Finanzen

Wirtschaft

Wirtschafts-nachrichten

"Unwohlsein gegenüber dem Innovativen": Psychologie-Prof erklärt E-Auto-Hass

Dezember 2021: In Oberndorf am Neckar wird ein ladender Smart EQ fortwo nachts gewaltsam ausgesteckt und die gesamte Ladevorrichtung schwer beschädigt. Keine Seltenheit, wenn Sie sich Polizeiberichte und Elektroauto-Foren durchlesen. Besitzer von Elektroautos sprechen von Beleidigungen auf offener Straße und um die Angst, das Fahrzeug eines Tages völlig zerkratzt wiederzufinden.

Bereits 2016 hat Professor Claus-Christian Carbon ein Experiment durchgeführt, in dem er die Vorurteile gegenüber der Technologie von Elektroautos untersucht hat. Mit seinem Team stellte er fest: „Menschen empfinden Abneigung meist aufgrund von Vorurteilen, Elektromobilität spielt hier keine Ausnahme. Man muss verstehen welche Natur diese Vorurteile sind, um sie wirksam adressieren zu können.“

EFAHRER.com hat dem Lehrstuhlinhaber für Allgemeine Psychologie an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg die wichtigsten Fragen rund um das Thema gestellt. Hier sind die Antworten:

Mehr zum Thema: Brennen E-Autos häufiger? Münchner Feuerwehrmann klärt auf

Was sind die Gründe für den Unmut gegenüber Elektroautos?

„Es gibt ja beides: Unmut über Elektromobilität und Faszination für eine neue Technik. Unmut zu diesem Thema entsteht durch zwei unterschiedliche Dinge: Zum einen gibt es eine echte Wehmut zum Abschied der Verbrennungsmotoren — wir dürfen nicht vergessen: maßgebliche Erfindungen im Bereich der Verbrennungstechnik sind in Deutschland entstanden: vom Diesel- über Otto- bis hin zum Wankelmotor. Wenn das alles nun weg sein soll, ist das ein echter Abschied.“

Ähnlichen Grund sieht auch Martin Eberhard, Mitgründer von Tesla. Bei einer Präsentation von Tesla Motors sagt er schon 2008: „Elektroautos wurden bisher von Leuten gemacht, die keine Autos mögen. Sie wollen, dass der Kunde sein Wesen ändert, und das ist ein Fehler. Wir müssen ihm ein Auto anbieten, das er haben will.“ Hier stößt man in Deutschland auf den großen Konfliktpunkt: Autoliebhaber, die den Verbrenner verehren gegen diejenigen, die im Elektroauto die Zukunft sehen.

Dennoch sieht Professor Carbon nicht nur Unmut in Deutschland: „Es gibt eben auch die starke Faszination und positive Emotionalisierung für diese Technik: Geräuscharmut, keinen direkten Ausstoß von klimaschädlichen und geruchsstarken Emissionen, und auch die sanfte und kraftvolle Beschleunigung.“

Die Faszination sieht auch ein Stuttgarter Tuner, der sich heute auf das E-Auto-Tuning spezialisiert hat. Den ganzen Artikel lesen Sie hier.

Wann entwickelt sich Abneigung einer Sache gegenüber zu Hass?

„Menschen haben auf Automobile in der Ära der Pferde eingehauen, die Aggression und das Unwohlsein gegenüber dem Innovativen, dem Ungewohnten und schlichtweg dem Fremden hat uns nie so richtig verlassen. Aber: es sind Einzelfälle, und mit der Gewährung und der neuen Normalität wird auch die Auffälligkeit von Elektrofahrzeugen zurückgehen und damit auch der Anlass, sich überhaupt darüber aufregen zu können.

Sprechen wir uns in zehn Jahren wieder, so werden sehr viel Menschen Vorbehalte gegenüber klassischen Verbrennungsmotoren haben—die Wette gilt! Hass, aber so viel auch jetzt schon, ist niemals etwas was produktiv ist. Eine gesunde Auseinandersetzung sieht anders aus.“

„Debatten hingegen sind gut, da sie unterschiedliche Standpunkte austauschen. Mobilität ist ein wichtiges und emotionales Thema, es regt an, darüber zu sprechen.“

SWM

Aber ist es überhaupt möglich, objektive Debatten zu führen, wenn es ein emotionales Thema ist?

