfen kann mit dem Vorschlag, sich das zum Vorbild zu nehmen und dazu überzugehen, das Paar hier Frau und Herr Lieschen und Otto Müller-Normalverbraucher zu nennen.)

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Beim PV 444 wagt Volvo zum ersten Mal die Konstruktion eines Autos in selbsttragender Bauweise. Aus Sorge vor mangelnder Stabilität, so geht die Legende, schlagen alle Ingenieure auf ihre Berechnungen der Materialstärke eigenmächtig ein paar Prozent drauf, bevor sie die Angaben an ihre Vorgesetzten weitergeben. Die prüfen das, schlagen wiederum ein paar Prozent drauf, bevor sie die Angaben an die Chefentwickler … Sie ahnen, was da zusammenkommt, bis die Pläne ganz oben angelangt sind: eines der solidesten Autos der Weltgeschichte.

Durch die fährt schon die ab 1947 gebaute Ur-Version des Buckelvolvo, der PV 444, viel zahlreicher und länger als erwartet. An sich plant Volvo nur mit 8.000 Exemplaren. Da schon beim Marktstart 10.000 Bestellungen vorliegen, erhöht das Management die Planung auf 12.000, von denen bis 1958 rund 200.000 vom Band laufen. Weil 1957 der P 120, der Amazon, erscheint, denken alle, der sei der Nachfolger des PV 444. Doch gerade für einen Volvo hat der Wagen so viele Jahre noch nicht auf dem Buckel. So modernisieren sie den viersitzigen 444 zum fünfsitzigen 544.

Der startet 1958 mit besseren Aussichten – mit ein- statt mit zweiteiliger Frontscheibe. Dazu richten sie ihn mit dem Breitbandtacho im gepolsterten Armaturenbrett nicht nur schöner, sondern auch sicherer ein. Und schon 1959 haben sie es bei Volvo geschnallt: Ab da statten die Schweden alle Autos serienmäßig mit Dreipunktgurten für die Vordersitze aus.

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Wohin? Zum Kuckuck!

Ansonsten ändert sich wenig. Die im Skandinavienwinter schon dienliche Innenraumheizung, ab 1952 optional, ist ab Dezember 1953 Serie. Blinker haben länger schon die Winker ersetzt. In Schweden, allein dafür muss man das Land mögen, heißen die Takgök: Dachkuckuck. Das Fahrwerk mit doppelten, ungleich langen Querlenkern vorn und der starren, von vier Längslenkern plus Panhardstab geführten, rempeligen Hinterachse bleibt im Prinzip ebenso unverändert wie der Motor mit hängenden Ventilen und dreifach gelagerter Kurbelwelle. Als Leistung des 1800er-Vierzylinders nennt Volvo 75 SAE-PS (“SAE” steht nicht, wie oft gedacht, für “statt ausgerechnete erfundene”, sondern für “Society of Automotive Engineers”, 1905 unter anderem von Henry Ford für Fortschritt und Normierung im Automobilwesen gegründet). Davon bleiben 68 nach pingeliger DIN-Berechnung, was relativ viel weniger ist, doch von absoluter Bedeutungslosigkeit. Man kommt doch nie zu spät, weil es dem eigenen Wagen an Temporeichtum mangelt – das weiß man ja vorher –, sondern stets wegen zu späten Losfahrens.

Umso mehr, wenn man sich auf eine Reise großer Gemütlichkeit eingestellt hat. Denn es ist so behaglich im Buckel, dass selbst die fesseligen Statikgurte dem Gefühl der Geborgenheit zutragen. Und wie besinnlich die nun morgenrot beleuchteten Hügel, Wälder und Wiesen an der Straße vorbeistreifen, wenn die Anzeige des Bandtachos mal bei 100 zittert, kurz mal der 110 entgegenfiebert.

Derweil hältst du das große, dürre Lenkrad locker in der Hand. Klammerst du dich am Steuer fest, folgt der Volvo eher verkrampfter der Spur, hält sie aber dennoch vage. Durch die Ausstellfenster fächelt eine kühle Brise, die aber schon ein Versprechen späterer Mittagshitze in sich trägt. Hättest du den Volvo vor 60 Jahren gekauft, du könntest ihn heute noch gut fahren. Und es gäbe nichts, was du wirklich vermissen würdest. Auch weil dir das meiste, was du zu vermissen glaubst, eh eingeredet wird. Mal von anderen, meist aber von dir selbst. Ach je, trotz aller Trödelei: schon da.