„An der Mobilität hängt vieles: einerseits das persönliche Glück zu entscheiden wohin man wie und wann fährt, andererseits hängen an der Mobilität Arbeitsplätze, Wirtschaftskraft, Prosperität, Zukunftsfähigkeit. Wenn ein ganzer Markt bald wegbrechen wird, eben der, der Verbrennungsmotoren bedient, welche mit fossilen Kraftstoffen betrieben werden, dann muss man als Innovationsführer nicht dem bald Verlorenen nachweinen, sondern möglichst bald überzeugende moderne Konzepte entwickeln, die einen großen Markt erschließen können.

Das muss den Menschen klarer gemacht werden: Elektromobilität ist primär nicht Geißelung, sondern eine Riesenchance, auch als Innovationsmarkt, in dem Deutschland punkten kann. Letztendlich kann dies dann zu einer ähnlichen Erfolgsstory werden wie damals eben vor über 100 Jahren mit dem Verbrenner, der sich auch erst einmal gegen Pferdekutsche durchsetzen musste. Und mit Pferdekutschen wird bekanntlich in Deutschland heute kein maßgeblicher Umsatz mehr gemacht…mit Satteln, Zaumzeug und Holzrädern bezeichnenderweise übrigens auch nicht.“

Mehr zum Thema: Zu teuer und zu wenig Reichweite: Vorbehalte gegenüber E-Autos immer noch groß

Haben Autobauer und Staat zu wenig gemacht, um die Bürger abzuholen?

„Die Automobilhersteller haben enorm spät die Zügel umgerissen, um mal in dieser Sprachmetapher zu bleiben. Zu spät wurde kommuniziert, dass Deutschland als einer der Innovationsführer gar keinen anderen Weg einschlagen kann als konsequent an neuen Innovationen zu arbeiten. Die starke Überbetonung der Elektromobilität gegenüber anderen bekannten und auch noch kommenden Mobilitätstechniken ist übrigens ein weiterer Grund mangelnder Akzeptanz, denn Menschen reagieren auf die Einschränkung von Freiheitsgraden mit Reaktanz, und das ist eben am Ende des Tages ein nicht produktives Verhalten.”

Wir müssen und können hier viel mehr, und das muss auch dringend geschehen! Auch das Anreizsystem zum Umstellen auf Elektromobilität wird, zu Recht, kritisiert und von vielen abgelehnt. Die faktische Bevorzugung von einkommensstarken Käufern ist nicht fair und letztendlich nicht zielführend.“

Was lässt sich in Zukunft ändern, um das Thema objektiver und weniger emotional anzugehen?

„Wir müssen ehrlich mit den Fürs und Wieders umgehen. Wir müssen langfristige Berechnungen gegenüber kurzfristigen Berechnungen vorziehen, denn es geht um ein sehr langfristiges Projekt. Und es muss klar sein, dass wir heute noch vorhandene Hürden in der Produktion solcher Fahrzeuge aktiv angehen, um verbundene Probleme nachhaltig zu lösen, bspw. ethische Aspekte des Abbaus von seltenen Erden, Lieferengpässen bei Lithium, Monopolstellungen bei Palladium und dergleichen. Wir müssen die Menschen begeistern und nicht belehren. Wer das versteht, dem gehört die Zukunft!“

Berichten Sie EFAHRER.com von Ihren Erfahrungen 

Sie fahren auch ein Elektroauto oder einen Plug-In-Hybriden und erleben damit besondere, frustrierende oder faszinierende Geschichten im Urlaub oder im Alltag?  Schreiben Sie unseren Redakteuren eine E-Mail! Wir teilen Ihre Geschichte mit Millionen E-Auto-Fans!

TOP STORIES

Top List in the World