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Die beiden stattlichen Männer, erfahre ich an der Tankstelle, seien schon los. Die hätten gewartet, mit seltsam wechselnden, strengen Mienen. Dann seien sie weggefahren in nordöstliche Richtung. Nicht jedoch ohne eine Nachricht zu hinterlassen: Falls es der junge Herr Renz einrichten könne, möge er nach dem Wiegen auf die Strecke kommen, wo die zwei den Slalom aufbauten, um nicht noch mehr Zeit zu verlieren.

Super in den Tank, ein paar Spritzer Bleiersatz hinterher, rüber ins Motodrom, gleich zur Waage. Kann das sein? Dieser hochsolide, gewichtige Wagen bringt es nur auf 1.025 Kilo. Nun denn, eilig raus auf die Strecke. Da stehen Otto und Hans. Versuchen, streng zu schauen. Was nicht gelingt, wenn so ein heiterer Buckel röhrend um die Ecke fegt, dass die Schmutzlappen im Fahrwind flattern. Packen wir’s an, schnell die Messelektronik einbauen und los.

Die Diskretion, die der Volvo bei der Messung der Tachoabweichung beweist, legt er umfassend ab, geht es um die Intensität der Geräuschentwicklung. Das Wirken der Bremseinrichtung mit Scheiben vorn zeugt für ein Auto seines Alters von Rüstigkeit wie Modernität – mit einer Verzögerung von verlässlichen 7,4 m/s². Und das in einer Ära, in der andere Autohersteller die Meinung vertreten, dass ein Hindernis – etwa ein Elch – erstens nicht sich auf der Straße herumzutreiben und dort einem Wagen im Weg herumzustehen habe. Oder wenn schon, dann zweitens mal in die Hufe kommen, einen Schritt beiseitegehen und damit seinen Teil zur Unfallvermeidung beitragen könne.

Schubber Plus

Nun aber wollen wir Tempo gewinnen und fahren zum Start der Beschleunigungsmessung. Zwei Tapser Gas, jeder schüttelt den 544 kurz und stimmt ihn so auf den Sprint ein. Dann kavalierstartet er los. Der Motor rempelt sich die Drehzahltausender empor und durch seine Gänge. Sie gilt es über den Schaltstock auf langen Wegen durchzusortieren, was gleichwohl präzise gelingt. So zieht nur ein unerheblicher Teil des Tages ins Land, bis der Volvo die Geschwindigkeit von 100 km/h erlangt. Und später, weit noch vor Mittag, liegen 130 an. Da er sich derart in Ungestüm gefahren hat, darf der Buckel direkt zum Slalom. Dort aber findet er gleich zu Gestüm (so müsste das doch heißen) zurück. Er kurvt um die Pylonen und vereitelt dabei Eile. Wegen der indirekten Übersetzung kommt Otto kaum mit dem Lenken für die Richtungswechsel hinterher. Vermag das die Hetze noch nicht zu zügeln, reißt eben der Grip an der Vorderachse, nun: ab. Worauf ein Untersteuern von vollkommener Vollendung einsetzt. Doch scheint in alldem eine kleine Gerissenheit durch, ein verborgenes Geheimnis von Handling. Das zu ergründen aber wird auf immer 14-jährigen Nordschweden vorbehalten bleiben, die es in einer eisigen Winternacht auf einem zugefrorenen See lüften – als Richtfest einer Fahrerkarriere, die sie an die höchsten Etagen der Rallye-WM führen wird.

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Wir führen nun noch die Innenraumvermaßung durch. Und müssen zu unserem Bedauern zugeben, dass wir trotz aller Bemühungen das Kofferraumvolumen nicht exakter definieren können als Volvo. Die geben es im Prospekt mit “geräumig” zwar nicht gerade mathematisch exakt, aber eben keineswegs unkorrekt an.

Danach geht es auf den Heimweg. Weil der Tag es gut meint, entscheidet er sich zu einer harmlos begründeten Vollsperrung der Autobahn. Also geht es mit dem Volvo über Land – nun durch die Mittagshitze und mit ganz heruntergekurbelten Scheiben. Es wird länger dauern heute, was schöner gar nicht sein könnte. Wir haben ja noch den ganzen restlichen Tag Zeit. Länger sogar. Denn bedenkt man es recht, endet der, acht Minuten und 20 Sekunden bevor die Nacht über den Himmel zieht – als die Sonne den letzten Lichtstrahl des Tages losgeschickt hat. Wie schön das doch zu einem Auto passt, das vor fast 60 Jahren gebaut wurde, um über den Tag hinaus Bestand zu haben.

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